2. Januar 2024, 16:08 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Jungfräulichkeit, ein Thema, dass eigentlich nur eine Person etwas angehen sollte: die Frau selbst. In den Gesprächen trotzdem oft daher gehend: das Jungfernhäutchen. Warum die Verwendung dieses Begriffes jedoch zu Misogynie führt und Frauen schadet, lesen Sie bei STYLEBOOK.
Eine Jungfrau – das perfekte Ideal einer patriarchalen Welt. Und das leider auch noch in 2024. Man denke hierbei nur an die zahlreichen TikToks, in denen meist junge Männer Frauen anhand ihres Body Counts bewerten. Überwiegend mit dem einheitlichen Fazit: desto mehr Geschlechtspartner, desto unwürdiger die Frau. Eine Thematik, die selten bei den sexuellen Erfahrungen der Männer selbst aufkommt. Doch dies ist kein neues Phänomen – die Idealisierung der weiblichen Jungfräulichkeit war und ist für viele Menschen von Bedeutung. Dabei wird dann auch oft das sogenannte „Jungfernhäutchen“ als Indikator genommen.
Übersicht
Ein Blick auf den problematischen Begriff „Jungfernhäutchen“
Es wird schon seit Jahrzehnten als besonders wichtig erachtet, Beweise für die Unberührtheit von Frauen zu finden. Dies galt auch für Maria, die wohl bekannteste Jungfrau der Welt. In einer frühchristlichen Schrift, dem Protoevangelium aus dem zweiten Jahrhundert, werden das Leben von Maria und die Geburt Jesu beschrieben. Nach der Geburt berichtet die herbeigeeilte Hebamme Salome von der Unbefleckten Empfängnis. Dass dabei gar nicht die Jungfräulichkeit gemeint war, wurde in den Weitererzählungen gekonnt verschwiegen.
Woher stammt der Name?
Beim Begriff „Jungfernhäutchen“ handelt es sich um eine Übersetzung des lateinischen Begriffs „hymen“, der auf die griechische Mythologie zurückgeht.
In der antiken Mythologie wurde Hymen als Göttin der Hochzeit und des Eheversprechens verehrt. Der Begriff wurde später in der medizinischen Terminologie übernommen, um das dünnwandige Gewebe zu beschreiben, das den äußeren Teil der Vagina teilweise bedeckt. Dieses Gewebe wurde irrtümlich mit der Enthaltsamkeit in Verbindung gebracht – und so entstand der Begriff „Jungfernhäutchen“.
Darum ist er so umstritten
Doch hinter „Jungfernhäutchen“ verbirgt sich nicht nur eine Beschreibung einer anatomischen Struktur, sondern der Begriff trägt zur Verbreitung von Fehlinformationen, kultureller Belastung und Stigmatisierung bei. Mit dem irreführenden Eindruck, dass die Intaktheit des Hymens ein untrüglicher Indikator für die sexuelle Unerfahrenheit einer Frau sei. In Wirklichkeit kann das Hymen aus verschiedenen Gründen reißen oder sich dehnen. U. a. aufgrund von sportlichen Aktivitäten, Tamponverwendung oder einfach aufgrund natürlicher körperlicher Entwicklung.
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Der Begriff stigmatisiert Frauen weltweit
Hier wird auch oft der Begriff „Virgo intacta“ in den Raum geworfen. Er ist lateinisch und kann als „unberührte Jungfrau“ übersetzt werden. Der Begriff wird verwendet, um den Zustand einer Frau zu beschreiben, die noch keinen Geschlechtsverkehr hatte und deren Jungfräulichkeit als intakt betrachtet wird.
Die kulturellen Erwartungen und der soziale Druck, die mit dem Begriff einhergehen, tragen zur Mythologisierung der Jungfräulichkeit bei. Frauen sehen sich oft mit unrealistischen Erwartungen konfrontiert, die auf der vermeintlichen Intaktheit ihres Hymens basieren. Dieser Druck kann negative Auswirkungen auf die körperliche und emotionale Gesundheit von Frauen haben, da sie sich möglicherweise gezwungen fühlen, bestimmten Normen zu entsprechen oder ihre sexuellen Entscheidungen zu rechtfertigen.
