5. Juni 2019, 8:36 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Mal wieder nichts zum Anziehen? Viele kennen das: Obwohl der Schrank voll ist, hat man das Gefühl, dringend Shoppen zu müssen. Die damit verbundenen Umweltprobleme geraten da gerne in Vergessenheit. Dabei sind sie nicht zu unterschätzen.
Tops, Sonnenbrillen oder Badehosen – angepriesen für wenig Geld. Billiganbieter für Mode locken nicht nur mit günstigen Preisen, sondern auch mit häufig wechselnden Sortimenten und das kommt an: Viele Kunden verlassen die Läden mit großen Tüten, die Umsätze sind enorm. Aber auch vermeintliche Schnäppchen haben ihren Preis: Sie gehen nämlich nicht selten auf Kosten der Umwelt – und damit auch von den Menschen.
Herstellung
Einer der weltweit größten Exporteure von Bekleidung und Textilien ist Indien. Dort tragen gleich zwei Städte den Spitznamen „Manchester des Ostens“ – benannt nach der früheren Textilhauptstadt in England. Darunter das westindische Ahmedabad. In der Region wird ein großer Teil der auf der Welt gebrauchten Baumwolle angebaut. Die Baumwollindustrie hat allerdings eine ganze Reihe von Problemen: Genverändertes Saatgut sorgt für Probleme bei den kleinen Bauern, Dünger und Pestizide belasten Umwelt und Gesundheit der Menschen. Auch der hohe Wasserverbrauch beim Baumwollanbau ist problematisch, gerade in einem Land wie Indien, das unter Wassermangel leidet. Ein Lösungsansatz ist der Anbau von Biobaumwolle, der weniger wasserintensiv ist und bei dem keine synthetischen Pestizide zum Einsatz kommen. Auch hier ist Indien ganz vorne: Das Land ist der weltweit größte Produzent von Biobaumwolle, die macht bisher aber nur einen kleinen Teil der insgesamt angebauten Baumwolle aus.
Luftverschmutzung
Das zweite „Manchester des Ostens“ ist Kanpur in Nordindien, eine der Städte mit der schlimmsten Luftverschmutzung der Welt. Kanpur ist das Zentrum der indischen Lederindustrie – ebenfalls ein wichtiges Exportgut. Dort stehen rund 400 Gerbereien am Ufer des für Hindus heiligen Flusses Ganges. Gläubige baden darin, um ihre Sünden abzuwaschen, und trinken dann traditionell auch einen Schluck von dem verschmutzten Wasser. Die Gerbereien erzeugen etwa 50 Millionen Liter Abwasser am Tag, wie der Umweltaktivist Rakesh Jaiswal erklärt. Es gebe nur eine Kläranlage. Die könne aber nur neun Millionen Liter am Tag bewältigen, ein „Cocktail tödlicher Chemikalien“ würde dennoch in den Fluss und letztlich auch ins Grundwasser gelangen.
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Transport
Textilien müssen oft über lange Wege vom Produzenten zum Händler und zum Käufer transportiert werden. „Die Preise, die für Fast Fashion ausgerufen werden, lassen kaum Spielraum, um beim Transport besonders nachhaltig agieren zu können“, sagt Markus Muschkiet, Leiter des Centers Textillogistik, das zum Fraunhofer Institut für Logistik und zur Hochschule Niederrhein gehört. Doch die langen Wege seien an sich nicht das Grundproblem. „Auf das einzelne T-Shirt gesehen ist die Emission vernachlässigbar“, so Muschkiet. Die Containerschiffe seien extrem effizient. Bei 16 000 Containern auf einem Schiff, falle ein T-Shirt umwelttechnisch nicht ins Gewicht. Die meisten Emissionen fallen laut Untersuchungen auf den letzten Kilometern an, nämlich beim Transport mit dem LKW – und das ist besonders schädlich. Laut Umweltbundesamt (UBA) verursacht jede Tonne Ware pro Kilometer Lkw-Transport 103 Gramm Treibhausgase. Zum Vergleich: Bei der Bahn wären es 19 Gramm, beim Schifftransport 32.
