11. Oktober 2024, 13:28 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Haben Sie auch eine auf dem Handy? Die Rede ist von Apps, mit deren Hilfe wir unseren Zyklus verfolgen können. Doch warum sollten wir das überhaupt tun? Warum Zeit investieren, die die meisten von uns ohnehin nicht haben? Was soll das bringen? Und was hat das mit Sport zu tun? All diese Fragen und noch viele mehr klärt Zyklus-Coachin Steffi Platt im Gespräch mit Carmen Dörfler.
Der Zyklus einer Frau beeinflusst nicht nur ihre körperliche Gesundheit, sondern auch ihre mentale Verfassung und Leistungsfähigkeit im Alltag und im Sport. Trotz seiner enormen Bedeutung wird der Menstruationszyklus oft unterschätzt und übersehen, sowohl in der Medizin als auch im alltäglichen Leben. Dies kann dazu führen, dass Frauen ihren Körper nicht vollständig verstehen und wichtige Signale übersehen, die auf ein Ungleichgewicht hindeuten könnten.
Steffi Platt ist Hormon-Couchin
Eine, die sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzt, ist Steffi Platt. Steffi Platt ist ehemalige Leistungssportlerin im Bereich Mittelstrecke, zweifache Deutsche Meisterin und Cross-EM-Bronzemedaillen-Gewinnerin mit der Mannschaft. Sie gründete 2019 die Initiative „Fierce Run Force“, die sich mit Coaching rund um Frauengesundheit und Lauftraining auseinandersetzt und ist außerdem Botschafterin für „Rethink – The Female Health Forum“, einer Plattform für Frauengesundheit von Garmin und Merrell.
Als Coachin für Hormon-, Menstruationszyklusgesundheit & Lauftraining und zyklusgerechtes Training gibt Platt hier ihre Expertise weiter und erklärt, warum es so wichtig ist, den eigenen Zyklus zu verstehen und für sich selbst zu nutzen.
Ein gesunder Zyklus ist mehr als nur die Menstruation
Der Menstruationszyklus besteht aus verschiedenen Phasen, die sich durch das Auf und Ab von Hormonen wie Östrogen und Progesteron auszeichnen. Diese hormonellen Schwankungen können sich nicht nur auf die physische Leistungsfähigkeit auswirken, sondern auch auf das emotionale Wohlbefinden und die Gesundheit.
„Ein gesunder Menstruationszyklus ist die Basis für zyklusgerechtes Training“, erklärt Platt. Um jedoch überhaupt mit zyklusgerechtem Training beginnen zu können, müsse zuerst überprüft werden, ob der eigene Menstruationszyklus gesund ist. Viele Frauen leiden unter hormonellen Dysbalancen, wie einer Östrogendominanz, die mitunter durch eine gestörte Leber- oder Darmfunktion ausgelöst werden kann. Hier sei es wichtig, den Körper als Ganzes zu betrachten und dies auch für den Sport und das Training zu berücksichtigen.
Zyklustracking spielt dabei eine entscheidende Rolle. Durch das gezielte Beobachten und Aufzeichnen des Menstruationszyklus über mehrere Monate hinweg können Muster erkannt und Symptome besser verstanden werden. „Es hilft nicht nur dabei, mögliche Ungleichgewichte aufzudecken, sondern auch, die persönliche Leistungsfähigkeit im Sport und im Alltag besser zu steuern“, weiß die Expertin.
Zyklusgerecht leben heißt mit dem Körper arbeiten, nicht gegen ihn
Viele Frauen bemerken, dass ihre Leistungsfähigkeit im Laufe des Zyklus schwankt. Diese Schwankungen sind nicht zufällig, sondern hängen mit den hormonellen Veränderungen zusammen, die während der verschiedenen Zyklusphasen auftreten. In der ersten Phase des Zyklus, der sogenannten Follikelphase, dominiert das Hormon Östrogen, welches, bezogen auf den Sport, den Aufbau von Muskelzellen unterstützt. „Das können wir uns zunutze machen. In dieser Phase können wir in der Regel intensiver trainieren und benötigen oft weniger Regeneration“, sagt Platt.
Nach dem Eisprung ändert sich die hormonelle Situation. Das Hormon Progesteron übernimmt die Führung, was zu einem eher „katabolen“ Zustand führe – der Körper baut eher ab als auf. Diese Phase, die Lutealphase, kann eine Anpassung im Training erfordern: „Hier geht es eher darum, das Erarbeitete zu erhalten, nicht um hochintensives Training“, erklärt Platt weiter.
Schmerzen oder PMS sind nicht normal
Viele Frauen spüren in dieser Phase einen Energieabfall oder erleben Symptome des prämenstruellen Syndroms (PMS). „Diese sind keineswegs normal oder müssen ausgehalten werden, sie lassen sich aber positiv beeinflussen durch leichte Aktivitäten wie Yoga oder Meditation, Spaziergänge oder den Routinesport in der Intensität anzupassen, kann dann hilfreich sein, um dem Körper die notwendige Regeneration zu geben, ohne ihn zusätzlich zu belasten oder in die Überbelastung zu geraten“, so Platt.