Rekonstruktions-Operationen sind noch gang und gäbe
Die Hymenrekonstruktion, auch als Hymenoplastik bekannt, ist ein chirurgischer Eingriff, der darauf abzielt, den Eindruck einer unversehrten Jungfräulichkeit zu erwecken. Es ist wichtig zu beachten, dass dieser Eingriff ethisch, sozial und medizinisch umstritten ist. Die Entscheidung, eine Hymenrekonstruktion durchzuführen, ist eine persönliche Wahl, die von individuellen kulturellen, sozialen oder religiösen Überlegungen beeinflusst sein kann.
Dabei ist die Bezeichnung „Hymenrekonstruktion“ eigentlich irreführend. Bei diesem Eingriff wird vaginal gewebte Haut vernäht, die beim Geschlechtsverkehr erneut aufreißen kann. Es handelt sich somit um die künstliche Erzeugung einer Wunde und die bewusste Verursachung von Schmerzen.
So läuft die ambulante Operation ab
Hier sind einige allgemeine Informationen darüber, wie eine Hymenrekonstruktion typischerweise durchgeführt wird:
- Konsultation: Vor dem Eingriff erfolgt eine ausführliche Beratung mit einem Chirurgen. Während dieses Gesprächs wird der Patient über den Prozess informiert, und es wird geklärt, welche Erwartungen realistisch sind. Es ist wichtig, dass der Chirurg alle relevanten medizinischen Informationen erhält, um sicherzustellen, dass der Eingriff sicher durchgeführt werden kann.
- Chirurgischer Eingriff: Die Hymenrekonstruktion wird normalerweise ambulant durchgeführt. Der Chirurg verwendet entweder vorhandene Gewebereste oder andere Materialien, um das Hymen zu rekonstruieren oder zu modellieren. Dies kann Nähen oder andere Techniken einschließen, um den gewünschten Effekt zu erzielen.
- Heilungsprozess: Nach der Operation gibt es einen Heilungsprozess, der von Person zu Person unterschiedlich sein kann. Die meisten Patientinnen benötigen einige Tage Ruhe, um sich zu erholen. Es ist wichtig, alle postoperativen Anweisungen des Chirurgen genau zu befolgen, um das Risiko von Komplikationen zu minimieren.
Es ist entscheidend zu betonen, dass die Hymenrekonstruktion keinen medizinischen Nutzen hat und möglicherweise nicht dauerhaft ist. Die kulturellen oder sozialen Gründe, die Frauen zu diesem Eingriff führen, sind komplex und können mit gesellschaftlichen Erwartungen, Traditionen oder individuellen Überlegungen zusammenhängen. In einigen Kulturen kann der Nachweis der Jungfräulichkeit als wichtig erachtet werden, was zu dem Wunsch nach einer Hymenrekonstruktion führen kann. Es ist jedoch wichtig, dass Frauen informierte Entscheidungen treffen und die möglichen Risiken und Konsequenzen des Eingriffs verstehen.
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Warum ist es wichtig, über den Begriff „Jungfernhäutchen“ zu sprechen?
In der modernen sexuellen Aufklärung ist es entscheidend, präzisere und wissenschaftlich korrektere Begriffe zu verwenden, um ein umfassenderes Verständnis und eine positive Einstellung zum eigenen Körper und der sexuellen Gesundheit zu fördern.
Die Wissenschaft hat deutlich gemacht, dass die sexuelle Erfahrung viel komplexer ist als die reine Präsenz oder Abwesenheit eines intakten Hymens. Die Verwendung des Begriffs „Jungfernhäutchen“ verhindert jedoch, dass diese Botschaft effektiv vermittelt wird.
Es ist an der Zeit, eine offene und respektvolle Diskussion über die Vielfalt weiblicher Anatomie und Sexualität zu fördern. Nur durch die Ablehnung überholter Begriffe können wir eine Gesellschaft schaffen, die die sexuelle Gesundheit und Autonomie von Frauen respektiert und schützt.
Hier hat mal wieder Skandinavien die Nase vorn: Laut „Tagesschau“ spricht man in Schweden in der Medizin längst von der „Corona Vaginalis“, der vaginalen Krone. Und beschreibt damit auch sprachlich die Form des Hymen: keine dünne Haut, sondern ein rundliches Gebilde.
Falls Sie mehr zu dem Thema erfahren möchten, empfehlen wir Ihnen die Ufa-Dokumentation „Mythos Jungfernhäutchen“ in der Ard-Mediathek