Retouren
Logistik-Professor Muschkiet hält neben dem eigentlichen Transport auch Lagerentscheidungen für ausschlaggebend: Wie viele Kleidungstücke ordere ich als Händler? Wie sehen die Lagerhäuser aus? Große Lagerhäuser benötigen mehr Energie und Land, nicht verkaufte Stücke belasten die Umwelt daher unnötig. Hier lässt sich laut Muschkiet relativ viel CO2 einsparen. Er rät zu kombinierten Lagern, aus denen Händler sowohl den stationären Handel als auch den Online-Handel bedienen können. Beim Online-Handel gehören vor allem die übermäßige Verpackung und Retouren zu den Umweltproblemen. Um die zu reduzieren, bieten einige Unternehmen inzwischen virtuelle Anproben und Zusatzinformationen zur Passform an. Dennoch geht bisher jedes zweite Kleidungspaket zurück, über 70 Prozent aller Retouren seien Moderetouren, wie die Forschungsgruppe Retouren-Management der Universität Bamberg ermittelt hat. Die Rücksendungen belasteten das Klima so stark wie 166 000 Tonnen CO2.
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Gefährliches Verhältnis
Trotz des Billig-Trends sind die Ausgaben der deutschen Privathaushalte für Bekleidung und Schuhe in den vergangenen Jahren nicht gesunken: 2017 lagen sie laut Statistischem Bundesamt im Schnitt bei 110 Euro im Monat, 16 Euro pro Monat mehr als zehn Jahre zuvor. Greenpeace fasste 2017 in einem Report über „Fast Fashion“ zusammen: Obwohl die Schränke voll seien mit nie getragener Kleidung, kaufe jeder Deutsche pro Jahr etwa 60 neue Teile. Die Tragezeit sei aber nur noch halb so lang wie vor 15 Jahren. Second-Hand-Läden, mieten statt kaufen und Garderoben aus zeitlosen Stücken – darauf setzen zwar manche bewusste Konsumenten, von einem Massentrend kann aber nicht die Rede sein.
Chemikalien
Selbst beim Tragen und Benutzen von Klamotten kommt es noch zu Problemen für die Umwelt. In Outdoor-Ausrüstung etwa werden oft sogenannte per- und polyfluorierte Chemikalien, kurz PFC, eingesetzt, weil diese wasser- und schmutzabweisenden Eigenschaften haben. Manche dieser Stoffe können in den Wasserkreislauf gelangen. In der Natur können die Substanzen laut UBA aber „kaum bis gar nicht“ abgebaut werden. Manche der Substanzen gelten nach UBA-Angaben als krebserregend oder können die Fruchtbarkeit schädigen. Seit das Problem vor einigen Jahren bekannt wurde, hat sich in der Branche etwas getan. „Fast alle größeren Outdoor-Marken haben inzwischen PFC-freie Produkte im Sortiment. Aber es ist noch viel zu wenig“, sagte Manfred Santen, Chemiker von Greenpeace. Man müsse den Herstellern aber auch etwas Zeit geben, die Forderungen umzusetzen.
Mikroplastik
Auch bei einem weiteren Problem dauert die Suche nach Lösungen an: Es geht um kleinste Fasern aus Fleecepullis und anderen synthetischen Materialien, die sich beim Waschen lösen und in den Wasserkreislauf oder mit dem Klärschlamm auf Felder gelangen können. Sie reichern sich in der Umwelt an und werden auch von Tieren aufgenommen. „Diese Fasern sind vor allem dadurch problematisch, dass man sie sehr häufig in der Umwelt findet“, sagte Leandra Hamann vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen.
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Kleidung waschen
Einer Studie des Instituts von 2018 zufolge fallen durch Faserabrieb beim Waschen in Deutschland hochgerechnet 77 Gramm Mikroplastik pro Person und Jahr an – das entspricht etwa der Menge von 25 Stück Würfelzucker. Waschen liegt damit den Autoren zufolge auf Platz 10 der größten Mikroplastikquellen im Land. „Wir haben so große Mikroplastik-Emissionen, dass wir einen Großteil reduzieren müssen. Da ist jede Quelle relevant“, sagte Hamann. Sie forscht an Mikroplastik-Filtern für Waschmaschinen: Ziel ist es, Fasern möglichst selektiv herauszufiltern, um schnelles Verstopfen der Filter durch Haare, Steinchen oder Sand zu verhindern. Bisher müssen Verbraucher mit Bewusstsein für das Problem in der Regel selbst aktiv werden: Es gibt spezielle Waschbeutel zu kaufen, in die man Synthetiktextilien vor dem Waschen einpackt. Oder eine kleine Kugel, die man mit in die Trommel geben kann, um Fasern aufzunehmen. „Es wird definitiv in nächster Zeit weitere Ansätze geben, denn auch der Industrie ist bewusst, dass das Problem angegangen werden muss“, sagte Hamann.