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Ein Erfahrungsbericht

„Ein Leben ohne Migräne kann ich mir nicht vorstellen. Aber ich würde es gern.“

Unsere Autorin leidet seit über 20 Jahren unter Migräne
Unsere Autorin leidet seit über 20 Jahren unter Migräne Foto: Getty Images / skynesher
Louisa Stoeffler
Redakteurin PETBOOK

29. November 2024, 15:07 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Viele denken bei Dingen, ohne die das Leben kaum vorstellbar wäre, an etwas Schönes. Für unsere Autorin Louisa Stoeffler ist es jedoch etwas ganz anderes: Migräne. Unter dieser chronischen Erkrankung leiden Frauen besonders häufig – sie sind etwa dreimal so oft betroffen wie Männer. Dennoch wird das Leiden vieler Patientinnen nicht immer ernst genommen, was den Weg zur richtigen Diagnose oft lang und frustrierend macht. Ein Erfahrungsbericht.

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Es gibt Krankheiten, von denen man zwar schon gehört hat, deren wahres Ausmaß aber nur Betroffene nachvollziehen können – vor allem, wenn sie von außen kaum sichtbar sind. Migräne ist eine dieser Erkrankungen. Lange Zeit war sie von Vorurteilen und Stigmata geprägt: Oft wurde sie auf „normale“ Kopfschmerzen reduziert oder als bloße Ausrede abgestempelt, um sozialen Verpflichtungen zu entgehen. Dass Migräne weit mehr ist und das Leben massiv einschränken kann, war lange keine salonfähige Meinung. Anlässlich des ersten BILD-Tabu-Bru(n)ches, der Frauen und ihren Gesundheitsthemen eine Plattform bietet, möchte ich mit diesem Stigma brechen – und meine Erfahrung mit Migräne teilen. In diesem Bericht verrate ich, wie sich mein Leben mit der Krankheit wirklich anfühlt – und warum es höchste Zeit ist, diese endlich ernst zu nehmen.

Ich habe Migräne in der dritten Generation

Schon seitdem ich ein Kind war, wusste sich, dass es Migräne gibt. Vielleicht kannte ich es nicht unter diesem Namen, doch dass es eine immer wiederkehrende Krankheit war, war mir bewusst. Mein Großvater bekam immer im Sommer Kopfschmerzen und litt unter Übelkeit, besonders wenn der Luftdruck besonders hoch war. Meine Mutter kam häufig von der Arbeit nach Hause und konnte sich nur noch übergeben.

Im Gegensatz zu einem Lehrer und einer Verkäuferin habe ich es mit meinen Migräneattacken wohl noch relativ gut getroffen. Ich kann meinen Kollegen sagen, dass ich noch ein bis zwei Stunden benötige, bis ich wieder Schrift auf dem Bildschirm erkennen kann und kann an Tagen mit besonders schlimmer Attacke zu Hause arbeiten. Allerdings war das nicht immer so. Denn die Migräne begleitet mich persönlich schon, seitdem ich auf das Gymnasium gekommen bin. Nur dass es tatsächlich diese chronische Erkrankung war und nicht Cephalgie oder „unklare Kopfschmerzen“, wie es noch in meinen ersten Diagnosen von 2003 hieß, war lange unklar.

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Von der Suche nach „Krampfadern“ im Hirn und den Folgeerkrankungen

Erinnern Sie sich an die Zeit, in der viele junge Mädchen dem Sportlehrer sagten, dass sie zu starke Regelschmerzen hatten, um am Unterricht teilzunehmen? Ich war diejenige, die trotz Kopfschmerzen mitmachen musste. Weil die Lehrer mir nicht glaubten und es für eine Ausrede hielten. Auch die Mitschüler sagten oft: „Louisa tut doch nur so“.

Im Alter von 15 Jahren ging ich regelmäßig zum Neurologen. Denn was vielen nicht bewusst ist, obwohl Migräne ja den Kopf betrifft: Es handelt sich bei ihr um eine neurologische Erkrankung. Woche für Woche waren wir auf der Suche nach „Krampfadern“ in meinem Kopf – so wurde es mir gegenüber damals bezeichnet. Mit einem kleinen Ultraschallgerät, das zwischen den Knochenplatten der seitlichen Stirn und dem Ohr angesetzt wurde, forschte mein Arzt nach Anomalien in meinem Kopf. Was als Suche nach der Ursache für meine Kopfschmerzen begann, wurde schnell zur wöchentlichen Therapiesitzung.

