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Expertinnen zu „Powerdressing“

Wie Fashion die Politik von Frauen beeinflusst  

Powerdressing
Zu freundlich, zu modisch, zu viel – kann man es als Frau in der Politik überhaupt jemandem recht machen? Foto: Getty Images
freie Autorin bei STYLEBOOK

5. November 2024, 12:49 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten

Sie könnte die erste Frau im Amt der Präsidentin der USA werden: Kamala Harris. Doch oftmals wird eher über Harris’ Stil denn über ihre Botschaften diskutiert – und das nicht nur positiv. Sie ist damit nicht allein: Auch Außenministerin Annalena Baerbock oder die Grünen-Politikerin Ricarda Lang geraten häufig unter Beschuss aufgrund ihres modischen Auftretens. Woher das kommt und was hinter dem sogenannten Powerdressing steckt, hat STYLEBOOK bei zwei Expertinnen nachgefragt. 

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„Was soll diese Krawatte, Herr Lindner?“; „Hier können Sie Friedrich Merz’ Anzug nachshoppen“; „Darum verwendet Olaf Scholz noch immer diese uralte Aktentasche“ – kommen Ihnen diese Schlagzeilen merkwürdig vor? Tja, das könnte allein an der Tatsache liegen, dass hier nur über die modischen Entscheidungen von Politikern berichtet wird. Ersetzen Sie mal Krawatte mit Kleid, Herr Lindner mit Frau Baerbock, Friedrich Merz mit Kamala Harris und Olaf Scholz mit Nancy Faeser. Plötzlich klingen diese rein fiktiven Schlagzeilen gar nicht mehr so außergewöhnlich. Auch im Jahr 2024 ist es nach wie vor so, dass der Kleidungsstil von Frauen in der Politik viel häufiger Gegenstand der medialen Berichterstattung, Social Media und politische Kampagnen ist – positiv wie negativ. Doch wieso spricht man nicht bei Donald Trump von Powerdressing? Dieser Frage geht STYLEBOOK mit einer Kommunikationspsychologin und einer Modesoziologin auf der Spur. 

Das ist mit „Powerdressing“ gemeint

Die Wahl einer zu langen Krawatte, speziellen Budapestern oder einer Fliege bei den männlichen Kollegen sorgt eher selten für Diskussionsstoff. Bestes Beispiel ist dafür die US-Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Kamala Harris. Ihr Kleidungsstil wird gemeinhin als „Powerdressing“ bezeichnet. Damit ist eine bewusste Kleiderwahl gemeint, um ein selbstbewusstes, professionelles und autoritäres Erscheinungsbild zu erzeugen.

Fashion à la Kamala Harris – wenn Mode zum politischen Statement wird 

Egal, wo die 59-Jährige auftritt, ihr Stil gleicht einer Uniform, die in Varianten gezeigt wird: Klare Schnitte, hochwertige Materialien und klassische Farben, häufig in Blau-Nuancen, der Farbe ihrer Partei. Dabei setzt sie häufig auf modern geschnittene Hosenanzüge von Labels wie Chloé, Dolce & Gabbana oder Altazurra. Eine ganze Website widmet sich ihrer Garderobe. Oft kombiniert sie ihre Outfits mit Chucks oder klassischen Pumps von Manolo Blahnik. 

Damit vermittelt sie eine eindeutige Botschaft, wie die Modesoziologin Dr. Monika Kritzmöller erklärt. Sie führt ihr Forschungs- und Beratungsinstitut „Trends+Positionen“ und lehrt an der Universität St. Gallen in der Schweiz. Ihre Hosenanzüge seien sehr feminin zu ihrer Figur passend geschnitten und werden mit persönlichen Details kombiniert. „Sie trägt nicht irgendwelche Trendsneaker, sondern Chucks, die sie schon als Studentin getragen hat. Ebenso wie die Chucks sind ihre Perlenketten Klassiker, die sie in verschiedenen Variationen trägt. Das sind ihre persönlichen It-Pieces, die mit ihr in Verbindung gebracht werden“, analysiert Kritzmöller. „Im Übrigen schauen Sie sich Marlene Dietrich an oder die Tuxedos von Yves Saint Laurent  – das sind Beispiele, in denen Frauen den Männern sozusagen das Spielzeug wegnehmen und neu besetzen“, ergänzt die Expertin. 

