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STYLEBOOK-Interview

Selflove-Pionierin Melodie Michelberger: „Body Positivity ist keine Feel-Good-Bewegung“

Melodie Michelberger im STYLEBOOK-Interview
Melodie Michelberger im STYLEBOOK-Interview Foto: Julia Marie Werner

29. September 2023, 13:19 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten

Im STYLEBOOK-Interview spricht Körper-Aktivistin, Autorin und ehemalige Moderedakteurin Melodie Michelberger über die Einordnung von Body Positivity in unserer Gesellschaft. Und wie sie Instagram fü sich viel diverser gestaltet hat.

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Doch erst einmal: Im Ursprung der Body-Positivity-Bewegung geht es nicht in erster Linie um Selbstakzeptanz des eigenen Körpers, sondern darum, die reale Vielfalt an Menschen im TV, in Magazinen, im Netz und auf den Laufstegen abzubilden. Es geht um Grundwerte wie soziale Gerechtigkeit und die Arbeit gegen Diskriminierung und Ausgrenzung – nicht nur von dicken Menschen. Viele Aktivistinnen fordern deshalb, den Körper ganz in den Hintergrund zu stellen und propagieren neue Begriffe wie Body Neutrality oder Body Liberation. Doch Melodie Michelberger findet: „Die Körperform muss im Mittelpunkt dieses Diskurses stehen.”

„Die Körperform muss im Mittelpunkt dieses Diskurses stehen”

Stylebook: Die Ursprünge von Body Positivity sind weit gesetzt und sprechen übergreifend soziale Gerechtigkeit, Diversität und Anti-Diskriminierung an. Welche Rolle spielen dabei Körper und Figur?

Melodie Michelberger: Solange wir in einer Gesellschaft leben, in der Menschen, die als schön gelten, leichter einen Job, ein höheres Gehalt oder eine bessere Gesundheitsversorgung bekommen und dicke Menschen ausgegrenzt und herabgewürdigt werden, muss die Körperform in diesem Diskurs im Mittelpunkt stehen. Denn die Bewegung möchte genau diese Missstände und strukturelle Diskriminierung sichtbar machen und bekämpfen.
Ich gebe zu, dass es keinen Spaß macht, sich mit der eigenen Fettfeindlichkeit oder den eigenen Vorurteilen zu beschäftigen. Allerdings ist diese Arbeit unerlässlich, damit wir als Gesellschaft endlich weiterkommen. Jeder Mensch hat schließlich Respekt und Würde verdient, unabhängig von seinem Gewicht oder der Körperform. Ich finde noch wichtig zu betonen, dass Body Positivity keine Feel-Good-Bewegung ist. Der Bewegung ging es ursprünglich immer darum, auf die Diskriminierung und Ausgrenzung dicker und mehrfach marginalisierter Menschen aufmerksam zu machen. Es ging immer um das Gesellschaftliche, nie um die viel propagierte Selbstliebe, von der man heute überall liest. Aus diesem Grund sollte Body Positivity auch immer als wichtiger Teil anti-rassistischer, feministischer und anti-ableistischer Bewegungen verstanden werden.

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Melodie Michelberger: „Die Mode- und Beauty-Branche trägt maßgeblich zur Normierung von Körpern bei”

Wie hilfreich ist es, wenn der Begriff Body Positivity von der Modebranche und Schönheitsindustrie aufgegriffen und inflationär genutzt wird. Schwächt das den eigentlichen Diskurs oder befeuert ihn? 

Die Mode- und Beauty-Branche trägt maßgeblich zur Normierung von Körpern bei. Nicht nur durch die immerwährend identische Darstellung von jungen, schlanken, normschönen Menschen, die uns vom Lippenstift bis zur Leggins alles verkaufen. Diese Industrien sorgen auch dafür, dass ständig neue Bereiche unserer Körper als Problemzonen oder Makel deklariert werden – für die sie ganz zufällig die passenden Produkte anbieten. Sie machen mit unseren Unsicherheiten über wellige Haut an Oberschenkeln oder runden Bäuchen einen Millionenumsatz. Dass genau diese Firmen sich nun an den Errungenschaften von Bewegungen wie Body Positivity bedienen, um damit ihre zweifelhaften Beautyroutinen oder Bauchweghosen zu verkaufen, ist natürlich superproblematisch. Aber der Kapitalismus findet leider immer einen Weg, politische Bewegungen zu verwässern und zu kommerzialisieren. So ist Body Positivity heute für viele nur noch ein Tool, um ein positives Körpergefühl zu verkaufen. Die ursprünglichen Anliegen der Bewegung geraten in den Hintergrund und gehen komplett unter.

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Wie stehen Sie zu neuen Begriffen wie Body Neutrality und Body Liberation, die die Grundwerte der Bewegung kennzeichnen wollen?

