1. November 2024, 17:06 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Statt im Winter wie üblich zu entschleunigen, predigt das Internet einen neuen Trend namens „Winter Arc“. Hier steht die winterliche Selbstoptimierung im Vordergrund. Aber was bedeutet (und verspricht) dieser Trend?
Eigentlich gilt es, im Winter einen Gang zurückzuschalten. Die frühe Dunkelheit am Abend mit einem Tee, Snacks, einer warmen Decke und einem guten Film zu genießen – im Kerzenschein, versteht sich. Hauptsache gemütlich. Aktuell fordert der motivierte Internetnutzer jedoch anderes für die Wintermonate: Selbstoptimierung à la „Winter Arc“. Viele junge Frauen und Männer laden deshalb als Beweis ihrer Disziplin seit Oktober fleißig Videos ihrer „Winter Arc“ hoch. Aber was heißt das überhaupt?
Übersicht
Was bedeutet überhaupt „Winter Arc“?
Die Bezeichnung „Arc“ steht hier für „Bogen“ und bietet eine Metapher für die Transformation eines Charakters – meist fiktiv – während einer Reise. In diesem Zusammenhang beschreibt dieser Bogen die Entwicklung: der klare Anfang, die Entwicklung und den Schwung in der Mitte und der klare Abschluss am Ende.
Eigentlich kennt man solche Handlungsstränge und Verhaltensweisen von Charakteren in Büchern oder Filmen. Diese Entwicklung soll sich mit „Winter Arc“ aber nicht auf fiktive Charaktere übertragen, sondern zur persönlichen Weiterentwicklung genutzt werden. Deswegen laden vorwiegend viele junge Frauen derzeit etliche Videos mit der Aufschrift „My Winter Arc“ ins Netz.
Was soll „Winter Arc“ bringen?
„Winter Arc“ soll und will dazu motivieren, die eigene Weiterentwicklung zu beginnen – noch bevor das neue Jahr startet. Auch deshalb ist der 1. Oktober im Jahr als Startpunkt angesetzt (keine Sorge, falls Sie noch beginnen wollen, hängen Sie einfach einen Monat hinten dran). Dass es ausgerechnet Oktober ist, hat zwei Gründe. Zum einen beginnen die meisten Menschen damit, es sich so richtig gemütlich zu machen. Und der Oktober dient oftmals als Start der Faulenzerei. Dieser Gemütlichkeit soll man mit „Winter Arc“ entgegenarbeiten.
Ein weiter Grund ist der, dass Menschen – mit einer „Winter Arc“-Liste – den anderen Menschen voraus sein wollen. Schließlich stürmen für gewöhnlich die meisten am ersten Januar in die Fitnessstudios oder lassen die Finger von Alkohol und stehen endlich früher auf. Wer im Oktober schon beginnt, soll bereits im Januar die Früchte von all der Optimierung und Disziplin ernten, statt erst am 1. des Jahres verkatert im Fitnessstudio zu stehen.
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Das bedeutet: Statt Plätzchen und Bingewatching heißt es im Winter Zitronenwasser und Digital-Detox. Statt Rückzug und Kraftanken heißt es Frühaufstehen und Pumpen. Die Monate zwischen Oktober und Dezember werden im Zeichen von „Winter Arc“ für intensive Arbeit an sich selbst genutzt. Im Netz lassen sich auch einige Synonyme für Winter Arc finden: Darunter „Die Glow-Up-Liste“ oder „Die Liste, um die beste Version deiner selbst zu werden“.
All die Menschen vereint der tiefe Wunsch, ihre eigene Weiterentwicklung zu fördern, einzuleiten, zu intensivieren und im neuen Jahr bereits die gesündeste, stärkste und fitteste Version ihrer selbst zu sein.
„Winter Arc“: Ein Plan zur Selbstoptimierung – nur ohne Plan
Auch finanzielle Weiterentwicklung steht auf vielen Arc-Listen. Ein weiterer Faktor ist Digital Detox – es wird also keine Zeit mehr am Handy verplempert. Zudem wird im Rahmen der Herausforderungen geistiges Wachstum betont: Meditation und Achtsamkeitsübungen. Was nach vielen Regeln und To-dos klingt, hat eigentlich keine Regeln. Tatsächlich gibt es beim „Winter Arc“ keinerlei Vorgaben. Es soll nur das gemacht werden, was zur individuellen Weiterentwicklung beiträgt.