Denn ich inzwischen mehr als „nur“ Migräne. Zu den chronischen Schmerzen gesellten sich nun weitere Diagnosen: Anorexie, chronisch depressive Verstimmung (Dysthemie) mit wiederkehrenden schweren Phasen. Mit 17 Jahren dann schließlich: Colitis ulcerosa und chronische Schlafstörungen. Ob man dies alles darauf zurückführen kann, dass ich immer wieder an Migräneattacken litt, weiß ich nicht. Geholfen hat es aber wohl nicht.

Denn offensichtlich gab es mehr als nur eine Anomalie in meinem Kopf – und in meinem Darm. Die Darm-Hirn-Verbindung und ihre Auswirkungen waren damals ebenfalls noch unbekannt. Und noch immer glaubte mir niemand, dass ich nicht einfach den Unterricht schwänzte, sondern bis zu 16 Stunden pro Tag höllische Schmerzen durchlebte. Dass ich trotzdem das Abitur und später auch das Studium schaffte, war einigen aufgrund meiner Fehlzeiten unbegreiflich.

Eine beispielhafte Episode

Ich nehme Sie einmal mit auf eine beispielhafte Migränereise. Meist beginnt diese am Abend vor der eigentlichen Attacke. Ich bemerke ein starkes Ziehen in Nacken und Schulter, manchmal auch eine „aufziehende Wolke“ in der linken Kopfhälfte. In den meisten Fällen weigere ich mich jedoch, diese Vorzeichen als beginnende Attacke anzunehmen. Ich weigere mich auch fast immer, präventiv ein Kopfschmerzmittel einzuwerfen.

Allerdings bereue ich dies in der Regel um drei Uhr nachts. Manchmal rede ich mir auch dann noch ein, dass die stechenden, hohlen Schmerzen schon wieder weggehen, wenn ich mich auf die andere Seite drehe. Spätestens um 5 Uhr morgens hänge ich dann mit bohrenden Schmerzen über der Toilette und übergebe mich wieder und wieder, während mir der Schweiß ausbricht.

Anschließend krieche ich zitternd zurück ins Bett, weil ich es manchmal nicht mehr auf die Beine schaffe, versuche die erste Tablette herunterzuwürgen. Heute sind dies Triptane, wie Nara- oder Sumatriptan, die den Anfall tatsächlich rasch zum Erliegen bringen – wenn man sie rechtzeitig einnimmt. Bevor diese Medikamente jedoch verschrieben wurden, musste ich es allein mit Paracetamol probieren, da ich in einem akuten Schub der Colitis kein Ibuprofen oder Aspirin zu mir nehmen durfte. Geholfen hat dieses Medikament jedoch auch nach der achten Tablette am Tag nicht. Meine ersten Anfälle erledigten sich dann – wie zuvor erwähnt – meist erst nach 16 Stunden Hölle.

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Die Kehrtwende kam erst mit dem Burn-out

Erst mit 27, nach einem Burn-out und inmitten der schwersten depressiven Episode meines Lebens, fand ich eine Neurologin, die meine Probleme ernst nahm. Sie erkannte auch die Zusammenhänge zwischen Depression, Migräne und Colitis ulcerosa.

Denn seit einigen Jahren weiß man endlich mehr über Migräne. Zum Beispiel, dass sie ebenfalls eine chronisch entzündliche Krankheit ist. Mittlerweile habe ich auch das Gefühl, dass das Wissen um Migräne gesellschaftlich und medizinisch mehr ins Bewusstsein gerückt ist. Ich musste schon lange nicht mehr erklären, dass es eben mehr als „nur ein bisschen Kopfschmerz“ ist.

Mittlerweile befinde ich mich in Remission, was die Colitis ulcerosa betrifft, und habe auch die rezidivierende Depression „im Griff“. Ich habe auch gelernt, mit Diagnosen, die lebenslange Einschränkungen bedeuten, klarzukommen. Denn auch dies war am Anfang nicht einfach. Wie soll man als junges Mädchen damit umgehen, Krankheiten zu haben, die keiner nachvollziehen kann und die man ein Leben lang mit sich herumschleppt? Im Falle der Migräne sind dies für mich nun bereits über 20 Jahre. Ein Leben ohne sie kann ich mir nicht vorstellen. Aber ich würde es gern.

Themen Erfahrung Mental Health Migräne
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