Was die ganzen unterschiedlichen Begriffe angeht: Ich finde es wichtiger, über die Forderungen der Bewegungen zu sprechen als über deren Bezeichnung. Damit lenkt man nämlich ganz wunderbar vom Diskurs ab. Ich merke immer wieder, dass es vielen schlicht zu mühsam ist, die Begriffe zu googlen, um herauszufinden, was deren Anliegen sind. Body Positivity löst zum Beispiel bei vielen mittlerweile das Gefühl aus, dass sie schon wieder etwas leisten müssten und reagieren darauf ablehnend. Dass dahinter eine internationale Bewegung steht, die für Sichtbarkeit und Teilhabe dick_fetter Körper kämpft, wissen viele nicht. 

„Der Begriff Body Liberation ist mir persönlich zu ungenau”

Der Begriff Body Liberation ist mir persönlich zu ungenau. Klar leiden wir alle unter den Zwängen der Diätkultur. Ausgrenzung und strukturelle Diskriminierung erleben aber hauptsächlich dick_fette Menschen. Deshalb sollten wir unsere Energie auf die Zerschlagung von Fettfeindlichkeit richtigen. Da haben wir am Ende alle was von! Fat Liberation wäre passender. Ich spreche in Bezug auf meine Arbeit gerne von Körperakzeptanz, weil so eher begriffen wird, um was es geht. 

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Welche Rolle spielte – und spielt heute noch für Sie – Instagram auf dem Weg zu mehr Body Positivity und Körperakzeptanz in der Gesellschaft?

Die ersten Bilder von Frauen mit einer ähnlichen Figur wie meiner habe ich tatsächlich vor Jahren bei Instagram entdeckt. Frauen, die ganz selbstverständlich in Unterwäsche oder im Bikini in ihren Wohnzimmern tanzten. Das war damals vor sechs, sieben Jahren wirklich mindblowing und etwas total Neues. Bis dahin kannte ich Fotos von dicken Frauen nur als Vorher-Bilder in Diät-Anzeigen, als No-Go Körper, die man nicht auch noch in Szene setzen sollte. Deshalb hatten diese neuen Bilder so eine große Wirkung auf mich, es fühlte sich richtig befreiend an. 

Die Beiträge dick_fetter Frauen bei Instagram haben maßgeblich dazu beigetragen, dass ich mit der Zeit eine neue und freundlichere Perspektive auf meinen Körper einnehmen konnte. Es half mir bei der Heilung meiner Essstörung ungemein. Meine Sehgewohnheiten waren früher ziemlich eingeschränkt, heute stolpere ich nicht mehr über Abbildungen von dicken Bäuchen oder behaarten Beinen, ich finde es ganz normal (und schön). 

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„Wir hinterfragen nicht, warum alle Models in Modemagazinen die exakt gleiche Kleidergröße tragen”

Vielen fällt die fehlende Körpervielfalt in Medien und Werbung gar nicht auf, weil wir es so gewohnt sind. Wir hinterfragen nicht, warum alle Models in Modemagazinen die exakt gleiche Kleidergröße tragen oder warum es in Werbekampagnen immer noch keine Körperdiversität gibt. Ich muss gestehen, dass mich Print- und Onlinemedien unendlich langweilen, weil sie es immer noch nicht schaffen, uns Inhalte zu zeigen, die die reale Vielfalt an Menschen abbilden. Deshalb liebe ich meinen Instagram-Stream und empfehle allen darauf zu achten, dort Accounts zu folgen, die unsere Sehgewohnheiten ordentlich durchrütteln.

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Wie war das, das erste Mal ein Bild im Bikini auf Instagram hochzuladen? Welche Reaktionen haben Sie erwartet und welche haben Sie bekommen?

Ich habe damals ehrlich gesagt nicht groß darüber nachgedacht. Ich habe zu der Zeit die Pressearbeit für ein größeninklusives Swimwear-Label verantwortet und ein Fotoshooting mit Frauen mit unterschiedlichen Körperformen organisiert. Ich war eins der Models und habe die Fotos von mir im Bikini anschließend auch bei Instagram geteilt. Die positiven Reaktionen haben mich überrascht.

Mir flogen die Herzchen nur so um die Ohren. Ich trug damals Größe 42/44, was der Durchschnittsgröße von Frauen in Deutschland entspricht. Und trotzdem wurde ich dafür dermaßen gefeiert, als bräuchte man richtig viel Mut, so einen Körper in einem knappen Bikini zu zeigen. Dieses Shooting war damals der Startschuss, mich mehr mit diesem Thema auseinanderzusetzen und Fotos meines Körpers bei Instagram zu teilen.

