9. August 2024, 12:49 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Neue Zahlen aus den USA bestätigen, dass es seit dem gekippten grundsätzlichen Recht auf Abtreibung mehr illegale Schwangerschaftsabbrüche gibt. Jedoch zeigen aktuelle Studien aus Deutschland, wie weit der Weg zu einer fairen Prozedur auch hier noch ist. STYLEBOOK gibt einen Überblick.
Am 22. Januar 1973 verabschiedete der Oberste Gerichtshof in Washington ein Grundsatzurteil: Alle Bürgerinnen der Vereinigten Staaten sollten das grundsätzliche Recht auf die Durchführung einer Abtreibung haben. Vor zwei Jahren wurde diese Errungenschaft wieder gekippt. Die Konsequenzen sind immer mehr illegale Schwangerschaftsabbrüche. Und sogar in Deutschland wird es vielen Frauen und gebärfähigen Personen alles andere als einfach gemacht, das geltende Recht auf Abtreibung wahrzunehmen.
Übersicht
Abtreibung in den USA – einstige Vorreiter
Das Grundsatzurteil im Fall „Roe v. Wade“ galt als Meilenstein in der feministischen Bewegung für mehr Selbstbestimmung. Die US-Amerikanerin Norma McCorvey (Pseudonym Jane Roe) gewann einen Prozess gegen Henry Wade, damaliger Bezirksstaatsanwalt von Dallas County, und sicherte damit Millionen von Menschen den Zugang zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen.
McCorvey befeuerte eine Sammelklage gegen das Verbot von Abtreibungen im Bundesstaat Texas. Nach etwa einjährigen Verhandlungen kam die Entscheidung: Frauen sollten legal im ersten Schwangerschaftstrimester abtreiben dürfen. Angefangen in Texas, schlug der Prozess Wellen. Er räumte den US-Amerikanerinnen eine landesweite, grundsätzliche Befugnis zum Schwangerschaftsabbruch vor der „Lebensfähigkeit“ des Fötus ein.
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Kein grundsätzliches Recht mehr
Fast ein halbes Jahrhundert hielt sich dieses bundesweite Recht. Bis es im Juni 2022 durch eine Abstimmung des Obersten Gerichtshofs wieder gekippt wurde. Wiederholt stieß die „Roe v. Wade“-Regelung auf Kritik seitens konservativer und religiöser Gruppen. Für gebärfähige Menschen in den Staaten bedeutet dies, dass der ohnehin in vielen Regionen des Landes schwer zugängliche Schwangerschaftsabbruch nun über keine bundesweite, legale Einbettung mehr verfügt, sondern über die Gesetze des jeweiligen Bundesstaates geregelt ist.
Eine Folge, die sich bereits zwei Jahre nach der Entziehung des grundsätzlichen Rechts auf Abtreibungen zeigt, ist die Zunahme der illegalen Schwangerschaftsabbrüche. Wie eine im Juli veröffentlichte Studie des Online-Magazins JAMA Open Network preisgibt, sind die eigenständig durchgeführten Abtreibungen von 2,4 Prozent im Jahr 2021 auf 3,4 Prozent im Jahr 2023 bei Frauen im reproduktionsfähigen Alter gestiegen. Es wird darauf hingewiesen, dass illegale Beendigungen von Schwangerschaften oft geheim gehalten werden, sodass eher ein Anstieg von 5 Prozent auf 7 Prozent innerhalb der zwei Jahren geschätzt wird.
Blick auf Deutschland
Grundsätzlich straffrei ist ein Schwangerschaftsabbruch auch in Deutschland nicht. Erst nach Befolgung einer bestimmten Prozedur und unter der im § 218 des Strafgesetzbuches festgelegten Voraussetzungen unterbricht man auf legale Weise seine Schwangerschaft. Dazu gehört unter anderem, dass man unter zwölf Wochen nach Empfängnis abtreibt, an einem Beratungsgespräch teilnimmt, drei Tage wartet und schlussendlich bei einem Arzt oder Ärztin die Abtreibung durchführen lässt.
