20. März 2023, 14:32 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Produkttipps auf Instagram oder TikTok können hilfreich sein, doch nicht jeder teurer Lippenstift ist das Geld wirklich wert. Beim sogenannten „Deinfluencing“ raten Content Ceator nun aktiv vom Kauf ab, wenn sie nicht von der Qualität überzeugt sind. Was hinter dem Beauty-Trend steckt, lesen Sie bei STYLEBOOK.
Sie hat jedes Mal Angst, bevor sie ihren Kontostand sieht: Die Influencerin Michelle Skidelsky sagt von sich selbst, sie kaufe vieles, was sie gar nicht brauche. Warum sie das tut? Weil die Produkte ihr bei TikTok empfohlen wurden. So ergeht es vielen – vor allem jungen Menschen, die diese und andere Social-Media-Angebote wie Instagram regelmäßig nutzen. Im Warenkorb landet, was gehypt wird – so oft in den Himmel gelobt, bis man überzeugt ist, genau dieses Produkt könnte das Leben ein kleines bisschen besser machen. Doch hier möchte jetzt der Trend „Deinfluencing“ entgegenwirken.
Übersicht
„Deinfluencing“, sagt Instagram-Werbung den Kampf an
Mit dieser Annahme wollen sogenannte Deinfluencer aufräumen. Ihre Mission begreifen sie als Antithese zum klassischen Influencertum: Sie machen keine Werbung, sondern raten klar davon ab, Geld für bestimmte Kosmetik, Kleidungsstücke oder Technik auszugeben, die es in ihren Augen nicht wert sind. Die Videos mit dem Hashtag #deinfluencing werden stetig populärer, insbesondere auf TikTok. 380 Millionen Mal wurden sie bis Mitte März aufgerufen (Stand: 20. März 2023) – allein innerhalb der letzten Februarwoche knapp 65 Millionen Mal. Oft kommen die Clips aus dem englischsprachigen Raum, einige deutsche sind mittlerweile auch zu finden.
Vita Wirt, die im Internet genauso heißt, hat den Hashtag hierzulande als eine der ersten verwendet. Zwei Contouring-Produkte einer Luxus-Beautymarke, mit denen man sich schmeichelhafte Schatten ins Gesicht zaubern können soll, sind Wirts Meinung nach zum Beispiel überteuert. „Eins kostet 40 Euro, das muss man sich nicht unbedingt kaufen – vor allem dann nicht, wenn man noch jung ist und nur ein Taschengeld bekommt“, sagte die 27-Jährige der Deutschen Presse-Agentur.
Weder Zuwendungen noch Bezahlung
Ihr Beitrag über die Kosmetik wurde bis Ende Februar knapp 55.000 Mal angesehen. Für die Frau aus Erfstadt (Nordrhein-Westfalen) ist das ein Hobby. Sie erhalte dafür bislang weder Zuwendungen von Marken noch werde sie bezahlt, betont sie. So unabhängig agieren Influencer, die Social Media zu ihrem Job gemacht haben, nicht. Regelmäßig gehen sie Kooperationen mit Marken ein und bewerben deren Produkte gegen Bezahlung. Solche Videos müssen als Anzeige gekennzeichnet sein.
Viele Fans oder auch Follower akzeptieren den Deal: Sie lassen sich von den Einblicken in den Alltag ihrer Lieblingsinfluencer unterhalten und schalten im Gegenzug bei bezahlten Empfehlungen nicht ab. Doch obgleich die Werbung vielfach zieht, können die wohlwollenden Hinweise auf Produkte als unehrlich wahrgenommen werden – die große Krux in dem Geschäft, das sich darum dreht, möglichst authentisch zu wirken.
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Überschwemmung und Abstumpfung
Zudem würden TikTok- und Instagram-Konsumenten „täglich von Produktempfehlungen überschwemmt und stumpfen regelrecht ab“, erklärt die Social-Media-Marketing-Expertin Ann-Katrin Schmitz, die mit ihrem Team etwa Unternehmen und Medienhäuser berät. Sie sieht im Deinfluencing einen wichtigen Trend, der bleiben werde: „Gute Influencer haben schon immer ehrliche Empfehlungen abseits ihrer Werbekooperationen ausgesprochen. Da liegt es nur nahe, genauso auszusprechen, wenn Marken oder Produkte nicht halten, was sie versprechen. Viele haben verstanden, dass Authentizität und eine loyale Community langfristig mehr für ihr Business tun als möglichst viel Werbung“.
Doch gerade für gewerbsmäßige Influencer seien Anti-Empfehlungen zugleich ein Risiko. „Kritik an Marken kann Werbepartner abschrecken“, sagt Schmitz. Auch Vita Wirt meint, dass Deinfluencing für kleinere, nur zum Spaß betriebene Profile wie ihres leichter sei: „Ich kann freier meine ehrliche Meinung über Produkte sagen“. Mit Betonung auf Meinung. Denn wie beim klassischen Influencen gilt beim Deinfluencen, dass ein Einzelner etwas als gut oder unbrauchbar beurteilt – und andere Menschen es naturgemäß ganz anders sehen können.
Ein Beispiel dafür ist ein knapp 550 Euro teurer Föhn, der das Haar mit verschiedenen Aufsätzen in Form bringen soll. In vielen Deinfluencing-Videos wird das Gerät als überteuertes Heißluftgebläse verrissen. Andere Nutzer verteidigen es aber als Produkt, das Wunder auf dem Kopf vollbringe. Ob der Föhn nun funktioniert oder nicht, als vergleichsweise teuer, würden ihn die meisten wohl durchaus einordnen. So ist es mit den meisten Produkten, um die bei Social Media ein Hype entsteht. Ein Lippenöl für rund 40 Euro kann sich nicht jeder TikTok- oder Instagram-Zuschauer leisten.
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Konsumbewusstsein auch durch Inflation
Für Hobby-Influencerin Wirt ist Deinfluencing unter anderem deshalb so aktuell und populär, „weil die Leute durch die Inflation weniger Geld zur Verfügung haben und mehr darauf achten, wofür sie es ausgeben“. Hinzu komme ein zunehmendes Konsumbewusstsein durch den Klimawandel, das immer mehr Menschen hinterfragen lasse, was und wie viel sie tatsächlich brauchen.
Geht es beim Deinfluencing also vordergründig darum, Verbraucher besser zu informieren und Kritik an überflüssigem Konsum zu üben? Oder ist es lediglich eine kluge Strategie, um auf Umwegen doch wieder zu werben – indem Influencer direkt eine angeblich bessere Alternative zu jenem Produkt empfehlen, von dem sie abraten? Das sei zwar möglich, sagte Marketing-Expertin Schmitz dazu. „Mir sind in der Branche allerdings keine Fälle bekannt, bei denen sich Influencer und Marken absprechen, um diesen Effekt zu nutzen. Nicht hinter jedem Influencing oder Deinfluencing steckt eine Strategie, nicht alles ist gekauft oder geskriptet“.
Sie lasse sich übrigens regelmäßig selbst deinfluencen, sagt Schmitz: „Leon von @xskincare spricht brutal ehrlich über Gesichtspflege, egal in welchem Preissegment. Damit hat er nicht nur mein Vertrauen bekommen, sondern mittlerweile auch das von 852.000 Fans auf Instagram“.
Quellen