28. Februar 2019, 12:10 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Es gibt diskrete Erotik und es gibt eine Sexiness, die dank Hau-Drauf- bzw. Schau-Mich-An-Manier funktioniert: Die aktuell in Paris während der Fashion Week vorgeführten Netzkleider gehören für unsere Autorin eher in die zweite Kategorie.
Fashionmäßig hatten wir mit Netz-Stoffen bislang in Form von Einkaufsbeuteln, 80er-Sportswear-Revivalshirts und Strumpfhosen zu tun. Das hat sich allerdings geändert: Seit dieser Saison befreien die Designer nicht nur das grobmaschigen Material endgültig von seinem praktischen Image, sondern auch ihre Models von ihren Hüllen – Kleidungsstücke in gelöcherter und damit meist transparenter Optik sind zur Fashion Week und auf den Red Carpets derzeit ein Muss. Und das ist, finde ich, ein Rückschritt in Sachen Emanzipation vom männlichen Mode-Diktat.
Textile Hommage an die Weiblichkeit?
Bei Dior präsentierte Kreativdirektorin Maria Grazia Chiuri vor Gästen wie Jennifer Lawrence und Cara Delevigne im Garten des Rodin-Museums just die Kollektion für das kommende Jahr mit feministischer Message, eröffnet wurde das Defilée in Paris von einem T-Shirt mit der Aufschrift „Sisterhood is Global“ in Anlehnung an das feministische Engagement der Künstlerin Robin Morgan, ihre Fotografien schmückten das Zelt. Dior-Designerin Chiuri ist bekannt für ihre Vision von starken Frauen, vor den Kulissen der Show trugen diese dann auch mit Begeisterung ihre Lieblingsstücke der aktuellen Frühlingskollektion 2019: bodenlange, engangliegende Kleider in Fischernetz-Optik, wie hier vorgeführt von Bloggerstar Caro Daur.
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Den nudefarbenen Hauch von Netz stimmt denn auch Modebloggerin Caro Daur, deren Lifestyle beinahe zwei Millionen Follower bei Instagram folgen, perfekt mit mehreren Lagen filigranem Gold-und Silberschmuck und Accessoires mit schwarzen Details ab, die einen gekonnten Kontrast setzen. Die farblich passende, weil unsichtbare Unterwäsche erzeugt zumindest von Weitem eine Illusion von Nacktheit. Daur kann diesen Look natürlich tragen und verleiht ihm mit ihrer zierlichen Gestalt sogar einen niedlichen Touch. Aber tut dieses Kleid mit all seinem Kopfkino wirklich etwas für sie oder widerspricht es nicht vielmehr der feministischen Haltung seiner Designerin?
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Extravaganter: Glitzer-Netz
Die 19-jährige Schauspielerin Madison Beer befreite sich vom Dresscode und zeigte bei den diesjährigen Brit Award einfach alles, was sie hat. Die glitzernde Netz-Robe mit Korsettoberteil aus dem Designerhaus Ralph & Russo trägt Beer mit minimalem Schmuck und ganz bestimmt mit der erforderten Eleganz, dank der Outfitwahl ist sie nach dem Auftritt international gewiss um einiges bekannter – das allerdings nicht unbedingt für ihre berufliche Leistung. Und auch, wenn die transparenteren, leichten Lagen durchaus auf eine sportive Art modisch wirken – was bei mir bleibt, ist das Gefühl, dass hier schlicht die Hose vergessen wurde.
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Wo bleibt die Phantasie?
Allen Ladies, die dieser Tage zum modischen Netzteil greifen, sei die mediale Aufmerksamkeit gegönnt. Doch bei allem, was mehr Erfolg oder Aufmerksamkeit durch weniger Kleidung verspricht, bin ich generell skeptisch. Mit dieser Kleiderwahl unterschätzen wir nicht nur unsere eigene Wirkung jenseits optischer Primärreize, sondern auch die Fähigkeit zur augenscheinlichen Transferleistung beim Betrachter. Klar, dieses Outfit hat eine eindeutige und kalkulierte Message, und die ist definitiv „sexy“ – das kann tatsächlich smart platziert sein. Das beste Beispiel für die perfekte Zurschaustellung des eigenen Körpers lieferten gerade wieder die Kardashian-Schwestern: Nachdem Khloé ihren Partner, den Basketballspieler Tristan Thomson, aufgrund seiner wiederholten Untreue verließ, durften der NBA-Star sowie knapp 90 Millionen Follower einen durchaus gewollten Blick auf die geballte Kardashian-Sexiness im transparenter Netz-Glitzer-Optik werfen:
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Zugegeben: Die kalifornischen Kult-Schwestern sind nicht wegen ihrer Zurückhaltung berühmt geworden. Wem es aber nicht gerade um die Abrechnung mit dem Ex-Freund und ein demonstratives „Schau Dir an, was du verpasst“ (Und auch über den Sinnhaftigkeit dieser Nachricht ließe sich streiten) geht, für den kann ein Abendkleid und sogar ein gut geschnittener Hosenanzug das Gleiche leisten. Denn diese Kleidungsstücke stehen dem transparenten Hauch buchstäblich in Nichts nach – und sind meiner Meinung nach sogar um einiges sinnlicher, weil weniger explizit.