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Enger genäht nach der Geburt

Was hinter der misogynen Praktik „Husband stitch“ steckt

Frau nach der Entbindung
Der sogenannte „Husband stitch“ wird Frauen nach der Entbindung gesetzt. STYLEBOOK erklärt die umstrittene Praktik. Foto: Getty Images
Laura Pomer freie Autorin bei STYLEBOOK

22. August 2022, 18:01 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten

Als „Husband stitch“ oder „Ehemannstich“ bekannt ist ein chirurgischer Eingriff, bei dem die Scheidenöffnung der Frau nach der Entbindung enger zugenäht wird als nötig. So will gewährleistet sein, dass der Sex mit ihr für den männlichen Partner weiterhin genussvoll bleibt. Die Praktik ist nicht nur aus moralischer Hinsicht verwerflich – tatsächlich kann sie den beabsichtigten Zweck nicht einmal erfüllen. STYLEBOOK klärt auf.

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Es liest sich wie ein modernes Horrormädchen. Von den Schmerzen und Eindrücken noch völlig benommen, bemerkt die junge Mutter so kurz nach der Entbindung gar nicht, wenn bei ihr gerissenes Gewebe zwischen Vulva und After genäht wird. Und erst recht ahnt sie es nicht, wenn mehr Stiche gesetzt werden als nötig. Die Rede ist vom Husband stich – und dieser scheint leider noch oft bittere Realität zu sein.

Was ist der Husband stitch?

Der Begriff Husband stitch steht für den extra Stich zugunsten des Ehemanns. Denn damit für ihn der Sex mit seiner Frau weiterhin genussvoll, sprich ihre Scheide angenehm eng bleibt, soll der Arzt die Nadel ein wenig öfter setzen als (wenn überhaupt) nötig. Natürlich kann durch das Nähen nur die äußerste Stelle beeinflusst werden, also der Scheideneingang. Doch dazu später mehr.

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Nähen ist nach der Geburt nur selten nötig

Bei der Geburt wird das Gewebe zwischen Scheidenrückseite und Darmausgang extrem gedehnt, sodass es zu einem Dammriss kommen kann. Jede vierte Frau erlebt diese Form der Geburtsverletzung. Manchmal ist die Kopfgröße des Kindes „schuld“, manchmal die individuelle Beschaffenheit des Gewebes. Ebenso kann der Einsatz von beispielsweise einer Saugglocke die Verletzungswahrscheinlichkeit erhöhen.

Um einen Gewebsriss im Vorfeld zu verhindern, haben Ärzte früher einen Dammschnitt vorgenommen. Heute sieht man eher davon ab, gesundes Gewebe zu versehren. Denn selbst sollte es zu einem Dammriss kommen – die Verletzungen sind häufig nur oberflächlich und verheilen dann in der Regel von selbst. Erst bei Dammrissen dritten oder vierten Schweregrads (mit Rissen des Schließmuskels oder der Darmschleimhaut) ist es überhaupt wirklich nötig, zu nähen.

Offiziell keine gängige Praxis

Beim Husband stitch kann von einer Notwendigkeit ohnehin keine Rede sein. Deshalb sind in Fachmedien keine Informationen zu dem Thema zu finden. Viele Mediziner in Deutschland behaupten daher, dass die Praktik gar nicht existiere. STYLEBOOK hat bei einem erfahrenen deutschen Geburtshelfer nachgefragt. Er sei noch nie von einem Mann um diesen „Gefallen“ gebeten worden – aber einmal von einer Frau.

Auf jeden Fall ist der Husband stitch kein Mythos. Sonst hätte er in den USA schließlich nicht verboten werden können. Seit Anfang dieses Jahres machen sich Ärzte dort durch seine Durchführung strafbar, ebenso mit einer sogenannten „Jungfräulichkeitsreparatur“, und zwar unabhängig davon, ob die behandelten Frauen ihr Einverständnis gegeben haben oder nicht.

Erfahrungsberichte aus Deutschland

In Internet-Foren berichten auch deutsche Frauen davon, nach der Entbindung deutliche Veränderungen im Intimbereich wahrgenommen zu haben. Eine von ihnen schreibt, dass ihre Hebamme bestätigt habe, „dass die Naht anders aussieht. Sie sagte: it’s like a pocket“ (= „wie eine Tasche“). Eine andere steht dazu, einen Husband stitch angeboten bekommen – und sich dafür entschieden zu haben. „Ich habe bewusst das Risiko von Schmerzen beim Geschlechtsverkehr in Kauf genommen. Mein Wunsch war, wieder eine schöne Scheide zu bekommen (…) wie schmerzhaft es werden würde, hab ich nicht so sehr bedacht.“

Wie es scheint, ist es also nicht immer der sexistische Mann, der dem Arzt vor der Entbindung ein paar Scheine zusteckt. So berichtet gegenüber STYLEBOOK ein Vater (34) anonym, vor der Entbindung seiner Tochter gefragt worden zu sein, ob er einen sogenannten Ehemannstich wünsche. Er habe natürlich abgelehnt; und der Arzt sich mit seinem Vorschlag nicht zuletzt als schlechter Mediziner geoutet.

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Der Schnitt bringt nichts – außer Schmerzen

Vorab sei gesagt: Selbst wenn der Husband stitch einen Zweck erfüllen würde, könnte das die Abscheulichkeit der Praktik, die nicht zuletzt die Mutter aufs Perverseste entmündigt, natürlich nicht rechtfertigen. Und er tut es nicht einmal. Das sollten natürlich auch Frauen wissen, die sich vermeintlich überzeugt, für die Verengung ihrer Scheide entscheiden. Durch das Zunähen der Scheidenöffnung kann natürlich die Scheide selbst nicht enger und straffer werden. Der einzige mögliche Effekt, sind Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, wenn der Penis durch den zu engen Scheideneingang dringt.

Zu enges Zunähen kann extremem Leidensdruck bedeuten

Frauen, deren Scheidenöffnung zu eng genäht wurde, verlieren oft vollständig den Spaß am Sex. Manche können die Schmerzen nicht ertragen oder bluten dabei. Um das Problem zu beheben, ist ein erneuter chirurgischer Eingriff nötig. Betroffene berichten von jahrelangem Leid.

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Quellen

– mit fachlicher Beratung von Gynäkologe Dr. med. Jürgen Klinghammer
– ‚Husband Stitch‘ And ‚Virginity Repair‘ Procedures Are Set To Become Illegal(…), elle.com
Husband stitch TABUTHEMA, babycenter.de

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