Melodie Michelberger: „Natürlich wird Instagram keine Schönheitsrevolution anführen”

Ist Instagram aber nicht doch zu oberflächlich, um ein wirkliches Umdenken in der Gesellschaft zu fördern und eine Körperliebe zu schaffen, die tiefer geht als das Aussehen – wie etwa auch gesundheitliche Aspekte von Body Positivity zu betonen: Wer seinen Körper liebt, pflegt ihn auch, erkennt Warnsignale und schützt ihn.

Natürlich wird Instagram keine Schönheitsrevolution anführen. Trotzdem ist diese Plattform ein guter Ort, um die eigenen Sehgewohnheiten zu verändern und dazu zu lernen. Es gibt viele aktivistische Accounts, die komplexe Zusammenhänge in kurzen Videos und Beiträgen erklären. Die bestärken oder neue Perspektiven aufzeigen. Die Menschen zusammenbringen. Es gibt Content Creators, die Fotos ihrer unretuschierten, authentischen Körper posten und so für mehr Körpervielfalt sorgen. Allerdings muss man selbst aktiv werden und sollte nicht nur blind den vom Algorithmus vorgeschlagenen Accounts folgen.

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»Instagram bevorzugt nach wie vor Menschen, die dem Schönheitsideal entsprechen

Denn der Plattformalgorithmus bevorzugt nach wie vor Menschen, die dem Schönheitsideal entsprechen und spielt deren Fotos bevorzugt aus: Also die, die schlank sind, ein jugendliches Aussehen und keine Falten haben und zudem weiß. Denn am Ende geht es Instagram natürlich nicht darum, die Welt zu verbessern, sondern uns Produkte durch passgenaue Werbung zu verkaufen. Und dies passiert leider immer noch durch sogenannte Idealkörper. Das sollte man im Hinterkopf haben, wenn man auf diesen Plattformen unterwegs ist und mit seinen Likes und Kommentaren die Accounts pushen, die der Algorithmus nicht berücksichtigt.

Wie sieht für Sie das ideale Umfeld für junge Mädchen aus, die in der Pubertät ihren Körper finden? Welche Hilfsmittel würden Sie ihnen an die Hand geben, um ihren Körper von Anfang an zu akzeptieren und zu lieben?

Unsere Welt ist leider absolut nicht ideal, wenn es um eine gute oder neutrale Beziehung zum eigenen Körper geht. Es ist wichtig, mit Mädchen darüber zu sprechen, dass ihre Körper nicht nur sehr früh sexualisiert, sondern auch von anderen auf- oder abgewertet werden. Den eigenen Körper in einer kapitalistisch- patriarchal geprägten Gesellschaft zu lieben ist radikal und für Jugendliche kaum erreichbar. Wir sollten Heranwachsende stark machen, damit sie erkennen, dass nicht sie falsch, sondern unsere Welt ziemlich toxisch gegenüber Körpern ist, die den gesellschaftlichen Normvorstellungen nicht entsprechen.

Leider gibt es immer noch viel zu wenig gute TV-Serien oder Filme für diese Zielgruppe, die ganz selbstverständlich Körpervielfalt zeigen oder Body-Shaming thematisieren. Essstörungen sind laut dem DAK Kinder- und Jugendreport bei jugendlichen Mädchen zwischen 15 und 17 in den vergangenen drei Jahren um 54 Prozent gestiegen. Diese Zahl sollte uns alle aufrütteln und die großen Medienhäuser dazu bringen, endlich Verantwortung zu übernehmen.

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Melodie Michelberger ist sich auch den negativen Aspekten von Social Media bewusst

Wie haben sich die Herausforderungen – vor allem für junge Frauen und Mädchen – im Laufe der Zeit verändert, wenn Sie Ihr Heranwachsen mit der jetzigen Generation im Hinblick auf Social Media vergleichen?

Die Möglichkeiten, sich heute mit Gleichaltrigen zu vergleichen, sind in den vergangenen Jahren, seit es Social Media gibt, natürlich explodiert! Zu meiner Zeit ging das nur mit Mädchen in meiner Klasse oder denen, die im Fernsehen zu sehen waren. Heute gehört es dazu, sich mit dem Smartphone selbst zu fotografieren und diese Bilder mit anderen zu teilen. Natürlich setzen wir uns in solchen Fotos möglichst so in Szene, dass wir im Sinne des Schönheitsideals gut rüberkommen. Heranwachsende lernen, wie wichtig ein bestimmtes Aussehen ist, was Likes und positive Kommentare bekommt und was nicht. Ich muss ehrlich sagen, dass ich froh bin, dass es zu meiner Zeit nur Printmagazine und Kassetten gab. Ich weiß aus Gesprächen mit jüngeren Frauen und Mädchen, wie sehr viele unter den makellos erscheinenden Bildern anderer leiden. Bei mir wäre das sicherlich nicht anders gewesen.

Quelle

Themen Female Empowerment Mental Health Model
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