Schaut man sich aber etwas genauer all die „Winter Arc“-Videos an – aus Interesse oder zur Inspiration – fallen einem dennoch viele Überschneidungen auf. Oft sind vorwiegend folgende Punkte auf den Listen vermerkt:
- Kein Alkohol
- Um 05:30 Uhr aufwachen (auch am Wochenende)
- Jeden Tag Sport (die Häufigkeit unterscheidet sich bei den meisten, es schwankt meist zwischen drei Tagen und sieben Tagen)
- Keine Süßigkeiten
- Kein Social Media
- Kein Essen bestellen
- Kein Mittagsschlaf
- Kein Handy direkt nach dem Aufstehen
- 10 000 Schritte am Tag
- Sich endlich ein eigenes Business aufbauen
- Am Abend nicht auf der Couch liegen
- und immer so weiter
Die Empfehlungen auf TikTok lauten zwar, sich nicht zu viel vorzunehmen, damit weder Druck noch Frustration entsteht, dennoch sind die Listen in aller Regel ziemlich: lang. Statt also – wie sonst – sich im Winter auf Besinnung, Kerzenschein und Entspannung für Körper und Geist zu konzentrieren, soll es gemäß „Winter Arc“ eher darum gehen, den Winter smart zu nutzen. Und smart bedeutet in diesem Fall: effizient.
ChatGPT, bitte erstell mir meine eigenen Winter Arc Challenge
Und weil die KI natürlich weiß, was Winter Arc ist, haben es sich viele Nutzer auf TikTok zur Aufgabe gemacht, ChatGPT den eigenen Plan für die Herausforderung entwerfen zu lassen. Die Empfehlung lautet, einfach ein paar Fakten zu der eigenen Person in die Tasten zu hauen und ChatGPT dann zu bitten, einen eigenen Winter Arc Plan zu kreieren. Auch ich habe das getan: Die künstliche Intelligenz empfahl mir: Wachstum von innen durch Bücher am Morgen, weniger Reality-TV am Abend (und überhaupt nie) und statt Weihnachtsrezepte zu backen lieber das Porridge für den nächsten Tag vorzubereiten.
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Persönliches Fazit
Was mich an „Winter Arc“ stört
An Routinen habe ich absolut nichts auszusetzen – im Gegenteil. Ebenso wenig an der Optimierung des eigenen Alltags. Noch weniger an einem gesunden Lebensstil. Alles, was dem eigenen Wohlgefühl und der Selbstverwirklichung zugutekommt, finde ich fabelhaft und wichtig. Ich liebe Strukturen, Routinen und Selbstdisziplin. Aber: Das sollte alles in einer gewissen Balance stattfinden. „Winter Arc“ klingt mir ein wenig zu viel nach Druck und Verboten – gerade in der Zeit, in der wir Reflektieren, Planen und Herunterschalten sollten.
Zwar heißt es, dass es in diesem Kontext weder konkrete Aufgaben noch Vorschriften gäbe, doch immer, wenn es um radikale Selbstoptimierung geht, kommt danach der Downfall. Ich finde diese Vorsätze – meist mit terminiertem Startdatum – die dann ins Drastische übergehen, sowohl für den Körper als auch für die Psyche belastend. Gerade dann, wenn all die guten Vorsätze, die auch überfordern können, wenn man sich zu viel vornimmt, in all der Fülle auf die Zeit legt, die eigentlich zur Entschleunigung gedacht ist.
Klar: Man muss sich vor all der besinnlichen Zeit im Winter nicht all den Routinen und Aufgaben entziehen und von der Faulenzerei überkommen lassen. Man darf auch im Winter die Selbstoptimierung anstreben. Aber in Ruhe, in Maßen, oder nicht? Denn ist das nicht die Zeit, in der man (zumindest zwischendrin) alle viere von sich streckt, mit der Familie oder den Freunden bis in die Nacht zusammensitzt, snackt, Rotwein trinkt und dann auch mal etwas länger schläft?
Die Idee hinter all der Selbstoptimierung ist gut gedacht und wichtig. Aber nicht, wenn es „Winter Arc“ ist. Denn dann ist der Vorsatz ebenso schwierig zu betrachten wie ein absoluter Neustart am 1. Januar: Von 0 auf 100 – da ist es meist vorprogrammiert, dass Menschen den Fokus nach einigen Wochen verlieren. Stattdessen wäre es doch besser, man würde ein wenig von allem über das ganze Jahr verteilen. Es ist doch wie immer: Its all about balance, oder?