21. Juli 2022, 11:43 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Während sich die einen über das Sommerwetter freuen, leiden diejenigen besonders, die sich in luftiger, körperentblößender Kleidung unwohl fühlen. Doch die sogenannte Body Anxiety ist natürlich zu jeder Jahreszeit ein Problem, nicht zuletzt beim Dating. STYLEBOOK klärt über das Phänomen auf, das längst kein neues ist, aber jetzt völlig neue Dimensionen erfährt.
Übersicht
Was ist Body Anxiety?
Anxiety ist der englische Begriff für Angst. Bei einer „Anxiety Disorder“ sprechen Mediziner von einer Angststörung. „Body Anxiety“ steht für die Angst, dass der eigene Körper nicht dem bestehenden Schönheitsideal entspricht. In dem Zusammenhang spielt Bodyshaming eine wesentliche Rolle. Betroffene schämen und fürchten sich davor, ihren Körper zu zeigen, nicht schön genug zu sein – ausgelacht oder ausgegrenzt zu werden.
Gibt es seit Jahrhunderten
„Den Druck, einer bestimmten zeitgemäßen Vorstellung von Schönheit entsprechen zu müssen, gibt es seit Jahrhunderten“, erklärt Therapeutin Susanne Brümmerhoff. „Warum sonst hätten sich Chinesinnen die Füße abgebunden und verkleinert oder Frauen die Taillenweite so eng zusammen zusammengeschnürt, bis sie nicht mehr atmen konnten?“
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Wie Body Anxiety entsteht
Erfahrungen in der Kindheit
Bereits im Kindergarten seien Mädchen und Jungs verletzenden Abwertungen ausgesetzt, die an ihrem Selbstwertgefühl nagen. Auch durch die Eltern würden oft – wenn auch mit einer völlig anderen Absicht – fragwürdige Werte vermittelt. Komplimente wie „du siehst aber hübsch aus“ sind vielleicht lieb gemeint, vermitteln Kindern schon früh, dass vor allem das Aussehen wichtig ist.
Soziale Medien
Das Internet und die sozialen Medien haben eine „permanente Be- und Abwertungskultur“ etabliert, sagt die Therapeutin. Das trage stark dazu bei, dass sich aus dem Körper- und Schönheitswahn eine sehr gegenwärtige Body Anxiety ableitet. Man werde sofort bewertet, sobald man ein Foto oder Video online stellt. Dabei können nicht nur Kommentare zu einem selbst, sondern auch solche zu anderen Nutzern Unsicherheiten schüren.
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Pornos
Brümmerhoff nennt den immens gesteigerten Konsum von Pornos. „Weil bereits sehr junge Menschen Pornos konsumieren, besteht ein komplett unrealistischer Performance-Druck“, erklärt die Expertin. „Dieser befeuert zudem sehr tradierte Rollenbilder und lässt sie wieder aufleben.“
Dating-Portale
Singles scheuen sich zunehmend davor, sich auf den virtuellen „Markt“ zu begeben – vor allem Fotos, sprich Äußerlichkeiten, sind bei Tinder und Co. das wesentliche Aushängeschild eines Menschen. „Die etwas brutale Wegwisch-Methodik trägt ihr Übriges dazu bei, dass Menschen Angst bekommen, aussortiert zu werden, weil sie optisch nicht genügen“, bringt Susanne Brümmerhoff auf den Punkt.
Wie Body Anxiety das Liebesleben beeinflusst
Susanne Brümmerhoff bietet neben Einzel- auch verstärkt Paartherapien an. Laut ihren Beobachten sind Beziehungen, in denen einer der Partner an Body Anxiety leidet, auffällig sexlos. Denn die betroffene Person glaubt, im Vergleich mit den perfekten Körpern aus dem Internet nicht gut abzuschneiden, sie zeigt sich daher nicht gern nackt. „Wer denkt, dass Sexualität so ablaufen muss, wie in den immer drastischer werdenden Pornos, empfindet sich schnell als ungenügend“, so die Expertin.
