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STYLEBOOK-Interview

Friseurin und Psychologin verrät, warum wir beim Haareschneiden so viel reden 

Frau mit Kopf im Waschbecken beim Friseur. Sie hat die Augen geschlossen, lächelt und bekommt die Haare gewaschen
Friseurbesuch und Therapiebesuch in einem – können Sie sich das vorstellen? Foto: Getty Images
Carmen Dörfler
Redakteurin STYLEBOOK

22. April 2024, 12:19 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Haben Sie auch oft das Gefühl, dass Sie beim Friseur offener über Dinge reden, als sonst? Damit sind Sie nicht allein! Eine Berlinerin hat darauf basierend sogar ihren Beruf kreiert: Anka Stephan bietet in ihrem Salon Haarschnitte und Therapiegespräche an. Im Gespräch mit STYLEBOOK-Redakteurin Carmen Dörfler hat sie erklärt, wie sie dazu kam, wie ein Termin bei der Friseurin/Psychologin aussehen kann und warum wir auf dem Frisierstuhl so offenherzig sind.

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Viele von uns kennen das sicher: Sie sitzen im Frisierstuhl und unterhalten sich mit Ihrer Friseurin. Während sie Ihnen die Haare wäscht, schneidet und stylt, werden Sie redseliger und redseliger und am Ende des Termins haben Sie einer beinahe Ihre gesamte Lebensgeschichte erzählt. Oft schämen wir uns danach dafür, dass wir so viel geredet haben und noch dazu so viel über uns, obwohl wir unser Gegenüber eigentlich kaum kennen und wir eben mit unserem Friseur reden, der kein Psychologie-Lexikon zur Hand hat.

Nun stellen Sie sich aber mal vor, Ihre Friseurin würde nicht nur alles stoisch abnicken oder umgekehrt mit ihrer eigenen Lebensgeschichte aufwarten, sondern Ihnen aktiv zuhören, durchdachte Rückfragen stellen und dafür sorgen, dass Sie den Salon nicht nur mit einer perfekten Frisur verlassen, sondern auch mit einem besseren Gefühl, einem neuen Blick auf Ihre Lebenssituation oder einen Plan, wie Sie ebendiese verbessern könnten. Stellen Sie sich vor, Ihre Friseurin wäre auch Ihre Psychologin.

Ein Besuch bei der Friseurin – eine Wohltat für Haar und Geist

Das ermöglicht Ihnen beispielsweise Anka Stephan. Die 42-Jährige ist gelernte Friseurin und Psychologin. In ihrem Friseursalon in Berlin kümmert sie sich nicht nur um die Haare Ihrer Kundinnen, sondern auch um deren psychisches Wohlbefinden. Dafür hat Anka nach ihrer Ausbildung zur Friseurin ein Studium der Psychologie sowie eine Ausbildung in Systemischer Therapie angehangen und damit ein einzigartiges Konzept kreiert: „Zusammen mit einer langjährigen Freundin habe ich 2017 den Raum für Haar- und Lebenslagen geschaffen.“ Hier können Sie sich eine klassische Haarbehandlung buchen, aber auch eine Therapiestunde – oder eben beides zusammen.

Dafür ist der Salon entsprechend eingerichtet: „Wir haben vorne den allgemeinen Friseurbereich, klassisch mit Verkaufsregal und Waschplätzen und dann gibt es hinten noch einen Raum, der auch als Friseurstudio eingerichtet ist, aber noch eine Sitzecke enthält. Hier kann man die Tür zu machen und dann ist er perfekt für Beratungen.“

So läuft ein Termin bei der Psychologie-Friseurin ab

Diese laufen laut Anka nach einem ähnlichen Schema ab. „Sie kommen an, wir gehen nach hinten, es gibt etwas zu trinken und ich zeige den Raum, um das Eis zu brechen und dann merkt man meistens schon, dass da viel drin sitzt und eine gewisse Aufregung da ist“, erklärt die Therapeutin mit ruhiger Stimme. „Dann starten wir damit, was Sie überhaupt hierhergeführt hat. Das kann bereits ein emotionaler Türöffner sein, wenn die ganze Anspannung und Aufregung raus kann und wir sind meist schon mitten im Thema. Dann lenke ich allerdings nochmal um und gehe darauf ein, inwieweit das auch die Haare betrifft. Soll es auch hier eine Veränderung geben oder lieber nur die Spitzen schneiden und das Gespräch in den Vordergrund stellen?“

