5. Oktober 2022, 11:11 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Viele Frauen wünschen sich, Mutter zu sein. Doch was, wenn ich mein Kind nach der Geburt nicht lieben kann? Wenn sich statt Glücksgefühlen Traurigkeit und Verzweiflung breitmachen? STYLEBOOK sprach mit einer Psychologin über postnatale Depressionen – wie man sie erkennt, behandelt und ihnen auch vorbeugen kann.
Postnatale Depression: Symptome und Verlauf
Es ist zunächst einmal völlig normal, wenn Frauen nach der Entbindung unter depressiven Verstimmungen leiden. Man spricht auch vom „Baby-Blues“. „Manche Studien gehen davon aus, dass bis zu 80 Prozent der Frauen so etwas nach der Geburt erleben“, sagt Diplom-Psychologin Sandra Jankowski. „Oft hängt dieses Stimmungstief mit der hormonellen Umstellung zusammen und klingt von selbst wieder ab, sobald der Hormonhaushalt wieder im Gleichgewicht ist.“
Eine postnatale Depression tritt in der Regel in den ersten zwei Jahren nach der Geburt auf und verläuft schleichend. „Die Betroffenen sind traurig und weinen viel“, erklärt die Psychologin. „Sie leiden unter Konzentrationsstörungen und erhöhter Reizbarkeit bis hin zur Aggressivität.“ Meist treten auch körperliche Symptome, wie beispielsweise Schwindel, Zittern, Herzrasen oder Schwächeanfälle, auf. „Oft fehlt den Frauen der Antrieb“, sagt Sandra Jankowski. „Hoffnungslosigkeit macht sich in ihnen breit. Die Betroffenen wirken teilnahmslos und zeigen kein Interesse an ihrem Kind. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass die Mütter ihr Kind nicht lieben oder lieben werden. Dieses Desinteresse ist ein Symptom der postnatalen Depression und kann Ausdruck zu hoher Erwartungen sein.“
Die Symptome einer postnatalen Depression ähneln der einer klassischen Depression. „Mitunter kommen im Verlauf der postnatalen Depression auch noch weitere Störungen, wie beispielsweise Ängste, Panikattacken oder Zwangshandlungen, hinzu“, erklärt die Psychologin.
Postnatale Depression: mögliche Ursachen
Es lässt sich nicht 100 Prozentig vorhersagen, welche Frauen postnatale Depressionen entwickeln werden. Es gibt aber Faktoren, die es begünstigen. „Wer vor der Geburt schon einmal an Depressionen litt, hat ein erhöhtes Risiko für postnatale Depressionen“, sagt Sandra Jankowski. „Hatte man vorher noch keine Depressionen, aber ist die Krankheit in der Familie bereits gehäuft aufgetreten, kann man entsprechend erblich vorbelastet sein.“
Es gibt aber auch bestimmte Persönlichkeitszüge, die postnatale Depressionen begünstigen können. „Man hat in Studien festgestellt, dass Frauen mit hohem Kontroll- und Sicherheitsbedürfnis eher an postnatalen Depressionen erkranken als andere“, erklärt die Psychologin. „Der Druck, plötzlich für so ein kleines Wesen Verantwortung zu tragen, kann zur Belastung werden und Frauen überfordern. Oft wird ihnen erst so richtig bewusst, was es bedeutet, Mutter zu sein, wenn sie ihr Baby zum ersten Mal im Arm halten. Die Wucht dieser Realisierung kann manche Frauen geradezu umhauen.“
Auch perfektionistische Frauen sind eher betroffen. Sandra Jankowski weiß aus ihrem Therapie-Alltag: „Frauen, die auch in anderen Bereichen immer nach Perfektion streben und generell mit eigenen Fehlern nur schwer umgehen können, werden es schwerer haben als andere, mit dieser Fülle an neuen Aufgaben und Verantwortlichkeiten klarzukommen.“
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Weitere Faktoren
Es gibt aber noch weitere Faktoren, die eine Rolle spielen können. „Frauen, die zusätzlich Geldsorgen haben oder ganz auf sich allein gestellt sind, haben ein erhöhtes Risiko, an postnatalen Depressionen zu erkranken“, erklärt die Psychologin. Der Ablauf einer Geburt, also ob man beispielsweise einen Kaiserschnitt hatte, stehe dagegen in keinem direkten Zusammenhang mit postnatalen Depressionen. „Vielmehr ist es so, dass manche Frauen nach der Geburt schlichtweg enttäuscht sind“, sagt Sandra Jankowski. „Sie haben es sich mit ihrem Baby im Vorfeld ganz anders ausgemalt. Nach der Geburt tritt Ernüchterung ein und manche Frauen stellen fest, dass es nicht nur schön ist, Mutter zu sein. Dieses Gefühl, gepaart mit dem Verantwortungsdruck, kann schnell zu postnatalen Depressionen führen.“
