2. März 2018, 16:32 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
In Zeiten von Instagramfiltern und Fake Lashes dreht sich alles um unser Äußeres. Wir optimieren, korrigieren und kontrollieren praktisch rund um die Uhr, die Mittel dazu haben wir jederzeit zur Verfügung. Irgendwie schade, aber ändern kann man’s eh nicht. Oder etwa doch? Ich wollte es genauer wissen und startete den Selbstversuch: eine Woche ohne Spiegel. Wie es mir dabei ergangen ist?
Eigentlich kann ich mein Spiegelbild ganz gut leiden. Ich habe meine Problemzonen und Schwachstellen wie jeder andere Mensch auch. Aber grundsätzlich habe ich akzeptiert, was ich zu sehen bekomme. Für die großen Veränderungen bin ich ohnehin zu pleite, und für die Kleinen meistens zu faul. Ich war mir also ziemlich sicher: Das mit den Spiegeln meistere ich mit links. Von wegen…
Tag 1
Als ich verschlafen ins Badezimmer torkele und das Licht anschalte, erschrecke ich mich kurz wegen des bunten Tuchs, das am Vorabend den Platz unseres Badezimmerspiegels eingenommen hat. Montagmorgen ist ohnehin schon nicht meins und jetzt das? Naja, mein Morgenritual (Frühstücken, Zähne putzen und die obligatorische Gesangseinlage unter der Dusche), funktioniert auch ohne Spiegel erstaunlich gut und meine Laune bessert sich schlagartig. Vermutlich ist es gar nicht so schlecht, mein verquollenes Guten-Morgen-Gesicht erstmal nicht aus der Nähe zu betrachten. Ich verpass‘ ja nichts.
Von meinen positiven Gefühlen beflügelt, ziehe ich mein bereitgelegtes Outfit über und mache einen fatalen Anfänger-Fehler: Ich versuche, mich zu schminken. Die Folgen sind überdimensionale Panda-Augen, eine von mir aufgeweckte und sehr mies gelaunte Mitbewohnerin und eine ganze Packung verbrauchter Reinigungstücher. Weil ich noch dazu viel zu spät zur Arbeit komme, beschließe ich, das mit der Mascara erstmal zu lassen.
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Tag 2
Ich habe aus den Erfahrungen des Vortages gelernt und benutze heute nur ein bisschen Puder, weil das auch ohne Spiegelbild ganz gut funktioniert – hoffe ich zumindest. Schwieriger gestaltet sich allerdings der Arbeitstag. Das Gebäude besteht praktisch nur aus Glas, die Fahrstühle sind verspiegelt und es gibt riesige Fenster direkt neben meinem Schreibtisch. Ich laufe also mit gesenktem Kopf durchs Leben, achte peinlich genau auf die Reaktionen meines Umfelds und bin ständig auf der Hut. Dauernd ernte ich komische Blicke für verrutschte Klamotten oder mein zerzaustes Haar. Zumindest fühlt es sich so an.
Dennoch überrascht es mich, wie leicht mir die Abstinenz insgesamt fällt. Mittlerweile habe ich die wichtigsten Spiegel, die mir in meinem Alltag begegnen, auf dem Schirm, und gehe ihnen gekonnt aus dem Weg. Was ohne Spiegel nicht geht, lasse ich eben weg. Ich frage mich, ob ich einfach unterdurchschnittlich eitel oder aber überdurchschnittlich zerstreut bin. Jedenfalls fällt es mir viel schwerer, mein Spiegelbild nicht unabsichtlich anzugucken, als absichtlich.
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Tag 3
Tag drei und schon verpatzt. Als ich den Fahrstuhl betrete, hebe ich den Blick, um etwaige Mitfahrer zu begrüßen – und sehe direkt in mein Gesicht. Der Innenraum ist leer und komplett verspiegelt. Mist! Ich senke den Blick auf mein Handy, das mir in diesen schweren Tagen ein Gefühl von Sicherheit gibt – zumindest, solange der Bildschirm leuchtet und nicht reflektiert. Ich beschließe, das Experiment weiter zu führen, immerhin habe ich ja nicht mit Absicht geschummelt. Und trotzdem fühlt es sich irgendwie so an.
„Du siehst ja fertig aus, langen Tag gehabt?“ Abends beim Essen mit Freunden muss ich mich für meine ungeschminkte Visage entschuldigen und mit dem Rücken zur verspiegelten Bar-Theke sitzen. Meine Frisur sitzt katastrophal, aber das sagt mir natürlich keiner. Ich werde das Gefühl nicht los, dass sich mein direktes Umfeld über mein Experiment amüsiert – ganz im Gegensatz zu mir.