Ist diese Entscheidung getroffen, folgt eine Kopfmassage und die Haarwäsche. „Das muss nicht heißen, dass hier schon gesprochen wird. Oft gebe ich meinen Klienten eine Frage mit, über die sie während dieser Zeit nachdenken können. Sind wir dann zurück auf dem Friseurstuhl, steigen wir richtig ins Thema ein.“

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Beim Friseur spielt die gesamte Bandbreite der Psychologie eine Rolle

Dabei ist es nicht Ankas Ziel, alles abzunicken und ihren Kunden lediglich die Möglichkeit zu geben, Frust abzulassen, sondern „ihnen realistisch mitzugeben, was möglich ist sowie Ressourcen zu finden und sie wertzuschätzen. Mein Ziel ist erreicht, wenn meine Klienten etwas leichter und klarer aus dem Salon gehen – von außen und eben auch von innen.“

Die Probleme und Sorgen der Klienten sind dabei so breit gefächert wie die Hairstyles, die sie sich wünschen. „Häufig spielt das Thema Selbstwert eine Rolle. Hier spielen oft auch die Haare mit rein, weshalb wir da der ideale Ansprechpartner sind. Aber auch wie man mit verschiedenen Rollen klarkommen kann, dem Mutterdasein, Arbeit, Partnerschaft, das alles unter einen Hut zu bringen und sich dabei noch Zeit für sich selbst zu nehmen – und sie zu bekommen. Doch auch akute Themen, wie Schicksalsschläge, werden thematisiert. Eben alles, was das Leben zu bieten hat.“

Friseur-Psychologie: Warum sind wir beim Friseur offener?

Doch warum fällt es vielen von uns leichter, sich beim Friseur zu öffnen, als beispielsweise gegenüber den Partnern oder in einem herkömmlichen Therapiesetting? „Sei es durch die Nähe, die Intimität, das Anfassen, sich so zu zeigen, wie einen vielleicht noch nicht einmal der Partner sieht – ungeschminkt, mit nassen Haaren, die ohne Frisur glatt nach unten gekämmt sind – ich denke, das öffnet die Menschen und sie fangen leichter an zu reden. Als Friseurin bin ich direkt in der persönlichen Zone, weil ich schließlich an den Haaren arbeiten muss, so findet sich ein ganz anderer Zugang als in einem normalen Therapieraum, bei dem der Abstand von Stuhl zu Stuhl bleibt und Klienten noch eine Schutzzone haben. Da ist besonders viel Feingefühl gefragt.“

Geringere Hemmschwelle

„Nackt“ muss sich dennoch niemand vorkommen. Für viele ist jedoch die Hemmschwelle eine andere. Es sagt sich leichter „Ich gehe zum Friseur“ als „Ich gehe zur Therapie“. Gerade bei Männern sei das häufig der Fall, so Anka. „Man merkt, dass es oft das erste Mal ist, dass sie mit jemandem über so intime Dinge sprechen.“

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Friseur-Psychologie-Idee sorgte für Verwunderung

Anka Stephan hat schon immer den Friseur-Ansatz mit der Psychologie verbunden. „Ich habe mich schon immer gerne mit meinen Kunden unterhalten. Irgendwann dachte ich, warum das Ganze nicht fundierter und professioneller aufziehen. So habe ich mich nach knapp zehn Jahren im Friseurhandwerk noch für ein Psychologie-Studium entschieden.“ Damit sorgte sie häufig für Verwunderung, wie Anka im Gespräch mit STYLEBOOK-Redakteurin Carmen Dörfler erklärt: „Als bei der Gründung die Zuständigen meinen Businessplan gelesen haben, haben sie meist erst einmal verwirrt geguckt, bis sie das Konzept begriffen hatten und dann dachten: Achso, naja, eigentlich logisch.“

Doch für die erfolgreiche Umsetzung muss man auch das Talent und Interesse haben. So habe Anka schon nachgefragt, wenn Kunden ihr etwas anvertraut haben: „Mir hat am Friseurhandwerk immer die kreative Arbeit mit den Händen gefallen, aber ich habe mich schon immer für den Menschen dahinter interessiert. Irgendwann hatte ich das Gefühl, da geht noch mehr. Jetzt als Therapeutin/Friseurin habe ich eine Arbeit gefunden, bei der ich Menschen auf ihrem Weg unterstützen kann und die sich nicht nach Arbeit anfühlt. Es ist etwas, das mein Herz berührt.“ Und auch die Herzen und Seelen – und Haare – ihrer Klienten.

Themen Frisuren Interview Mental Health
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