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Behandlungsmöglichkeiten
Eine postnatale Depression ist sehr gut behandelbar. Die Behandlung richtet sich nach ihrer Ausprägung. Die Psychologin empfiehlt bei leichter Form folgende Maßnahmen: „Viel Bewegung an der frischen Luft. Bewusste Auszeiten vom Kind einplanen. Elterntreffs besuchen oder sich mit Freunden austauschen. Wichtig ist, zu spüren, dass man mit seinen Gefühlen nicht allein ist.“
Halten die Symptome über mehrere Wochen an, klingen nicht ab, sondern verstärken sich, sollte man einen Arzt aufsuchen. Dabei kann man sich an den Kriterien einer klassischen Depression orientieren. „Sind diese erfüllt, kann eine Psychotherapie dabei helfen, den Ursachen der postnatalen Depression auf den Grund zu gehen“, sagt die Psychologin. „Auch Medikamente können die postnatale Depression abdämpfen. Man wendet sich am besten als Erstes an seine Hausärztin bzw. seinen Hausarzt und bespricht gemeinsam die weiteren Schritte.“
Unbehandelt kann eine postnatale Depression in sehr seltenen Fällen zu suizidalen Gedanken, einer Psychose und auch zu einer schweren Persönlichkeitsstörung führen. „Das kann mitunter sehr schnell innerhalb von nur zwei Wochen nach der Geburt geschehen“, warnt Sandra Jankowski. „Treten Suizid- oder Tötungsgedanken, Wahnvorstellungen oder Verfolgungsängste auf, sollte man sofort ärztlichen Rat einholen oder gleich eine psychiatrische Klinik aufsuchen, damit sich die Frauen nicht selbst oder andere verletzen.“
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Postnatale Depression vorbeugen
Die Psychologin hat ein paar Anregungen für werdende Mütter, wie sie einer postnatalen Depression möglicherweise entgegenwirken können. „Nicht alle Frauen entscheiden sich dafür, eine Hebamme zu haben. Sie können aber eine wichtige Unterstützung sein“, sagt Sandra Jankowski. „Sie bekommen oft als erste mit, wenn Frauen eine postnatale Depression entwickeln. Hebammen haben ein geschultes Auge und erkennen schnell, ob sich etwas anbahnt und können erste Hilfestellungen geben oder einleiten.“
Die Psychologin rät, gezielte Entspannungsübungen und leichten Sport fest einzuplanen. „Am besten probiert man bereits vor der Geburt aus, was einem hilft, an stressigen Tagen zur Ruhe zu kommen und neue Kraft zu schöpfen“, so Jankowski. „In den ersten Wochen nach der Geburt sollte man zusätzliche Stressfaktoren unbedingt vermeiden. Planen Sie also bitte keinen Umzug in eine neue Wohnung ein, sondern gönnen Sie sich stattdessen Ruhe nach der Geburt.“
Hilfreich ist auch, sich bereits vor der Geburt ein stabiles Netzwerk an Unterstützung aufzubauen, indem man sich zum Beispiel mit anderen Schwangeren zusammentut. „Wichtig ist aber auch, sich schon früh bewusst zu machen, dass sich Freundschaften durch eine Geburt verändern können“, sagt die Psychologin. „Manche Freundinnen gehen plötzlich auf Distanz. Das passiert immer wieder. Es ist gut, wenn Sie sich im Vorfeld darauf einstellen, um später nicht zu enttäuscht, zu sein.“
Neben der Unterstützung und den sozialen Kontakten ist es aber auch sinnvoll, sich so früh wie möglich mit der eigenen Mutterrolle auseinanderzusetzen. „Fragen Sie sich: Welche Vorstellungen, Erwartungen, Ansprüche habe ich? Was bereitet mir Sorgen?“, rät die Psychologin. „Wer bereits im Vorfeld an seinem Perfektionismus sowie Kontroll- und Sicherheitsbedürfnis arbeitet, beispielsweise mit Hilfe eines Coachings, wird es nach der Geburt leichter haben.“
Quellen
- Mit fachlicher Beratung von Diplom-Psychologin Sandra Jankowski