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Kollektives Gedächtnis einer Gesellschaft 

Ähnlich sieht das Dr. Christine Flassbeck, Professorin für Kommunikationspsychologie an der IU Internationale Hochschule. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte sind Urteilsbildung sowie Kommunikation in der Arbeitswelt. Sie glaubt: Manchmal können Politikerinnen auch Vorbilder sein und Trends setzen.  Ein Beispiel sei die damalige SPD-Abgeordnete Lenelotte von Bothmer gewesen, als die 54-jährige Mutter von sechs Kindern am 15. April 1970 zum ersten Mal als Frau in einem Hosenanzug den Deutschen Bundestag betreten hat. „Dann schauen sich Frauen das ab“, sagt sie. „Wenn ich solch einen Stil kopiere, dann drücke ich damit auch wiederum aus: Ich finde diese Frau toll, ich möchte auch so ein wenig so sein wie sie.“ 

Was hinter „enclothed cognition“ steckt

Insofern könne Kleidung also auch Gefühle ausdrücken – manchmal eben eher etwas Glamouröses, aber auch etwas Empowerndes – „enclothed cognition“ nenne man das im Fachjargon. Das Auftreten einer Person in der Öffentlichkeit habe immer auch direkte Auswirkungen auf die Öffentlichkeit. „Als Politikerin kannst du jetzt nicht sagen: Ach, heute ist mir eher so nach meinem grünen, ollen Kuschelpulli“, bringt Flaßbeck es auf den Punkt. Politikerinnen würden bei der Auswahl ihres Looks also auch sehr strategisch vorgehen. Der Look wird zum Statement, so wie auch bei Kamala Harris: „Sie zeigt damit, ich kann das tragen“, meint Flaßbeck.  

„Harris könnte ihren Wurzeln entsprechend auch in einem indischen Gewand auftreten.“ Mache sie aber nicht, weil sie sich durch und durch als US-Amerikanerin identifiziert und auch dementsprechend wahrgenommen werden möchte. „Sie betont stets, dass sie Amerikanerin ist. Sie ist hier, um das Land zu führen, und sie ist hervorragend ausgebildet. Und all das drückt sie durch ihre Kleidung aus und will obendrein noch zeigen, dass sie nicht durchweg konservativ ist“, analysiert Flaßbeck. Sie inszeniere sich so bewusst auch als eine Art Gegenentwurf zu Joe Biden. Kräftige, lebendige Farben betonen Lebendigkeit und Jugend. 

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Doch wieso achtet die Gesellschaft mehr auf die Kleidung von Frauen? 

„Zum einen ist natürlich nach wie vor das äußere Erscheinungsbild wichtig, um andere Menschen einzuordnen“, sagt die Kommunikationspsychologin. Frauen hätten zudem nach wie vor einen anderen Kleidungsstil als Männer – egal, ob in der Politik oder in anderen Berufen. „Männer hatten schon immer eher dieses Uniform-hafte. Die meisten Frauen kleiden sich tendenziell eher etwas abwechslungsreicher, sodass wir Mode eher mit Frauen in Verbindung bringen und da auch schauen: Was trägt sie denn, was traut sie sich denn?“, so Flaßbeck. 

Sahra Wagenknecht in ihrer „Uniform“: Kostüm mit leichten Stehkragen, knalligen Farben und Hochsteckfrisur
Sahra Wagenknecht in ihrer „Uniform“: Kostüm mit leichten Stehkragen, knalligen Farben und Hochsteckfrisur Foto: Getty Images

Viele Politikerinnen eignen sich daher das Schema X der Männerwelt an, was häufig auch mit Business in Verbindung gebracht werde, meint sie. „Das heißt, die Frau trägt eher Hosenanzug und Blazer – außer Sahra Wagenknecht, die immer Kleid oder Kostüm trägt. Aber auch das ist eine Art Uniform“, so Flaßbeck. Laut der Expertin sei die Diskussion über Frauen in der Politik und ihre Kleidung bedingt durch Stereotypen genauer gesagt ein vereinfachtes Schlussfolgern über andere. Ein bestimmter Modestil könne ausdrücken, wofür man stehe, wie zielorientiert man sei. Gleichzeitig mache man sich so auch angreifbar, indem andere versuchen, Fehler zu finden. 

