29. Oktober 2024, 14:57 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
ADHS gilt als eine der häufigsten psychischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Studien sagen: Jungen sind viermal mehr betroffen als Mädchen. Dabei wird ADHS gerade bei Frauen häufig erst im Erwachsenenalter diagnostiziert. Eine Expertin erklärt STYLEBOOK, woran das liegt.
ADHS steht für „Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung“ und ist eine der häufigsten psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen. Die Symptome, die bei ADHS auftreten, fallen meist in der Schule oder im Umgang mit Konzentrationsaufgaben auf. Kinder mit ADHS können besonders aktiv, unruhig und unkonzentriert sein und Probleme haben, sich auf eine Sache zu konzentrieren. Aktuellen Schätzungen zufolge sind in Deutschland ungefähr 5 bis 6 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren betroffen. Tatsächlich wird bei Jungen ADHS etwa viermal häufiger diagnostiziert als bei Mädchen. Aber woran liegt das? Sind Mädchen wirklich weniger betroffen – oder gibt es einen Zusammenhang damit, dass besonders bei Frauen ADHS oftmals erst im Erwachsenenalter erkannt wird.
Übersicht
- Expertin erklärt: »Das sind die Symptome bei Frauen mit ADHS
- Unterschiede ADHS zwischen Frau und Mann – und welche Rolle die Hormone spielen
- Die speziellen Herausforderungen für Frauen mit ADHS im sozialen Umfeld
- Wie können Frauen mit ADHS der Überforderung im Alltag entgegentreten?
- Wie kann das Umfeld Frauen mit ADHS unterstützen?
Expertin erklärt: »Das sind die Symptome bei Frauen mit ADHS
Untersuchungen zeigen: Die Zahlen kommen zustande, weil die Diagnosekriterien auf Jungs zugeschnitten sind. Mädchen mit ADHS werden daher oft nicht erkannt. Sie merken es dann häufig selbst, wenn sie bereits erwachsen sind.
Wir haben Katharina Eder, systemische Therapeutin, gefragt: Treten bei Frauen oder Mädchen andere Symptome auf, wenn es um ADHS geht? „Bei Frauen mit ADHS gibt es häufig spezifische Symptome, die subtiler auftreten als bei Männern und daher oft übersehen werden“, erklärt sie und fährt fort: „Frauen sind oft besser darin, ihre Unaufmerksamkeit und innere Unruhe zu kaschieren. Dadurch fallen die Symptome nicht so stark auf und sie werden deshalb nicht oder fehldiagnostiziert“.
Denn: Statt der stereotypischen Hyperaktivität wie Herumhampeln oder nicht stillsitzen können, zeigen Frauen eher Symptome wie starke Tagträumereien, Vergesslichkeit und starke Emotionen. „Symptome wie emotionale Dysregulation, chronische Unordnung, Erschöpfung und Reizbarkeit werden oft missverstanden und als Stress oder ‚normale‘ Stimmungsschwankungen abgetan“. Dabei können auch das Anzeichen von ADHS sein.
Ist das Fehlinterpretieren also der Grund, weshalb Frauen die ADHS-Diagnose oft erst im Erwachsenenalter erhalten? Auch, aber: „ADHS wird bei Frauen häufig erst spät diagnostiziert, weil die gesellschaftlichen Erwartungen an sie anders sind“, so Eder. Von Frauen werde oft erwartet, dass sie organisierter, pflichtbewusster und anpassungsfähiger sind. Sie sollen sich um vieles kümmern, mitfühlend und ruhig sein. „Dies führt dazu, dass sie sich früh Strategien aneignen, um ihre Symptome zu kompensieren. Hinzu kommt, dass viele diagnostische Kriterien ursprünglich auf männliche Verhaltensweisen zugeschnitten wurden, sodass weibliche ADHS-Symptome weniger auffallen“, erklärt die Therapeutin.
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Unterschiede ADHS zwischen Frau und Mann – und welche Rolle die Hormone spielen
Zwar kann sich ADHS bei Frauen oder Mädchen anders abzeichnen – wie die angesprochene Tagträumerei – jedoch müssen die Unterschiede in der Symptomatik zwischen den Geschlechtern nicht zwingend sein. Einer der Hauptunterschiede hinsichtlich ADHS zwischen Männern und Frauen liegt laut Eder an den Hormonen. „Hormone wie Östrogen beeinflussen die Neurotransmitter im Gehirn, insbesondere Dopamin und Serotonin, die bei ADHS eine zentrale Rolle spielen. Während des Menstruationszyklus und in Lebensphasen wie der Pubertät, Schwangerschaft und Menopause schwanken die Hormonspiegel stark, was bei Frauen zu einer Verstärkung von ADHS-Symptomen führen kann“. Das kann entweder missverstanden, fehlinterpretiert – oder sogar übersehen werden.
