11. Mai 2018, 10:53 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Keine Frage, Tattoos sind in. Es gibt die verschiedensten Trends und Stilrichtungen, renommierte Studios sind oft Monate im Voraus ausgebucht. Aber Tätowieren ist auch zeitaufwändig, besonders größere Motive benötigen mehrere Sitzungen und haben durchaus ihren Preis. Da ich eher der ungeduldige Typ und noch dazu chronisch pleite bin, recherchierte ich nach Alternativen und wurde überraschend schnell fündig: DIY Tattoing. Wie es mir ergangen ist?
Alles begann mit einem harmlosen Gespräch, das ich mit einem guten Freund führte. Der seit Wochen heiß ersehnte Termin in meinem liebsten Tattoostudio war kurzfristig gecancelt worden, und ich machte meiner Enttäuschung Luft. Als Reaktion auf meinen emotionalen Ausbruch erhielt ich den schlichten Ratschlag: „Dann mach’s dir doch selbst.“ Zwei Wochen später saß ich in den Räumlichkeiten der kreativen Design-Agentur „Studio Toto“, in denen regelmäßig Workshops zum Thema Selbsttätowierung stattfinden. Hier erfuhr ich alles, was für meine zukünftige DIY-Tätowier-Karriere wichtig werden sollte.
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Die Agentur
Die Kreativagentur wurde 2015 von vier Freunden gegründet, die sich nach dem Studium im Bereich Kommunikations- und Produktdesign zusammengeschlossen hatten, um sich in Berlin selbstständig zu machen. Die Idee, Tätowier-Workshops zu veranstalten, entstand eher zufällig. „Während des Studiums konnten wir immer sehr frei und kreativ arbeiten, das ist durch das Abarbeiten von Kundenaufträgen in der Agentur etwas verloren gegangen“, erzählt Julia, eine der Gründerinnen. „Wir haben uns gefragt, was uns aktuell in unserem Leben fehlt.“ Es fielen Stichworte wie Freiheit, Selbstverwirklichung und Kundenkontakt – kurz darauf stand der erste Workshop-Termin fest. Tim ist der Tattoo-Spezialist: seine erste Tätowier-Maschine baute er sich im Mexiko-Urlaub selbst, seinen Körper schmücken zahlreiche Motive, die teils selbst, teils von Freunden gestochen wurden. Ihm geht es um den Moment, die Erinnerung, um Spontaneität. „Ich glaube, ich würde nie zum professionellen Tätowierer gehen“, so Tim.
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Der Workshop
Mittlerweile finden die Workshops regelmäßig statt, das Thema Hygiene steht dabei an oberster Stelle und wird gleich zu Beginn thematisiert. Tim: „Wir möchten informieren und begleiten, und unsere Erfahrungen weitergeben. Dabei ist uns nicht wichtig, dass sich die Leute ihr Tattoo während des Workshops stechen, es ist aber wichtig, dass sie wissen, worauf man achten muss, wenn sie es denn tun.“ Abseits von Hygiene und Vorbereitungsmaßnahmen wird auch über die Motivfindung gesprochen, über die am besten geeigneten Körperstellen und den Prozess an sich. Besonders für Anfänger eignen sich Linien oder Flächen als Wunschmotive, da sich Schattierungen und große, aufwändige Tätowierungen deutlich schwieriger in Eigenregie umsetzen lassen.
Später üben die Teilnehmer das Hand Poke auf Schweinehaut, bevor es ans richtige Tätowieren geht. Wer möchte, kann auch erst zu Hause herumprobieren, denn die Tinte und zwei Nadeln dürfen die Tattoo-Begeisterten mit nach Hause nehmen. Das Projekt wurde vom Gesundheitsamt überprüft, die Materialien sind sämtlich in Deutschland produziert. Tim warnt ausdrücklich davor, einfach „irgendeine Tinte bei Amazon zu bestellen“: Er kennt so manche Horror-Geschichte von Verletzungen und Entzündungen, die durch billige Werkzeuge verursacht wurden: „Diese Gefahr sollte man nicht unterschätzen. Deswegen legen wir viel Wert auf die richtige Hygiene und Vorbereitung.“ Das dazugehörige Kit mit allen Utensilien kann auch online geordert werden, Kostenpunkt: 50 Euro plus Versand.
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Der Prozess
Einige Tage nach meinem Besuch im Studio Toto sitze ich an meinem (vollständig sterilisierten) Küchentisch und studiere sorgfältig Inhalt und Anleitung des Tattoo Kits. Das Motiv steht, ein kleiner Buchstabe am Handgelenk soll es werden. Eine Freundin ist bei mir zur (ästhetischen) Überwachung und (seelischen) Unterstützung. Ich halte mich peinlich genau an die Schritte der Anleitung und male das Motiv mit dem OP-Stift vor, was sich erstaunlicherweise als komplizierter erweist, als das Stechen selbst. Der Stift ist etwas zu dick, die Linien verwackeln, und ich brauche ungefähr eine halbe Stunde, bis ich endlich zufrieden bin.
Ich entscheide mich für eine dünne Nadel, habe Desinfektionsmittel und sterile Kompressen zum Abwischen griffbereit und setze zum ersten Stich an. Autsch! Das war eindeutig zu tief. Meine Freundin sieht irritierter aus, als ich mich fühle, während sie die kleinen Blutstropfen von meinem Handgelenk entfernt. Doch dann geht alles ganz schnell: Bald habe ich ein Gefühl für die nötige Tiefe der Stiche, die die Qualität des Endergebnisses maßgeblich beeinflussen. Sticht man zu tief, kann das Blut die Tinte verwischen oder auswaschen. Bleibt man zu nah an der Oberfläche, kann das Tattoo bereits nach wenigen Wochen verblassen. Sorge macht mir nur die überschüssige Tinte, die eine dunkle Fläche auf meinem Arm hinterlässt. Doch nach ungefähr 40 Minuten und stetigem Abwischen der Tinte lässt sich mein Motiv langsam erahnen. Hier und da verbessere ich meine Stiche, dann reinigen und desinfizieren wir die Tätowierung. Mein Handgelenk pocht, blutet aber nicht mehr. Ich bin zufrieden mit dem Ergebnis und ein kleines bisschen stolz auf mich. Schon nach kurzer Zeit spüre ich die Wunde nicht mehr.
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In den darauffolgenden Tagen lasse ich das Tattoo an der Luft heilen, trage mehrmals täglich eine Wundsalbe auf und meide Sonne und Wasser. Die Wunde der Selbsttätowierung ist viel schneller verheilt als die meiner mit der Maschine gestochenen Motive. Auch nach mehreren Wochen ist die Tätowierung kaum verblasst. Ich habe verhältnismäßig unsauber gearbeitet, die Ästhetik des Selbststechens ist deutlich erkennbar. Doch gerade das gefällt mir an meinem neuen Motiv und ich trage es mit Stolz und Selbstbewusstsein. Das Tattoo Kit mit den restlichen Utensilien verwahre ich vor Staub und Sonne geschützt in meinem Badezimmer-Schrank, hier habe ich es jederzeit griffbereit. Wenn’s mich überkommt, kann ich wieder zustechen.