9. Oktober 2023, 19:54 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Mit hinten anmontiertem Heel, besetzt mit Kunstfell, oder verziert mit Nieten und Perlen: Das Unternehmen Crocs Inc. hat sich in den letzten Jahren einiges einfallen lassen, um seinen Kunststoff-Pantoffeln ein neues Image zu verpassen. Mit Erfolg – denn die einstigen No-Go-Schuhe sind im Mainstream angekommen. Als wir uns gerade an ihren Anblick gewöhnt haben, taucht jetzt auf TikTok und Instagram ein neuer Schuh auf, der nachdenklich macht: sogenannte „Croots“. Was es damit auf sich hat und warum wir uns vor der Ästhetik des Hässlichen nicht verschließen sollten, verrät Ihnen STYLEBOOK.
Blauer Himmel, Sonnenschein. Nur das charakteristische „Brrrrr“ eines Hochdruckreinigers durchbricht die Stille. Ein Mann, Mitte 50, befreit seine Terrasse mit genau diesem Arbeitsgerät vom Dreck, der sich den Winter über dort angesammelt hat. Er trägt ein ausgebleichtes, graues T-Shirt mit kaum noch erkennbarem „Metallica ’96 World Tour“-Aufdruck. Die Hose: hellblau, im Lauf der Jahrzehnte aus der Form gekommen. An den Füßen: das wohl bekannteste Croc-Modell: armeegrüne Crocs in der „Classic“-Variante.
Was Crocs so besonders macht
Der aufgrund seiner Pantoffel-Form auch als „Classic Clog“ bezeichnete Schuh ist hinten offen. Der Vorderschuh ist geschlossen und mit jeweils 13 Luftlöchern versehen – für die optimale Luftzirkulation. Klappt man den Fersenriemen herunter, bleibt der Kunststoff-Pantoffel selbst bei der intensivsten Terrassen-Reinigung da, wo er bleiben soll – nämlich am Fuß. Die „bequemen Allround-Schuhe“, wie der Hersteller das Modell in seinem Online-Shop bezeichnet, wiegen nur circa 170 Gramm. Werden sie dreckig, kann man sie einfach unter fließendem Wasser abspülen. Kurz gesagt: Crocs sind pflegeleicht, langlebig und bequem. Objektiv betrachtet gibt es also keinen Grund, diese Schuhe nicht zu tragen. Rein objektiv betrachtet.
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Von Hass zu hip – der Imagewandel von Crocs
Die Sache mit modischen Entscheidungen ist nämlich: Wer modebewusst ist, entscheidet sich selten nur aus Bequemlichkeitsgründen für ein Kleidungsstück. Wir drücken uns und unsere Persönlichkeit mithilfe von Mode aus. Unsere Kleidung spiegelt in vielen Fällen unsere Weltanschauung wider und gibt Aufschluss darüber, wie wir von anderen gesehen werden möchten. Und: Mode ist politisch, betont auch das Google-Projekt We Wear Culture, das sich den „Geschichten, die unsere Kleidung erzählt“, widmet.
Was passiert wäre, wenn man noch vor fünf Jahren zu einer modebewussten Person gesagt hätte, dass sie mal in Crocs eine Shopping-Tour machen wird? Erst einmal hätte die Person herzlich gelacht. Und dann im Brustton der Überzeugung behauptet, dass sie niemals diese Schuhe in der Öffentlichkeit tragen wird. Crocs sind Schuhe, die Männer ab Mitte 50 bei der Gartenarbeit tragen. Crocs sind hässlich. Und nichts, absolut gar nichts für Leute mit Style.
An sich dürfte das nicht überraschen. Denn Lyndon Hanson, Scott Seamans und George Boedecker, Gründer von Crocs Incorporated, haben ihr Unternehmen 2002 mit dem Gedanken ins Leben gerufen, ihre wasserabweisenden Schuhe an Personen im Bootssport oder an Menschen, die in Feuchträumen arbeiten, zu verkaufen. Sie waren nie als Alltagsschuhe gedacht.
