14. Juni 2023, 14:43 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
„Sie ist nur neidisch“ – ein Satz, mit dem fast ausschließlich über Frauen geurteilt wird. Dabei wird jedes Problem, jede Ungereimtheit auf den hässlichen Neid geschoben, der eines Tages zu einer rein weiblichen Definition wurde. Eine längst überholte und äußerst antifeministische Haltung, wie wir finden. STYLEBOOK hat mit einer Expertin über Neid unter Frauen gesprochen.
Ob im Beruf, im Privatleben oder einfach auf der Straße: Frauen werden immer als neidisch tituliert, wenn ihnen etwas nicht passt. Dabei kann es nur sein, dass wir eine andere Frau nicht mögen, weil sie uns schlecht behandelt. Aber das wird nicht gern gesehen. Wir sind eben direkt neidisch. Und Neid ist ein hässliches Gefühl. Sowohl für Absender als auch für Empfänger ist Neid immer mit negativen Energien und Frust verbunden. Hat das Patriarchat das Neid-Thema etwa zu einem reinen Frauen-Thema gemacht? Mit Annie Brien, Coach und Mentorin für Selbstvertrauen, Selbstliebe, Selbstwertgefühl & Selbstmanagement, haben wir über die Präsenz und den Ursprung von Neid gesprochen.
Übersicht
Toxische Weiblichkeit als Grund?
Neben der toxischen Männlichkeit, die zwanghaft vermitteln möchte, dass Männern auch die vermeintlich männlichen Attribute wie Stärke, Aggressivität und Emotionslosigkeit zugeschrieben werden, gibt es auch die toxische Weiblichkeit. Die definiert eine „richtige Frau“ als sensibel, empathisch, einfühlsam, zerbrechlich. Aber auch als zickig, neidisch und eifersüchtig. Dabei soll sie aber bloß nicht laut sein, sondern Intrigen im Verborgenen betreiben. Nicht zu viel, lieber zu wenig. Das Wort Furie wird in den Raum geworfen, sobald eine Frau etwas vehementer ihre Meinung äußert. Bei Männern heißt es dann: Meinungsstärke. Diese klischeehafte Definition einer Frau soll immer sanft sein, lieb, lächelnd und ihre eigenen Bedürfnisse auf der Prioritätenliste ganz nach unten legen. Natürlich. Und auch, wenn viele Männer sich lautstark dagegenstellen und meinen, dass das in Zeiten der feministischen Stimmen schon längst nicht mehr so beurteilt wird, findet genau diese Auffassung immer noch in den Köpfen statt.
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Neid unter Mädchen im Kindesalter
Kinder sind neidisch: auf Glitzerstifte, auf größere Schleifen im Haar. Neid ist im Kinderalter normal, denn Kinder können diese Gefühle, die auftreten, noch nicht zuordnen, benennen oder verstehen. Doch im Erwachsenenalter hat Neid keinen Platz mehr, jedenfalls nicht in dem Ausmaß, in dem es manchmal der Fall ist. Neid kann einiges zerstören, Menschen frustrieren, sie zu boshaften Handlungen treiben und ihnen und ihren Mitmenschen die komplette Energie und Lebensfreude nehmen. Und auch, wenn ein gewisser Grad an Neid normal ist und für das Leben notwendig, damit wir weiterkommen, ist zu viel Neid absolut gefährlich. Ebenso die Annahme, dass nur Frauen neidisch sind.
Annie Brien sagte hierzu gegenüber STYLEBOOK: „Frauen und Männer können gleichermaßen Neid gegenüber ihren Geschlechtsgenossen empfinden, allerdings haben Männer in der Regel bereits in der Kindheit einen gesünderen Umgang mit der Emotion erlernt: Während es unter Jungs als gesellschaftlich konform angesehen wird, dass Rivalität und Konkurrenz offen ausgetragen werden, geben die gesellschaftlichen Rollenerwartungen an Mädchen vor, stets nett und zuvorkommend zu agieren.“ Und das wirkt sich auf das Leben als Erwachsene aus: „Durch das Unterdrücken und Verurteilen der an sich neutralen Emotion lernen Frauen also bereits in Kindheitstagen einen ungesunden Umgang mit der Emotion. Neid unter Frauen spiegelt sich (konträr zur offenen Austragung bei Männern) daher häufig in versteckten Intrigen oder Lästereien wider, wodurch das Klischee der Missgunst unter Frauen verstärkt wird“, so Brien.
Neid unter Frauen in verschiedenen Lebenslagen
Schon als junge Frauen lernen wir, dass es immer nur „Eine“ geben kann. Eine, die den besten Job bekommt. Eine, die den Traumprinzen heiratet. Nur eine kann inmitten vieler Frauen die Schönste sein. Es wird kein Platz gelassen für Solidarität oder Zusammenhalt zwischen Frauen. Von Beginn an leben Frauen also in Konkurrenz miteinander. Ob es um die Aufmerksamkeit der männlichen Mitmenschen geht, oder um die Leistung vor autoritären Persönlichkeiten.
Und so werden wir Frauen erwachsen, mit dem ewigen Gefühl von Knappheit und dem ständigen Drang, sich beweisen zu müssen „um aus der Menge herauszustechen“. Das führt im späteren Leben zu der bekannten Ellbogen-Mentalität, die Frauen gern zugeschrieben wird. Arbeitet ein Mann einem Team voller Frauen, hört er schnell: Oh, da gibt es sicherlich oft Zickenkrieg. Andersherum heißt es: Oh, das ist sicherlich entspannt. Und da war aus den genannten Gründen auch lange etwas dran.
