8. November 2022, 13:50 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Dick, dünn, groß oder klein – eigentlich sollte es egal sein, wie jemand aussieht. Dennoch lassen sich Millionen von Frauen tagtäglich von Schönheitsidealen unter Druck setzen – Instagram und Co. sei Dank. Ein Fotoprojekt will für mehr Selbstliebe sorgen, indem es menschliche Körper in all ihrer Vielfalt zeigt. STYLEBOOK hat mit Initiatorin Caro Gugu gesprochen.
Liebe deinen Körper, egal, wie er aussieht. Das hat sich die Body-Positivity-Bewegung auf die Fahnen geschrieben. Das hört sich in Zeiten der sozialen Medien erst einmal toll an. Schließlich lassen sich durch Instagram oder TikTok viele Frauen noch immer verunsichern und beeinflussen, wie die Ergebnisse des Beauty Impact Reports 2022 von STYLEBOOK bereits zeigten. Für Caro Gugu (31) keine Überraschung. Gemeinsam mit der Psychologin Caro Hopp (30), die 2019 das Fotoprojekt „Dein Körper ist genug“ ins Leben rief, setzt sie sich dafür ein, alle Arten von Frauen und Männerkörper sichtbarer zu machen – und zwar hüllenlos. Egal, ob sie an einer Essstörung erkrankt, mehrgewichtig sind, eine Behinderung haben oder an Akne leiden.
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Dein Körper ist genug: Persönliche Geschichten sollen für mehr Selbstliebe sorgen
Beide Caros haben selbst erlebt, was es bedeutet am eigenen Körper zu zweifeln und sich von anderen beeindrucken zu lassen. Hopp litt selbst an einer Essstörung und nutze die Nacktbilder als einen Weg, wieder zu sich selbst zu finden. Gugu hingegen war als Teenagerin magersüchtig, wog zwischenzeitlich nur 49 Kilogramm. Später wurden es 160 Kilogramm auf der Waage.
2019, beim ersten Aufruf Hopps auf Instagram, entschied Caro G., all ihren Mut zusammenzunehmen und auch nackt vor der Kamera zu posen. „Ich kam damals gerade aus einer sehr langen Beziehung und war frisch in der Trennungs- und Selbstfindungsphase – und war unglaublich unzufrieden mit meinem Körper“, erinnert sie sich. Das habe auch an ihrem Ex-Partner gelegen, der ihr Sätze sagte, wie: „Deine Schenkel sind zu fett, um beim Sex oben zu sein.“
Gugu wollte als Single unbedingt abnehmen, um für Männer wieder attraktiv sein zu können: „Aber nach ein wenig Nachdenken, bin ich darauf gekommen, dass es ziemlich irrational ist, sich von einem Menschen so runterziehen zu lassen. Durch Dating und sexuelle Erfahrungen habe ich schnell verstanden, dass ich, so wie ich bin, begehrenswert bin. Dabei hat auch das Fotoshooting mit Caro geholfen – und ich wollte diese Erfahrung unbedingt mit so vielen wie möglich teilen. Deswegen bin ich als Initiatorin dazugestoßen.“
Auch Body Positivity inszeniert Körper auf eine gewisse Art und Weise
Immerhin: Auf Instagram gibt es dank der Body-Positivity-Bewegung mittlerweile nicht mehr ausschließlich normschöne Körper. Dennoch inszenieren auch die Influencer dieser Bewegung ihre Körper auf eine ganz bestimmte Art und Weise – eben so, dass sie als ästhetisch wahrgenommen werden. Für Gugu ist das problematisch, denn es zeigt nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit, den aber viele als ultimative Wahrheit ansehen: „Durch das, was wir auf Instagram sehen und weil wir damit täglich konfrontiert sind, haben wir halt irgendwann das Gefühl: So muss das sein.“
Dabei sei es doch normal, dass Frauen auch mal Pickel im Gesicht haben und jeder auch eine unterschiedliche Körperform hat. Diese Vielfalt sei ihrer Meinung nach nicht wirklich repräsentiert in den Medien: „Meistens werden zwar Frauen mit unterschiedlichen Körperformen gezeigt, aber auch sie entsprechen einem möglichen Idealbild – die Mehrgewichtigen haben eine schmale Taille und die Proportionen sind einfach gut verteilt und sie haben eine reine, glatte Haut. Aber Frauen mit ungleich großen oder schlaffen Brüsten oder Amputationen sieht man eher selten.“
Darum soll „Dein Körper ist genug“ alle Arten von Körpern zeigen
Bei ihrem Fotoprojekt, das mittlerweile mehr als 100 Menschen porträtiert hat, gehe es nicht nur darum, etwa die Diskriminierung von Mehrgewichtigen im Alltag zu thematisieren. „Für uns bedeutet Body Positivity, dass wir einfach alle inkludieren. Es gibt mehr als ‘Frau mit Mehrgewicht’. Unser Ziel ist es, dass alle Geschlechter sich offener und auch verletzlicher zeigen können“, sagt Gugu.