Weil sich aber herumgesprochen hat, dass die Schuhe sehr bequem und gleichzeitig günstig sind, wollten schon bald viele Leute ein Paar als Hausschuhe, um schnell den Müll herauszubringen, oder um im Garten zu werkeln. Auch fanden – und finden – viele, die aufgrund von körperlichen Einschränkungen keine Schnürsenkel binden können und einen Schuh zum einfachen Hineinschlüpfen brauchen, die bequemen Schaumharz-Pantoffeln praktisch.
Deshalb konnte Crocs Incorporated 2004 seinen Umsatz im Vergleich zum Vorjahr verzehnfachen und sich das Patent für das Schaumharz, aus dem die Schuhe bestehen, sichern. Der Grundstein, um aus dem kleinen, auf Bootssportler spezialisierten Unternehmen einen internationalen Konzern zu machen, war gelegt. So wurden Crocs ähnlich wie Ugg Boots immer bekannter. Aber obwohl die Schuhe schon immer praktisch, robust und pflegeleicht waren, blieb ihr Ruf schlecht. Schließlich geht „schön“ anders, oder?
Kommentar zum Trend Comeback: Mein steiniger Weg zurück zu Cowboy-Boots
Die Marketing-Maschinerie hinter Crocs
Aber: Am Ende des Tages können finanzstarke Unternehmen aktuelle Fashion-Trends beeinflussen. Zum Beispiel, indem sie mit Influencern wie Marianne Theodorsen und Stars wie Jonathan Van Ness, bekannt aus der US-Version der Netflix Show Queer Eye, Drag Performern wie Sugar Lynch, oder J-Pop-Stars wie Kyary Pamyu Pamyu kollaborieren.
Auch für Kollaborationen mit gefeierten Designern wie dem Briten Christian Cowan oder Streetwear-Schudesigner Salehe Bembury ist das Unternehmen mittlerweile bekannt.
Und selbst Marken wie Disney und Hello Kitty sowie Luxus-Brands wie Balenciaga scheuen nicht vor Kollaborationen mit Crocs zurück. Fast schon legendär ist der Crocs Madame, der erste Crocs High Heel mit dezentem Designer-Logo.
In einem Fastcompany-Artikel von 2006 betont Markengründer Lyndon Hanson, dass die Haupt-Zielgruppe von Crocs eine Gruppe von „spaßliebenden Menschen“ ist, die sich dadurch „cool fühlen“, dass sie „mutig genug sind“, Crocs in der Öffentlichkeit zu tragen. Doch die Marketing-Maßnahmen der letzten Jahre haben vor allem dazu geführt, dass Crocs mittlerweile nicht mehr nur von mutigen Fashion-Vorreitern und Influencern, sondern auch von ganz „normalen“ Menschen getragen werden. Genauer gesagt: von den Leuten, die Crocs vor ein paar Jahren niemals in der Öffentlichkeit getragen, geschweige denn ein Foto von sich, auf dem sie die Schuhe tragen, bei Instagram hochgeladen hätten.
Meine These lautet: Die ganz Mutigen sind von Crocs mittlerweile gelangweilt, oder werden es bald sein. Eben, weil die Schuhe im Alltag immer weniger auffallen und anecken. So wirklich schockt man nämlich niemanden mehr, wenn man mit Crocs auf die Straße geht. Ist das also das Ende einer Ära, in der Crocs noch ein echtes Politikum waren? Auf keinen Fall. Vorhang auf für Croots.
Croots: Wenn zwei Kontroversen aufeinanderprallen
Influencerin und YouTube-Star Safiya Nygaard hat vor einiger Zeit auf Instagram gepostet und damit möglicherweise den Grundstein für einen neuen Fashion-Trend gelegt. Dort zu sehen sind sogenannte „Croots“ – Schuhe, die zur Hälfte aus den klassischen und originalen „Classic Clogs“ von Crocs bestehen. Der Schaft: pinke Cowboy Boots. Diese Kombination erklärt den Namen: Crocs + Boots = Croots. Wer jetzt das Bedürfnis hat, sofort das Smartphone oder den Laptop in die Ecke zu schmeißen und „genug Internet für heute!“ zu schreien, dem rate ich: gaaanz ruhig, bitte. Atmen. Was Sie erleben, ist eine ganz natürliche Reaktion auf eine, sagen wir mal, sehr progressive Modeschöpfung. Schließlich sind Croots nicht nur „fashion forward“, sondern auch kontrovers.