Ausnahmen gelten im Falle einer Vergewaltigung, hier entfällt die Beratungspflicht. Doch auch im kriminologischen Kontext muss innerhalb der festgelegten zwölf Wochen abgetrieben werden. Diese zeitliche Grenze darf einzig bei medizinischen Indikationen expandiert werden, wenn die Schwangerschaft ein gesundheitliches Risiko – egal ob körperlich oder seelisch – darstellt.
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UN-Gremium kritisiert deutsche Gesetzgebung scharf
Im Mai 2023 haben die Vereinten Nationen in ihrem Abschlussdokument die Gesetzgebung in Deutschland kritisiert. Die dreitägige Wartezeit wurde angefochten, es wurde zu einer vollständigen Entkriminalisierung geraten und eine Übernahme der Behandlungskosten der Krankenversicherung gefordert. Derzeit muss man hierzulande in der Regel selbst für die Behandlung aufkommen.
Günstig ist ein Schwangerschaftsabbruch nicht. Laut Pro Familia bewegen sich die Kosten, je nach Methode, Versicherung und Praxis, zwischen 350 und 600 Euro. Ausnahmen gibt es für Personen, deren Einkommen und Vermögen unterhalb der gesetzlichen Grenze liegen, Sozialhilfe beziehen oder Asylbewerberinnen. Diese können dann einen Antrag stellen.
Gibt es überhaupt illegale Abtreibungen in Deutschland?
Dass es illegale Abtreibungen gibt, hat der Arzt Horst Theissen (1938 – 2020) gezeigt. Wegen Steuerhinterziehung und in seiner Praxis durchgeführten Schwangerschaftsabbrüchen unter Missachtung des § 218 im Strafgesetzbuch wurde er Ende der Achtziger Jahre zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren und einem dreijährigen Berufsverbot verurteilt. Doch Strafzahlungen mussten auch fast alle Frauen leisten, die eine Behandlung bei Theissen wahrgenommen hatten – umgerechnet 900 bis 3000 Euro. Die gesetzlichen Regelungen, die den als „Memminger Prozess“ bekannten Eklat ermöglichten, haben sich bis heute kaum verändert.
Der berühmt-berüchtigte Paragraf 218 des StGB sorgt in Deutschland schon seit vielen Jahren für Unmut. Pro Familia gibt an, dass etwa 96,4 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung stattfinden, „der Rest mit Indikationsregelung“. Diese Zahlen beziehen sich allerdings rein auf legale, also straffreie Abtreibungen. Auf STYLEBOOK-Nachfrage bei der Beratungsstelle konnten keine Daten zu illegalen Abtreibungen in Deutschland geliefert werden.
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Nicht nur die USA kriminalisieren Abtreibungen
In einer von 2021 bis 2022 durchgeführten ELSA-Studie wurde untersucht, wie einfach Frauen an Informationen über die Prozedur eines Schwangerschaftsabbruchs gelangen. Das Ergebnis zeigt, dass sich 80 Prozent gut informiert fühlten, aber jede zweite Befragte auch auf Informationsbarrieren gestoßen sei. Ein Viertel gab an, nicht alle benötigten Informationen erhalten zu haben. An der Studie nahmen 594 Frauen teil, die bereits eine ungewollte Schwangerschaft abgebrochen haben.
Es gibt also feste Regeln, die bei einer Abtreibung zu beachten sind. Aber so richtig gut informiert fühlen sich viele Personen, die diese Entscheidung treffen (müssen) auch im Datenland Deutschland nicht. Dazu kommen die hohen Kosten, tagelangen Wartezeiten und das Wissen, sich bei Abweichungen des Reglements im schlimmsten Fall sogar strafbar zu machen. Es darf jetzt bloß keinen Schritt zurückgehen, wie in den USA. Für die vollständige Umsetzung des Rechts auf Selbstbestimmung gilt es, schnurstracks geradeaus zu laufen.