Aber schon lange haben wir Frauen gemerkt, dass das so nicht weitergeht. „Da das Prinzip des sozialen Vergleichs tief in uns verankert ist, lässt sich Neid nicht komplett auflösen, sondern wird uns über unser Leben hinweg begleiten“, so Brien über Neid im Alter. „Allerdings lernen wir mit wachsender Lebenserfahrung auch einen gesünderen Umgang mit Neid. Mit zunehmendem Alter fällt es uns leichter, das Gefühl anzunehmen oder es sogar zu unserem Vorteil als Ansporn zu nutzen“, ergänzt sie.
Neid unter Frauen ist oftmals ein Konstrukt des Patriarchats
Denn der Neid unter Frauen ist ein Problem einer patriarchalen Gesellschaft, die darauf sozialisiert wurde. Denn das Patriarchat wird von Konkurrentinnen am Laufen gehalten, Zusammenhalt zwischen Frauen wird dabei nicht gern gesehen. Es ist so: Macht und Anerkennung bekommen in einer patriarchalischen Gesellschaft diejenigen, die sich dominant und fast schon aggressiv – also toxisch maskulin – verhalten. Weibliche Verhaltensmuster werden hingegen eher ignoriert, nicht ernst genommen. So mussten Frauen lernen, sich ihren Weg anders zu erkämpfen. Im wahrsten Sinne. Wir entwickeln enormen inneren Druck, perfektionistisches Benehmen und eine niemals endenden Hunger nach Anerkennung. Dabei möchten wir auf diesem Weg alle anderen Frauen durch Boshaftigkeit auslöschen, damit wir die „Eine“ sein können. Absoluter Schwachsinn.
„Wie stark wir Neid empfinden, hängt nicht nur von der Ähnlichkeit unseres Gegenübers ab, sondern auch davon, welche persönliche Relevanz die jeweilige Sache oder Eigenschaft, mit der wir uns vergleichen, für uns hat. Dementsprechend kann sich mit dem Alter nicht nur unsere Akzeptanz gegenüber Neidgefühlen verbessern, sondern auch unsere Neidobjekte werden sich je nach Lebenssituation und Zielen unterscheiden“, so die Expertin. Aber ist Neid etwa anerzogen?
Ist Neid Erziehungssache?
„Neid gehört zu den sogenannten Sekundäremotionen, die auch als erlernte oder soziale Emotionen bezeichnet werden, da sie uns in jungen Jahren von unseren sozialen Bezugspersonen beigebracht werden“, erklärt Brien. „Dementsprechend haben die Werte der Eltern einen großen Einfluss darauf, ob wir konstruktiv mit Neid umgehen und ihn als Motivation nutzen oder ob wir einen dekonstruktiven Umgang mit Neid erlernt haben, der dazu führt, dass wir unseren Mitmenschen Erfolge missgönnen“.
Das heißt aber nicht, dass wir dem Neid völlig ausgesetzt sind. „Doch obwohl uns unsere Erziehung und die in der Kindheit erlernten Werte unseres sozialen Umfelds geprägt haben, können wir jederzeit einen besseren Umgang mit Neid erlernen, indem wir zum einen an unserem Selbstvertrauen arbeiten und lernen, unsere eigenen Erfolge bewusster wahrzunehmen. Zum anderen aber auch, in dem wir an einem gesunden Selbstwertgefühl arbeiten und begreifen, dass unser Wert als Person nicht an äußere Merkmale und Erfolge geknüpft ist“.
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Das Klischee der neidischen Frau
Wer als Frau ein Problem einer anderen Frau gegenüber äußert, ist klar und unmissverständlich neidisch. So ist der erste Gedanke, der sich seit vielen Jahren in die Köpfe der Menschen eingebrannt und so Spuren hinterlassen hat. Frauen gelten als schwierig, als kompliziert, als „nicht so entspannt wie Männer“. Ein Stempel, der gedankenlos verteilt wird. Dabei zeigt sich heute etwas, was viel stärker ist als dieses negative Gefühl: der Zusammenhalt. Frauen, die zusammenhalten, im Job, im Privatleben oder sonst wo, erreichen mehr, als vorstellbar ist. Frauen entwickeln gemeinsam fast schon übermenschliche Kräfte, die ihnen Wege ermöglichen, die lange Zeit als undenkbar galten.
Das führt dazu, dass sich immer mehr Frauen heute von dem Konkurrenz-Gedanken befreien und längst verstanden haben, wie viel mehr es ihnen gibt, wenn Neid durch Respekt und ein harmonisches Miteinander ausgetauscht wird. Wir haben genug damit zu tun, uns immer noch gegen die Männlichkeit durchzusetzen, uns dabei gegeneinander auszuspielen wirft uns nur zurück und bestätigt die klischeehafte und unterbelichtete Annahme, seien.
Und auch, wenn die „neidische Frau“ einem veralteten Klischee zugesprochen wird, gibt es sie trotzdem, so wie es auch neidische Männer gibt. Neid ist menschlich, nicht weiblich.
Quelle
- mit fachlicher Beratung durch Annie Brien, Coachin und Mentorin für Selbstvertrauen, Selbstliebe, Selbstwertgefühl & Selbstmanagement und Podcasterin (Podcast: Selbstbewusst & attraktiv – werde zur High Value Frau)