Denn auch Cowboy Boots gehören nicht zu den vorbehaltlos im Alltag anerkannten Mode-Trends, sondern gelten vielerorts als kitschig und verstaubt – besonders, wenn sie in Statement-Farben wie Pink daherkommen. Ich persönlich grusele mich vor Cowboy Boots, weil ich damit eine ganz bestimmte Sorte von Promis wie Joe Exotic verbinde (auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob Joe Exotic wirklich Cowboy Boots trägt – für mich ist er einfach so ein „Cowboy-Boots-Typ“). Es geht also mehr um die Gefühle und Erinnerungen, die bestimmte Kleidungsstücke in uns auslösen.
Im Gegensatz zu mir feierten Trendsetter schon 2022 das Comeback der traditionsreichen Stiefel aus dem Süden der USA. Doch ganz gleich, ob Sie pro Cowboy Boots sind, oder sie Ihnen ebenfalls eher kalte Schauer über den Rücken jagen: Kombiniert man Cowboy Boots mit Crocs, entsteht etwas ganz Eigenes, Neues. Etwas, auf das man sich entweder einlassen und es feiern kann. Oder das eine starke Abwehrreaktion in einem auslöst. Oder das Sie einfach nur zum Lachen bringt.
Zum Croctober bringt Crocs nun selbst Croots heraus
Während Crocs und Cowboy-Boots-Fans bisher ihre Croots selbermachen mussten, hat Crocs auf seine Mode-Anhänger gehört und bringt nun zum „Croctober“ ein echtes Original-Modell heraus.
Letzte Woche präsentierte das Unternehmen seine neuesten Crocs-Modelle mit einem Hauch von Wildwest-Flair. Die Gummistiefel im Cowboy-Stil, komplett mit Sporen-Anhängern, wurden von der engagierten Fangemeinde inspiriert. In einer vorliegenden Pressemitteilung heißt es, dass Crocs diese Leidenschaft erkannt hat und die Träume der Fans wahr werden lässt, indem sie den „Crocs Classic Cowboy Boot“ in die Realität umsetzen.
Der Stiefel wird am 23. Oktober auf den Markt kommen und zum Preis von 120 Dollar erhältlich sein. Es sieht jedoch so aus, als müssten Kunden den Stiefel über den amerikanischen Online-Shop bestellen, da derzeit kein Modell im deutschen Shop aufgeführt ist.
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„Hässliche“ Trends sind eine Chance zum Umdenken
Wenn Sie zu den progressiven Trendsettern gehören, also zu den Leuten, denen es nicht extrem genug sein kann und die vor Kreationen, die eher Haute Couture als alltagstauglich sind, nicht zurückschrecken, sind Sie von Croots vielleicht auf den ersten Blick begeistert. Oder sind Sie eher der Typ, der beim Anblick von Croots direkt „SOWAS KOMMT MIR NICHT INS HAUS!!“ schreit? Dann rate ich: tief durchatmen. Nicht jeder Trend wird alltagstauglich und kommt im Mainstream an.
Und am Ende des Tages ist Mode und auch das Empfinden, was nun ästhetisch ansprechend ist und was nicht, immer im Wandel. Letztendlich entscheiden Sie selbst, ob Sie diesen oder den nächsten Fashion-Trend ausprobieren wollen. Wir alle haben die Freiheit und das Privileg, uns modisch so auszudrücken, wie es am besten zur Persönlichkeit und zum eigenen Selbstbild passt – ist das nicht wunderbar? Es gilt wie immer: leben und leben lassen. Übrigens sind vermeintlich „hässliche“ Trends auch immer eine Chance und eine Möglichkeit zur Veränderung, zum Um- und Neudenken sozialer Werte und von Konformität.
Wie das Beispiel Crocs zeigt, ist es sehr gut möglich, dass Croots in ein paar Jahren zur Alltagsgarderobe gehören werden. Wer weiß schon, welcher Influencer den nächsten Hype auslöst und wie sich die Ästhetik als Nächstes wandelt? Spannend bleibt es allemal!