12. November 2024, 6:33 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Schnell zur Kita, schnell ins Büro, und dann am Abend: Belohnung! Man gönnt sich ein Bad mit Heilkräutern, aber die blöden Gedanken rund um die To-dos von morgen wollen einfach nicht verschwinden. Für das Phänomen des erfolglosen Abschaltens gibt es einen Namen – es wird als „Stresslaxing“ bezeichnet. STYLEBOOK hat bei einer Stresstherapeutin nachgefragt, warum gerade Frauen besonders darunter leiden und was dagegen zu tun ist.
Amélie Bischoff ist Politologin, Yoga– und Meditationslehrerin und Stress-Coachin. All diese Fähigkeiten und Karriereschritte machen die 30-Jährige zur perfekten Anlaufstelle, wenn es um die Therapie von Stress geht. Damit kennt sie sich auch persönlich nur allzu gut aus: Sie litt selbst an Burnout und fokussiert sich nun darauf, anderen Menschen den Umgang mit Stressfaktoren und „Stresslaxing“ zu erleichtern.
Übersicht
Deshalb tritt „Stresslaxing“ häufig bei Frauen auf
Unter Stress leiden wir in der Leistungsgesellschaft alle mehr oder weniger. Pausen gönnt man sich kaum, und räumt man sich Zeit für diese ein, will das mit der Entspannung einfach nicht klappen. Amélie Bischoff erklärt: „Frauen sind oft People Pleaser und nehmen sich selbst zurück. Das hängt mit den immer noch vorherrschenden gesellschaftlichen Erwartungen und Rollenbildern zusammen.“ Es werde erwartet, dass Frauen besonders empathisch sind „und das kann eben dazu führen, dass gerade die eigenen Bedürfnisse vernachlässigt werden.“
„Frauen müssen oft eine Doppelrolle erfüllen“
Weitere Stressoren seien neben der Erwartungshaltung außerdem Sexismus und Ungleichheiten im Berufsleben. Frauen müssen oft eine Doppelrolle erfüllen: „Beruflich erfolgreich sein, aber dann tragen Frauen immer noch mehr Verantwortung für die häusliche Arbeit, für Care-Arbeit – sei es von Kindern oder von Familienangehörigen.“
Eine erschreckende Tendenz zeige sich laut Bischoff: „Der Stress steigt. Bei der Mehrfachbelastung des perfekten Mutterseins aber natürlich auch der Karriere, da man ja nicht nur Mutter sein will – da wird der Druck nicht weniger, im Gegenteil.“ Doch auch auf Frauen, die sich gegen Kinder entscheiden, lastet ein gewisser Druck. „Das erleben Männer viel seltener.“
Auch biologische Faktoren sorgen für Stress bei Frauen
Laut Bischoff gibt es auch einen Zusammenhang von Hormonen und Stress. Als Frau mache man viele verschiedene Phasen im Leben durch. Hormonelle Einflüsse können auch Depressionen begünstigen.
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Was kann frau gegen Stress tun?
Es sei laut Amélie Bischoff wichtig, die Ursache vom Stress zu identifizieren. Zunächst müsse man erkennen, was die Stressoren im eigenen Leben eigentlich sind: Ist es Stress auf physischer Ebene oder emotional verankert? Ist es ein gesellschaftlicher Druck, im Privatleben oder Arbeitsumfeld? Dann stelle sich auch die Frage, ob man diesen reduzieren kann – wenn nicht, muss man seinen Umgang mit ihm verändern: „Es geht nicht darum, Stress zu eliminieren. Wenn wir mal ehrlich sind, ist das nicht immer möglich; zu reduzieren definitiv.“
Bischoff hilft durch ihre Arbeit als „Emotional Release“-Trainerin, Stressoren erkenntlich zu machen und arbeitet in der Therapie auf körperlicher sowie mentaler Ebene. Sie helfe ihren Kunden, das eigene Nervensystem besser zu verstehen. So könne man an die unterbewussten Muster herankommen.
Unterdrückte Emotionen sind ein großer Stressfaktor
Ein wichtiger Baustein von Amélie Bischoffs Kampf gegen Stress ist das Hervorbringen von unterdrückten Emotionen. „Wir Frauen werden so oft als emotional, zu sensibel oder Drama Queens bezeichnet“, so die Stresstherapeutin. Um dem zu entgehen, würden wir häufig unsere Gefühle unterdrücken, denn hier kommt wieder das People Pleasing ins Spiel. Uns Frauen werde schon früh beigebracht „die eigenen Emotionen beiseitezuschieben, weil kein Platz dafür ist.“ Oft fehle einem die nötige Sicherheit, ihnen freien Lauf zu lassen.
Das Problem: Unterdrückte Emotionen manifestieren sich im Körper, so Bischoff. Bei ihr habe sich eine nicht herausgelassene Wut etwa durch eine Kieferblockade und Magenschmerzen bemerkbar gemacht. Eine Therapie ist also auch, diese Gefühle zu lösen und neu zu lernen, wie es sich anfühlt, wenn man diese frei herauslässt. Dafür gibt Amélie in ihren Sitzungen den nötigen Raum – hier können Emotionen quasi retrospektiv gefühlt und entsprechend verarbeitet werden.
