22. September 2022, 17:09 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Der französische Gesundheitsminister kündigte am 21. September an, dass die „Pille danach“ für alle Altersgruppen ab 2023 kostenlos sein wird. Auch ohne Rezept können Frauen somit schneller zur Notfallverhütung gelangen. Und: Auch der Zugang zum STI-Screening, also zu Untersuchungen auf sexuell übertragbare Krankheiten, soll verbessert werden. Was sich Deutschland davon abgucken kann.
Der neue französische Gesundheitsminister will die gesundheitliche Prävention in den Mittelpunkt seines politischen Fahrplans stellen. François Braun, ein ehemaliger Notarzt, sagte dem französischen Online-Portal „20minutes“, dass es ihm besonders um die sexuelle Gesundheit der jungen Generation geht. Er kündigte im gleichen Atemzug Maßnahmen an – eine davon wird die kostenlose „Pille danach“ in Frankreich sein.
Übersicht
Anstieg von sexuell übertragbaren Krankheiten in Frankreich
„Es gibt zwei Dinge, mit denen ich ein Problem habe“, erklärte Braun. Das seien „die Zunahme von sexuell übertragbaren Infektionen (STI), speziell Chlamydien und Gonokokken, sowie die Problematik des Zugangs zu Notfallverhütungsmitteln“.
Nach Angaben des Nationalen Referenzzentrums für sexuell übertragbare Krankheiten (STIs) war in Frankreich zwischen 2020 und 2021 ein Anstieg genannter Infektionen zu verzeichnen. Grund dafür ist unter anderem ein Rückgang der Vorsorgeuntersuchungen um fast 30 Prozent im Jahr 2020 während der COVID-Pandemie.
Um Abhilfe zu schaffen, deutete Braun an, dass er das STI-Screening bis zum Alter von 26 Jahren kostenlos machen wolle. Junge Menschen „gehören zu der Bevölkerung, die am meisten von diesen Infektionen betroffen ist“, warnte der Politiker, und fügte hinzu, dass der Anstieg „besorgniserregend“ sei. Der Schwerpunkt werde auf Prävention und Screening liegen, um „so früh wie möglich gegen das Wiederauftreten von Infektionen zu kämpfen“.
„Pille danach“ bald kosten- und rezeptfrei
Des Weiteren erklärte der Minister, dass er dafür sorge werde, dass die „Pille danach“ für alle Frauen – unabhängig vom Alter – kostenlos in Frankreich zur Verfügung stehe.
Bisher war die Notfallverhütung nur für Minderjährige ohne Rezept und für Frauen bis 26 Jahre mit einem Rezept kostenlos. In naher Zukunft wird es umfassender möglich sein, das Mittel in Apotheken zu erhalten, und zwar „ohne jede Einschränkung“, so der Minister.
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Wie sieht es in unseren europäischen Nachbarländern aus?
Im Juni 2021 nahm das Europäische Parlament eine Entschließung zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit und den Rechten der Frauen an. Die Mitgliedstaaten wurden darin aufgefordert, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen, Verhütungsmitteln und Sexualerziehung zu gewährleisten. Im darauffolgenden Jahr forderten mehrere Europaabgeordnete, die sexuelle Gesundheit in den Mittelpunkt der Prioritäten der EU zu stellen. Belgien ist hier Vorreiter: Die Notfallverhütung ist seit 2020 für alle Frauen kostenlos.
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Frankreich möchte Vorreiter beim Thema Verhütung werden
Bereits seit Anfang 2022 sind Mittel zur hormonellen Empfängnisverhütung für Frauen unter 25 in Frankreich kostenlos. Die Krankenkasse übernehmen also die Kosten für diese Altersgruppe komplett. Bei Frauen über 25 werden immerhin etwa 65 Prozent der Verhütungskosten erstattet. Die Pille danach bekommen Französinnen übrigens schon seit 1999 ohne Rezept in der Apotheke – jedoch nicht kostenfrei. Für Minderjährige ist sie hingegen schon seit 2012 kostenlos.
Was bringt es, die Pille kostenlos anzubieten?
Die Franzosen verfolgen ein klares Ziel, indem sie die Pille kostenlos anbieten: Sie wollen die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche senken. Seitdem sich Minderjährige die Pille kostenlos verschreiben lassen konnten, sind von 1000 Mädchen nur noch sechs ungewollt schwanger. Vorher seien es laut Angaben der Regierung jährlich 1000 Mädchen zwischen zwölf und 14 gewesen. Rund 770 von ihnen sollen die Schwangerschaft abgebrochen haben.
Wann erhalten Frauen in Deutschland kostenlos Verhütungsmittel?
In Deutschland übernehmen bei Frauen unter 18 Jahren die gesetzlichen Krankenkassen die gesamten Kosten für die Antibabypille. Ab 18 und bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres muss man 5 bis 10 Euro zuzahlen, der Rest wird weiterhin von den Krankenkassen übernommen. Ab dem 21. Lebensjahr werden verschreibungspflichtige Verhütungsmittel wie Pille, Spirale und Co. nur durch die gesetzliche Krankenkasse erstattet, wenn sie „medizinisch notwendig“ sind. So zum Beispiel zur Behandlung von Akne.
Deutschland hinkt noch hinterher
Frauenverbände fordern deshalb schon lange, dass Verhütung kostenlos sein muss – auch in Deutschland. Mit einer öffentlichen Bundestagspetition wollte Pro Familia bereits 2015 eine gesetzliche Änderung erreichen: Ärztlich verordnete Verhütungsmittel sollten bundesweit kostenlos sein. Die Organisation berief sich dabei auf die Konferenz der UN 1994 in Kairo, bei der sexuelle und reproduktive Rechte als Menschenrechte definiert wurden. Zu ihnen gehören unter anderem das Recht aller Menschen, frei und eigenverantwortlich über Zahl, Abstand und Zeitpunkt der Geburt ihrer Kinder zu entscheiden sowie das Recht auf ein Höchstmaß an sexueller und reproduktiver Gesundheit. Bisher ohne Erfolg.
Somit sind wir in Deutschland noch weit von sexueller und reproduktiver Selbstbestimmung entfernt. Solange es noch Frauen gibt, die ihre Verhütungsmethode nicht frei wählen oder bezahlen können, wird ein wichtiges Menschenrecht nicht umgesetzt. Gleiches gilt für die Gleichberechtigung: Frauen sollten die Kosten für die Verhütung mit der Pille nicht alleinig tragen. Eine Idee wäre unter anderem kostenlose Kondome.
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Quellen
- « La pilule du lendemain sera gratuite pour toutes les femmes », annonce le ministre de la Santé François Braun, 20minutes
- Kostenübernahme von Verhütungsmitteln, Gesundheitsamt – Zentrum für sexuelle Gesundheit und Familienplanung
- Kostenübernahme von Verhütung, proFamilia