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Tag 4
Mein Morgenritual hat sich mittlerweile um gute 30 Minuten verkürzt (Schminke? Brauch‘ ich nicht mehr!) und die Zeit, die ich dadurch länger schlafen kann, finde ich sinnvoll investiert. Den ganzen Rest versuche ich mit Humor zu nehmen, was sich als echte Herausforderung entpuppt. Ich steigere mich nämlich ganz bewusst in meinen Selbsttest hinein und werde immer verbissener im Spiegel-Meiden. Mein Patzer vom Vortag hat fatale Folgen, denn die wachsende Angst, mir irgendwann mein eigenes Scheitern eingestehen zu müssen, kontrolliert beinahe vollständig meinen Alltag. Mittlerweile verstehe ich Menschen, die von Briefmarken, Steinen oder was auch immer besessen sind. Das ist wie dieser Diät-Wahn, dem manche 13-jährige Mädchen verfallen, nur mit weniger offensichtlichem Effekt. Naja, denke ich, als mir meine Mascara-Eskapaden vom Montagmorgen und das Grinsen meiner Mitbewohnerin wieder einfallen.
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Tag 5
Bei einem Feierabendbier im Freundeskreis diskutieren wir die schlimmsten Folgen, sozusagen die Worst-Case-Szenarien meines Selbsttests. Warum, weiß ich auch nicht genau. „Glaubst du, dass du dein Spiegelbild irgendwann nicht mehr wieder erkennst?“, fragt mich ein Kumpel. „Bestimmt gruselst du dich dann vor dir selbst“, scherzt meine Mitbewohnerin. Ich erfahre eher zufällig von diversen Wetten, die auf mein Scheitern ausgesetzt wurden und bin beleidigt, weil die Einsätze so hoch sind. Echt jetzt?! Von einer Freundin bekomme ich ein Kompliment für mein zusammengestelltes Outfit, eine andere begleitet mich zur Damentoilette – „um aufzupassen“.
Wir bleiben, bis die Bar zumacht. Meine Freunde wollen noch weiterziehen und rufen ein Taxi. Ich bin müde und fühle mich außerdem irgendwie unwohl. Ein Wollpulli und etwas Lipgloss lassen mich nicht glamourös genug fühlen, um die Nacht durchzutanzen. Ich verabschiede mich und gehe nach Hause. Ob ich ohne das Experiment geblieben wäre, kann ich nicht sagen. Wohler gefühlt hätte ich mich an diesem Abend allemal.
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Tag 6
Normalerweise gehe ich Samstagvormittags zum Sport. Ein vollständig verspiegeltes Yoga-Studio erscheint mir für meinen letzten Tag dann aber doch zu tricky. Also mache ich zu Hause ein Workout auf der Matte, frühstücke lange und verbringe den Tag mit einem großen Wohnungsputz. Nachmittags helfe ich einer Freundin beim Umzug. Während sie auspackt, mache ich noch einige Besorgungen mit ihrem Auto. Dass ich mehrmals in die Seiten- und Rückspiegel blicke, wird mir erst im Nachhinein bewusst. Aber gut, ist ja nicht so, als hätte ich eine andere Wahl gehabt. Ich denke lange über die verschiedenen Funktionen der Spiegelung nach und bin erstaunt darüber, was ich im Alltag normalerweise alles ausblende.
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Tag 7
Während ich mit meiner Cousine über einen Flohmarkt spaziere, lasse ich die letzte Woche Revue passieren. Sie fragt mich, was mir das rückblickend gebracht hat. Gute Frage. Ich bin in erster Linie überrascht davon, wie schnell ich mich an die neue Situation gewöhnen konnte. Wir brauchen Spiegel, keine Frage. Sie sind eine praktische und manchmal unumgängliche Erfindung, die zulässt und ermöglicht, dass wir unserem äußerlichen Selbst näher kommen. Aber auf meinen Wegen durch die Stadt fielen mir oft diese schnellen Blicke auf, mit denen Menschen ihr Äußeres überprüfen – aus reiner Gewohnheit, meist sogar unterbewusst. Fensterscheiben, Glastüren oder Handy-Bildschirme sind dafür besonders beliebt, von den zahllosen „versteckten“ Spiegeln mal ganz zu schweigen. Wir ziehen Extra-Selbstbewusstsein aus diesen Kontrollblicken, die meistens doch nicht nötig waren. Ich merke, dass es mir gut getan hat, mich eine Weile davon zu distanzieren. Ich bin nicht weniger eitel geworden, werde auch in Zukunft auf mein Äußeres achten, oder mir ab und zu im Spiegel zuzwinkern. Aber wie meine Haare sitzen, ist mir jetzt auch mal egal. Zumindest für die nächsten zwei Stunden.