Weiterhin betont die Expertin, dass ein gesunder Menstruationszyklus beschwerdefrei sein sollte: „Jeder Menstruationszyklus ist so individuell wie jeder Mensch, dennoch dienen gewisse Parameter als Einordnung. Schmerzen sind dabei jedoch niemals normal und müssen nicht hingenommen werden.“
Zyklus-Tracking als Schlüssel zum Wohlbefinden
Ein gesundes Gleichgewicht der Hormone ist nicht nur für sportliche Leistung wichtig, sondern auch für das allgemeine Wohlbefinden. Platt betont, dass zyklusgerechtes Leben nicht nur Verletzungen vorbeugen kann, sondern auch für ein konstanteres Energieniveau und weniger Heißhungerattacken sorgt. Dabei gehe es in erster Linie darum, einen gesunden Menstruationszyklus herzustellen, der beschwerdefrei ist oder Beschwerden aufzuschlüsseln, insofern sich Erkrankungen dahinter verbergen. Durch das bewusste Anpassen von Ernährung, Schlaf und Stressmanagement an die individuellen Bedürfnisse und unter Berücksichtigung des Menstruationszyklus können Frauen langfristig ihre Gesundheit verbessern und Krankheiten wie Osteoporose vorbeugen.
Das regelmäßige Tracking des Zyklus ermöglicht es Frauen, ein tieferes Verständnis für ihren Körper zu entwickeln und ihre Energie effizienter zu nutzen. „Wenn wir unseren Zyklus kennen, können wir selbstbestimmter handeln und unsere Entscheidungen besser an unsere Bedürfnisse anpassen“, erklärt Platt. Dies gilt nicht nur für den Sport, sondern auch für den Alltag und den Beruf. Frauen können ihre Aufgaben und Verpflichtungen besser auf ihre persönlichen Energielevels abstimmen, was zu mehr Produktivität und Wohlbefinden führt.
Verfolgen des Zyklus erfordert Zeit und Energie – aber es lohnt sich
Obwohl das Thema Menstruationszyklus immer noch mit vielen Tabus behaftet ist, betont Platt die Wichtigkeit der Aufklärung. Viele Frauen setzten sich erst dann mit ihrem Zyklus auseinander, wenn sie Probleme wie PMS, eine ausbleibende Menstruation oder hormonelle Schwankungen erleben. Platt rät jedoch dazu, proaktiv zu handeln und den eigenen Zyklus als Teil eines gesunden Lebensstils zu integrieren. „Man muss sich bewusst machen, dass dies Zeit und Engagement erfordert“, sagt sie. Der erste Schritt sei, mit dem Tracken zu beginnen und zu beobachten, welche Symptome und Muster im eigenen Körper auftreten, um herauszufinden, was den einen individuellen Menstruationszyklus auszeichnet.
Zyklus-Tracking kann mithilfe von Apps oder Tagebüchern erfolgen, die dabei helfen, den Überblick zu behalten. Es sei jedoch wichtig, das Ganze langfristig anzugehen und nicht auf sofortige Ergebnisse zu hoffen. „Es ist ein Prozess, der sich über Monate entwickelt, aber die positiven Effekte zeigen sich langfristig“, betont Platt.
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Prävention durch zyklusgerechtes Leben
Zyklusgerechtes Leben sollte als Präventionsmaßnahme verstanden werden. Durch das bewusste Arbeiten mit dem eigenen Körper können Frauen gesundheitliche Probleme frühzeitig erkennen und gezielt vorbeugen. Platt sieht darin auch eine wichtige Aufgabe für das Gesundheitssystem: „Präventives Handeln fehlt oft. Wir müssen besser verstehen, wie der Menstruationszyklus funktioniert und wie er in den Alltag integriert werden kann, um positiven Einfluss auf die Zyklusgesundheit zu nehmen und z.B. Arbeitsausfälle zu verhindern.“ Denn wie eine Befragung der Gesundheitsapp FitrWomen und Strava zeigt, konnte jede dritte Frau aufgrund von Menstruationsbeschwerden schon mal nicht zur Arbeit, während zehn Prozent der Frauen deshalb regelmäßig der Arbeit fernbleiben müssen.
Ein Beispiel für die präventive Wirkung von zyklusgerechtem Leben ist die Knochengesundheit. Hormone wie Östrogen und Progesteron spielen eine wichtige Rolle beim Erhalt der Knochendichte. Mit zunehmendem Alter nimmt die Hormonproduktion ab, was das Risiko für Krankheiten wie Osteoporose erhöht. Zyklusgerechtes Training kann dabei helfen, diesem Prozess entgegenzuwirken und beispielsweise auch die Knochengesundheit zu fördern.
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Der weibliche Zyklus ist also weit mehr als nur eine monatliche Menstruation. Er kann alle Aspekte des Lebens einer Frau beeinflussen, wenn er nicht in Balance ist – von ihrer körperlichen und mentalen Gesundheit hin zu ihrer Leistungsfähigkeit im Sport und im Beruf. Durch Zyklus-Tracking und eine zyklusgerechte Lebensweise können Frauen ein tieferes Verständnis für ihren Körper entwickeln und ihn bestmöglich unterstützen.
Steffi Platt fasst es treffend zusammen: „Unsere Menstruation ist kein limitierender Faktor. Je mehr wir über unseren Körper wissen, desto mehr Macht haben wir über ihn.“
Zyklus-Tracking ist ein einfacher und effektiver Weg, um die eigenen Bedürfnisse besser zu verstehen und das Wohlbefinden langfristig zu steigern. Indem Frauen ihren Zyklus nicht als Hindernis, sondern als wertvollen Leitfaden betrachten, können sie ihr Leben selbstbestimmter, gesünder und ausgeglichener gestalten.