Das können Sie jetzt gegen Stress tun
Nicht immer hat man genügend Geduld, um herunterzukommen. Der Kopf raucht, das Herz rast, das Bedürfnis, zu entspannen, ist stark. Dafür gibt es Übungen, die psychosomatisch funktionieren. Amélie Bischoff hat vier schnelle und überall anwendbare Abläufe parat, die Ihnen augenblickliche Entspannung garantieren. Sie möchte Menschen schließlich auch selbst ermächtigen, ohne angeleitete Therapie gegen Stress anzugehen.
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Jede Übung dauert dabei weniger als eine Minute. „Wir denken manchmal, man braucht ein 30-Minuten-Fenster, 3 Stunden, um zu entspannen, doch manchmal sind es 30 Sekunden oder eine Minute zwischendurch, die einen aus dem Stressloop herausziehen können.“
4-6-Atemübung
Tief durchatmen versetzt Berge! Sie atmen hier einfach 4 Sekunden lang durch die Nase ein, und schließlich 6 Sekunden lang durch den Mund aus. Dies können Sie mehrere Male wiederholen. „Es ist super simpel, und die Atmung ist ein ganz kraftvolles Tool, um unser Nervensystem zu regulieren. Wenn die Ausatmung länger ist als die Einatmung, wird das parasympathische Nervensystem aktiviert. Das heißt, wir gehen in einen Zustand von Sicherheit über.“
Seufzen
„Seufzen ist immer ein wenig verpönt, aber es ist eigentlich ganz natürlich, dass dieser Impuls kommt“, erklärt Bischoff. Man solle dies also bewusst tun, um zu entspannen: Einatmen, und dann beim Ausatmen die Stimme nutzen. Das teile unserem Körper mit: „Jetzt kann ich loslassen.“
Augen abdunkeln
Besonders hilfreich für Menschen, die viel vor dem Bildschirm sitzen, sei es, die Hände zu reiben und sie im Anschluss auf die Augen zu legen. Dabei atmen Sie tief ein, und durch den Mund aus. Laut Bischoff kann man auch hier wieder die Stimme einbringen. Diese Übung helfe dabei, die Augen bei all den visuellen Eindrücken zu entspannen und für einen Moment „nach innen“ zu kommen.
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Körper ausschütteln
Wenn Sie gerade auf der Arbeit sind, dann gehen Sie an einen Ort, an dem Sie allein sind und Platz haben, denn es wird sportlich! Die Stress-Coachin ist großer Fan davon, sich pro Tag mindestens einmal auszuschütteln oder zu tanzen. „Es macht einen absoluten Unterschied, wenn man sich den Rest des Tages nicht bewegt“, erzählt die 30-jährige Halbfranzösin. Sich physisch wahrzunehmen heiße auch, im eigenen Körper „zu landen“.
Statt „Stresslaxing“ lieber nachhaltig Stress vermeiden
Einige Denkanstöße, die beim langfristigen Umgang mit Stress helfen, liefert Bischoff ebenfalls. Man solle sich die Frage stellen: „Habe ich nur einen Wert, wenn ich etwas leiste?“ Damit einhergehend ist es wichtig, zu schauen, wie man in diese Zustände von Stress gerät.
Besonders beim Phänomen des „Stresslaxing“ sei der Fehler, dass viele eine Erwartung an die perfekte Entspannung haben – doch gerade die müsse man loslassen: „Es geht um den Moment an sich und nicht um den Kommenden. Ansonsten wird die Entspannung eben wirklich zum weiteren To-do.“ Man soll sich auch in der Planung von Pausen gewisse Flexibilität einräumen. Zwar sei es hilfreich, besonders für viel beschäftigte Personen, sich aktiv ein Zeitfenster fürs Relaxen einzuplanen. Hier müsse man jedoch auf den Moment angepasst schauen, wonach einem gerade ist. „Mein Tipp ist, sich zu fragen: Was brauche ich gerade wirklich? Ist es die Badewanne, oder entspannt es mich gerade mehr, die Küche aufzuräumen, weil ich dann außen Klarheit habe?“
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»To-do-Listen sind eine Illusion
Ein weiterer Tipp, um sich langfristig von Druck zu lösen, ist das Neuinterpretieren von To-do-Listen. „Der Fehler dabei ist die Konditionierung: Ich muss das erledigen, und dann entspanne ich mich, oder trotz der To-dos darf ich mich entspannen. Dabei ist das Leben eine nie aufhörende Liste.“ Wichtiger sei, bewusst den Moment zu erleben, statt sich nach Aufgaben zu richten.
Hierbei hilft etwa Meditation und „generell alles, was einen in den jetzigen Moment zurückholt, ihn wahrnehmen lässt. So kann man loslassen von der Illusion, dass irgendwann alles erledigt ist und man erst dann entspannen darf.“ Es ist wichtig, sich stets mit Empathie und Sanftheit zu begegnen – egal ob mit oder ohne Häkchen hinter den Vorhaben.