Auch interessant: 3 Trends, die Königin Letizias Anzug-Look so stylisch machen

Französische Revolution sorgte für Umdenken

Diese Agenda-Funktion von Mode und auch der Blick auf Männer – genauer gesagt Frauenbekleidung – habe sich mit der Französischen Revolution gewandelt, erklärt Dr. Kritzmöller. Davor habe sich der Adel durch aufwendige Kleidung profiliert – „und zwar beiderlei Geschlecht. Die Männer waren genauso herausgeputzt wie die Frauen mit gepuderten Perücken, bestickten Hosen und Spangen an den Schuhen“, so die Modesoziologin. Die Mode repräsentierte den ererbten Status. Mit dem Erstarken des Bürgertums in der Gesellschaft nach der Französischen Revolution wurden im Kontrast dazu die schlichten Anzüge zu Insignien der durch eigene Leistung erlangten Macht. „Keine Farben mehr, keine Rüschen, keinen Chichi Schmuck, mit denen der Adel eben zeigte, dass er nicht arbeiten muss“, sagt Kritzmöller. 

Ganz anders sah es damals für die Frauen aus – sie wurden im Bürgertum zu Repräsentantinnen des Wohlstands ihrer Ehegatten und trugen dementsprechend opulente Outfits. Indem Frauen damals nicht berufstätig waren, hat sich im eigentlichen Sinne keine klassische Businesskleidung für Frauen entwickelt, erklärt die Modesoziologin. „Es gibt dann nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie imitieren die Männer oder sie finden ihren außergewöhnlichen eigenen Stil, der eben von der Norm der Männer abweicht.“ 

Powerdressing: Sind feminine Schnitte in der Politik tabu?  

Gerade bei erfolgreichen Frauen werde häufiger hinterfragt, ob sie ihrer Aufgabe wirklich gerecht werden und im harten Politik-Alltag bestehen können. „Sobald diese softe, weiche weibliche Seite kommt, äußern sich die Kritiker“, meint Flaßbeck. Eine knallige Farbe oder eine Tasche von Louis Vuitton könne dann schnell zum Politikum werden. Für Politikerinnen sei es unglaublich schwierig, sich dadurch zu navigieren, weil sie immer Angriffsfläche bieten würden. Markante Markenzeichen sollten in diesen Kontexten auch sozialverträglich sein.  

Sie signalisieren dann: „Damit identifizieren sich die Wählerinnen oder Wähler“, glaubt Flaßbeck. „Lustigerweise sind es immer Frauen, die mich dazu fragen“, sagt hingegen Kritzmöller. Für sie bedeute der Blick auf Mode und die Tatsache, dass Politikerinnen mit ihren Kleidungsstilen mehr auffallen, nicht automatisch eine Reduzierung auf das Äußere. Vielmehr repräsentiere ein bestimmter Stil ein Gesamtpaket aus Identität, Meinungen und Botschaften. „Es hat auch etwas Positives aufzufallen“, sagt sie. So bliebe man eben nicht im Hintergrund, werde wahrgenommen und könne seine Interessen besser vertreten. 

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Annalena Baerbock trägt gerne Kleid

Manchmal kann das auch zur Inszenierung werden, wie bei der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock. Dass sie sich auf internationalem Parkett zwischen vielen Männern aber oft in Kleidern präsentiert, sei ein guter Schachzug – weil sie damit eben aus der Masse heraussteche und man sie damit in Verbindung bringe. Immer sei es dabei erst die Attitüde, die Kleidung zum Powermove macht. 

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Schluss mit Sexismus in der Politik! Kleidung sollte keine Angriffsfläche bieten

„Hallo 2024, ich möchte endlich einen Wahlkampf sowie politische Debatten ohne sexistische Kommentare und Reduzierung auf das Äußere!
So bemerkenswert und stilsicher Kamala Harris Look auch ist – wer Chucks zu einem Chloé-Hosenanzug kombiniert, hat ohnehin meinen vollen Respekt – es nervt mich einfach, dass ‚alte weiße Männer‘ wie Donald Trump sie immer noch auf ihr Äußeres reduzieren und daraus eine Angriffsfläche projizieren.

Kann man sich nicht einfach modisch kleiden und trotzdem sachlich diskutieren? Schließlich kann nicht jeder einfach eine viel zu lange rote Krawatte als Phallus-Ersatz tragen.  
Aber auch den Begriff ‚Powerdressing‘ finde ich zum Teil problematisch. Ja, Mode kann das Selbstbewusstsein stärken. Jedoch verleihen Designerklamotten einer Politikerin nicht automatisch die Superkraft, alle Konflikte dieser Welt zu lösen – was der Begriff ‚Powerdressing‘ jedoch oftmals in der medialen Berichterstattung impliziert. Wie wäre es stattdessen mit mehr Sachlichkeit – unabhängig von Klamotten und Geschlecht?“

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