Doch auch die gesellschaftlichen Rollenerwartungen spiegeln sich in der Interpretation der Symptomatik wider: „Von Frauen wird häufig erwartet, dass sie ruhig, organisiert und sozial angepasst sind. Dies führt dazu, dass viele Mädchen und Frauen ihre ADHS-Symptome besser verbergen oder kompensieren – sie ‚maskieren‘ ihre Schwierigkeiten“. Anstatt durch hyperaktives Verhalten aufzufallen, entwickeln sie laut der Therapeutin also Strategien, um den gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen.
Die speziellen Herausforderungen für Frauen mit ADHS im sozialen Umfeld
Doch welchen speziellen Herausforderungen begegnen Frauen mit ADHS in der Partnerschaft oder im Familienalltag? Diese Mehrfachbelastungen – Partnerin, Mutter, Berufstätige und Haushaltsmanagerin – denen Frauen oft gleichzeitig ausgesetzt sind, führen bei Frauen mit ADHS schnell zur Überforderung, da sie mit der Alltagsorganisation und dem Zeitmanagement zu kämpfen haben, sagt Katharina Eder. „Frauen mit ADHS neigen zu emotionaler Dysregulation. Nicht selten zeigt sich das in Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit oder plötzlichen Wutausbrüchen“.
Diese intensiven Emotionen können für den Partner oder die Partnerin schwer nachvollziehbar sein und die Beziehung belasten. „Mütter mit ADHS haben es oft besonders schwer, ihre eigenen Symptome im Griff zu haben, während sie gleichzeitig den Bedürfnissen ihrer Kinder gerecht werden müssen“, so Eder.
Ablenkbarkeit, Schwierigkeiten mit der Organisation und die Impulsivität können es erschweren, die Struktur und Routine im Familienalltag aufrechtzuerhalten, die Kinder oft benötigen. „Zudem ist ADHS vererbbar und führt oft auch zu Kindern mit ADHS. Mütter mit ADHS kämpfen oft mit Schuldgefühlen, weil sie das Gefühl haben, nicht genug für ihre Kinder da zu sein oder sie nicht ausreichend fördern zu können. Frauen werden oft als diejenigen angesehen, die den Haushalt managen und emotionale Unterstützung für andere bieten“.
Diese Anforderungen und Erwartungen von Außen stehen häufig im Widerspruch zu den Schwierigkeiten, die Frauen mit ADHS im Alltag in ihrem Inneren erleben. „Die ständige Diskrepanz zwischen dem, was man von ihnen als Gesellschaft erwartet und dem, was sie tatsächlich leisten können, verstärkt den Druck“, so die Expertin.
Wie können Frauen mit ADHS der Überforderung im Alltag entgegentreten?
Doch wie können Frauen mit ADHS ihre beruflichen und privaten Anforderungen besser meistern, ohne sich selbst zu übernehmen? Laut der Therapeutin seien primär feste, leicht umsetzbare Routinen wichtig, um den Alltag zu strukturieren und den Überblick zu behalten. „Doch auch ein gewisses Mitgefühl sich selbst gegenüber ist wichtig, genauso wie keine unrealistischen Erwartungen zu haben“, sagt sie. In der Partnerschaft oder im sozialen Kontext sei außerdem eine offene Kommunikation über die spezifischen Herausforderungen essenziell. Schließlich ist nicht jede Person mit ADHS gleich, sagt die Expertin. „Aber natürlich kann Therapie und Coaching eine wertvolle Unterstützung sein, um Bewältigungsstrategien zu entwickeln“.
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Wie kann das Umfeld Frauen mit ADHS unterstützen?
Wie bei fast allen psychischen Erkrankungen spielt auch bei ADHS das Umfeld eine große Rolle. Aber wie können die liebsten Menschen im Umfeld Frauen mit ADHS unterstützen? „Partner, Familie oder Freunde können Frauen mit ADHS am besten unterstützen, indem sie Verständnis zeigen und Unterstützung anbieten“, sagt die Therapeutin. Kritik ist etwas, was Menschen mit ADHS besonders schwerfällt. „Anstatt sie für ihre Unordnung oder Vergesslichkeit zu kritisieren, sollten sie Geduld haben und gemeinsam mit ihnen nach Lösungen suchen“. Auch (kleine) Erfolge anzuerkennen, kann notwendig sein.