Bislang sei das eben noch immer etwas, das eher Frauen eingestanden werde, findet sie: „Frauen empowern sich bei solchen Fragen eher, in der queeren Community ist es auch so, es gibt viel Support. Heterosexuelle Männer schweigen eher. Wäre es nicht viel schöner, wenn wir alle offener gegenüber anderen Menschen sind?“ Bisher ist das Feedback für ihre Initiative durchweg positiv. Auf den Vernissagen, in denen die Fotos präsentiert werden, die inzwischen in Zusammenarbeit mit mehreren Fotografen entstehen, gebe es viel Austausch. Auf Social Media habe es bislang keine Hatespeech gegeben.
Taylor Swifts neuestes Video regte Diskussion erneut an
Dass Themen rund um Selbstwahrnehmung und Körperbilder auch im Jahr 2022 große Wellen schlagen, zeigte sich zuletzt an der Diskussion rund um das Musikvideo zu Taylor Swifts Single „Anti- Hero“. In einer Szene steigt die Sängerin auf eine Waage und das Wort „Fat“ (deutsch: „fett“) wird angezeigt. Die Popsängerin erntete harsche Kritik. Swift könne nie verstehen, wie sich eine mehrgewichtige Person fühle, weil sie dem gängigen Schönheitsideal entspreche. Caro Gugu sieht solche einseitigen Betrachtungen kritisch.
Durch ihre persönliche Geschichte könne sie beide Seiten verstehen: „Du bist einfach nie zufrieden mit deinem Körper. Du nimmst einfach nicht mehr wahr, wie dein Körper aussieht. Es geht immer um den Vergleich. Wir sitzen alle in einem Boot, wir fühlen uns unsicher. Ich finde, man darf dieses Gefühl niemanden absprechen.“ Auch das sei ein großes Thema bei ihrem Body-Positivity-Projekt.
Es geht nicht um die äußere Hülle, sondern um das, was der Mensch erlebt hat
Einer der emotionalsten Momente sei für sie die Geschichte eines Models gewesen. Sie wurde adoptiert und habe erst in ihren Zwanzigern erfahren, wer ihre leibliche Mutter war. Sie hat sie aber nie persönlich kennengelernt. „Ihre Mutter war drogenabhängig und hat als Prostituierte gearbeitet. Als Säugling wurde sie mehrere Tage alleingelassen ohne Nahrung und kam später in eine Adoptivfamilie. Aber auch die haben sich nicht wirklich um sie gekümmert“, erzählt Gugu.
Durch die Drogensucht der Mutter während der Schwangerschaft ist eine Brust des Models in der Pubertät nicht richtig gewachsen. „Das alles zu hören und wie sie mit diesem Schicksalsschlag umgeht, hat mich emotional sehr berührt und getroffen!“, so Gugu. Auf die Frage hin, ob es eher Frauen von Selbstzweifeln im Hinblick auf das eigene Körperbild betroffen sind, ist die Initiatorin zwiegespalten: „Ich kann da nur meine Sicht wiedergeben, aber ich glaube generell gibt es da nicht so viele Unterschiede – nur der Umgang ist ein anderer.“ Bei Männern fände vieles noch im Verborgenen statt, sie thematisieren Zweifel seltener als Frauen. „Hinzukommt eben auch, dass die meisten Beauty-Produkte, die auf solche vermeintlichen Makel abziehen, fast ausschließlich auf Frauen abzielen. Dadurch ist das Problem einfach sichtbarer“, findet sie. Auch hier möchte die Aktivistin ein Umdenken fördern.
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Da ein verzerrtes Körperbild, Bodyshaming, Schönheits- und Optimierungswahn bereits in jungen Jahren entstehen würden, sei es das erklärte Ziel von Hopp und Gugu vor allem auch die Bildungsarbeit zu Körperakzeptanz und -diversität bundesweit für Kinder und Jugendliche auszubauen. Um diesen Traum umsetzen zu können, läuft noch bis zum 29.11. eine Crowdfunding-Kampagne.
Aber wie sieht es eigentlich bei Caro Gugu selber aus – nutzt sie Instagram und lässt sich davon beeinflussen? „Also ich bin mit meinem Algorithmus jetzt sehr zufrieden! Mein Feed besteht vor allem aus Katzen-Videos. Aber es ist schon spannend, wie unterschiedlich das bei jedem ist“, sagt sie mit einem Lachen.