Auf der anderen Seite begegnet ihr auch zunehmend der Fall, dass junge Menschen mit einer ausgeprägten Body Anxiety aufgrund ihrer Selbstwertprobleme gar nicht mehr erst versuchen, einen Partner zu finden. Brümmerhoff: „Sie denken: ‚Wem kann ich mich denn zumuten, wenn ich so unperfekt aussehe?‘“
Tipps, um Body Anxiety zu therapieren
Mit dem Vergleichen aufhören
Das ist für Betroffene natürlich leichter gesagt als getan. Was helfen kann: sich zu vergegenwärtigen, dass jeder Körpertyp anders – und das auch gut so ist! Der eine ist nicht besser als der andere. Das Thema Diversity soll nicht mehr nur ein Begriff sein, sondern auch echte Vielfalt bringen. Einzigartigkeit kann bei anderen schön sein, und so natürlich auch bei einem selbst.
Betroffene sollten es auch vermeiden, Castingshows wie beispielsweise „Germany‘s Next Topmodel“ zu schauen. „Irgendeine Abwertung bleibt doch hängen und wird auf den eigenen Körper übertragen“, weiß Therapeutin Brümmerhoff, die früher eine Wohneinrichtung für essgestörte junge Frauen geleitet, aus Praxiserfahrung.
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Und: Pornos bitte richtig einordnen. „Lösen Sie sich davon, etwas nachahmen zu müssen, was dort vorgegeben und anscheinend geleistet werden muss“, empfiehlt sie. Das Dargestellte habe oft wenig mit dem zu tun, wie echte Sexualität abläuft.
Hören Sie auf, bei sich Fehler zu suchen
„Body Checking“ bezeichnet ein Kontrollverhalten, das sich in der regelmäßigen Überprüfung der eigenen Körperformen, des Gewichts und der Figur äußert. Es kann eine Vorstufe von ernsthaften Verhaltens- und Essstörungen sein – und hängt eng mit Body Anxiety zusammen. Betroffene stellen sich regelmäßig auf die Waage, schauen in den Spiegel und dokumentieren, was sie sehen/hassen auf Fotos und Videos. Sie fixieren sich auf vermeintliche Fehler und Problemzonen, die sie hässlich finden, und lassen sich dies auch oft von anderen bestätigen.
Erkennen Sie sich wieder? Dann setzen Sie sich auf kalten Entzug! Stellen Sie Ihre Waage in den Keller, unterdrücken Sie den Impuls, Ihr Aussehen zu dokumentieren und schauen Sie auch mal am Spiegel vorbei. Sie sind okay wie Sie sind. Gerade, in zehn Minuten, und garantiert auch noch in ein paar Stunden oder Tagen.
Benutzen Sie keine Filter auf Social Media
Brümmerhoff warnt außerdem davor, auf Instagram und Co. Filter zu verwenden, wenn man Fotos oder Videos einstellt. Diese Täuschung rächt sich vor allem bei einem selbst. In den Worten der Expertin: „Man kann Angst bekommen, wenn man sich dann wieder mit seinem wahren Aussehen in der Realität begegnet.“.
Trainieren Sie Selbstliebe und -respekt
Fett, hässlich – Begriffe, die Menschen mit Body Anxiety auf sich selbst anwenden. Aber mal ehrlich: Würden Sie mit anderen auch so hart ins Gericht gehen? Hoffentlich nicht. In jedem Fall sollten Sie es abstellen, sich selbst zu beleidigen und sich Komplexe anzuzüchten. Sie haben es verdient, geliebt und respektiert zu werden. In aller erster Linie von sich selbst.
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Mit dem Partner über Sex sprechen
„Paaren empfehle ich, mehr über Sex zu sprechen“, berichtet Brümmerhoff. Dies könne auch im Rahmen einer Therapie passieren. Es soll darum gehen, was die jeweiligen Partner sich wünschen, was sie anregend und schön finden, welche Bedürfnisse es zu stillen gilt – „und wie wichtig das Aussehen dabei wirklich ist.“ Es zeige sich oft, dass der Partner sich von den individuellen Formen des anderen sehr angezogen fühlt. Das könne sehr viel Entlastung schaffen.
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Quellen
– mit fachlicher Beratung von Therapeutin Susanne Brümmerhoff
– Dating app Bumble to ban users for body shaming, The Guardian
– What’s Body Checking and How Can You Control It?, Healthline