6. Februar 2023, 17:49 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Sie haben das Gefühl, dass der Begriff Feminismus in letzter Zeit negativer konnotiert ist als die Jahre zuvor? Dann könnten Sie richtig liegen, denn diese Aussage bestätigt nun auch eine Studie der Uni Leipzig. Ein Viertel der Deutschen spricht sich gegen Feminismus aus. Woran es liegen könnte und warum viele den Begriff auch 2023 immer noch falsch verstehen, lesen Sie bei STYLEBOOK.
Bereits seit 2002 findet die Erhebung zweijährlich statt, anfangs unter dem Titel „Mitte-Studie“. Sie gehört zu den meistrezipierten Einstellungsstudien hierzulande und wird von der Böll-Stiftung und der Otto-Brenner-Stiftung mitfinanziert. Im Frühahr 2022 wurden 2.522 Personen befragt. Seit 2006 wird Sexismus und seit 2020 auch Anti-Feminismus als wichtige Facette des Weltbildes erfasst.
Um was es in der Studie überhaupt geht
Für die Leipziger Autoritarismus-Studie untersuchen Forschende der Universität Leipzig seit 20 Jahren, wie sich Einstellungen – zum Beispiel zum Feminismus – in Deutschland entwickeln. Für 2022 beobachten sie eine klare Tendenz: Der Anti-Feminismus in Deutschland nimmt zu. 2020 waren noch 17,9 Prozent der Personen, die anonym befragt wurden, der Meinung „durch den Feminismus werden gesellschaftliche Harmonie und Ordnung gestört“. 2022 sind es indessen fast acht Prozent mehr. Das bedeutet, ein Viertel der Bevölkerung spricht sich gegen Feminismus aus – Tendenz steigend.
Dabei unterteilt die Methodik der Studie die Antwortmöglichkeiten in vier Kategorien: von 1 „stimme überhaupt nicht zu“, zu 4 „stimme voll und ganz zu“. Seit zwei Jahren sind die Zustimmungswerte bei allen Fragen durchweg gestiegen. Der Anstieg des Anti-Feminismus und die darin zum Ausdruck kommenden „aggressiven Impulse gegen Frauen“ schärfen laut Studie das Bild einer „zunehmenden Verschiebung der Demokratiebedrohung durch die erhöhte Aggressionsbereitschaft auf spezifische Gruppen in der Gesellschaft. Die hohe Zustimmung zu gewaltbereiten Männlichkeitsidealen fügt sich an dieser Stelle ein“.
Doch was ist eigentlich Feminismus und warum scheinen so viele Menschen ein Problem damit zu haben?
Was ist eigentlich Feminismus?
Wortherkunft
Der Duden fasst Feminismus wie folgt zusammen: „Oberbegriff für verschiedene Strömungen, die sich für die Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Freiheit aller Geschlechter, v. a. von Frauen, und gegen Sexismus einsetzen. Zum Beispiel durch das Anstreben einer grundlegenden Veränderung gesellschaftlicher Normen (z. B. der traditionellen Rollenverteilung) und der patriarchalischen Kultur.“ Die Bezeichnung „Feminismus“ wird erstmals dem französischen Philosophen Charles Fourier zugeschrieben, der 1837 das Wort „féminisme“ benutzte. Er verwendetet es, wenn er über Female Empowerment sprach.
In den 1890er Jahren kam in England dann erstmal auch der politische Bezug hinzu, als die Bewegung für das Frauenwahlrecht entstand – der ersten Welle des Feminismus. Die Suffragettenbewegung eignete sich den Begriff für ihre Zwecke an. Im deutschen Kaiserreich hingegen wurde er anfangs oftmals abgelehnt, um sich von Frankreich abzugrenzen.
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So definieren wir Feminismus heute
Der Feminismus im 21. Jahrhundert ist eine soziale, politische und kulturelle Bewegung, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzt und allen Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, gleiche Rechte und Chancen einräumt. Es geht darum, traditionelle Normen und Machtsysteme, wie das Patriarchat, geschlechtsspezifische Diskriminierung und Unterdrückung infrage zu stellen und zum Positiven für alle zu verändern.
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Wahrnehmung Feminismus in der Gesellschaft
Auch 2023 stehen viele Menschen Feminismus kritisch gegenüber, möchten sich selbst ungern als Feministen bezeichnen und sich generell von dem Begriff distanzieren. Doch woran kann das liegen?
- Missverständnisse: Manche Menschen missverstehen den Feminismus und assoziieren ihn mit negativen Stereotypen wie Männerhass oder der Förderung umgekehrter Diskriminierung.
- Bedrohung der traditionellen Geschlechterrollen: Der Feminismus stellt traditionelle Geschlechterrollen und -normen infrage, was von manchen Menschen als Bedrohung ihrer Identität oder ihres Wohlbefindens empfunden werden kann.
- Furcht vor Veränderungen: Veränderungen können beängstigend sein, und die Vorstellung, Macht- und Unterdrückungssysteme grundlegend zu überdenken und zu verändern, kann für manche Menschen überwältigend sein.
- Frauenfeindlichkeit: Manche Menschen haben tief verwurzelte sexistische Überzeugungen und Einstellungen, und der Feminismus bedroht die Macht und die Privilegien, die sie gegenüber Frauen haben.
- Mangelnde Repräsentation: Menschen, die nicht direkt von der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern betroffen sind, können die Notwendigkeit des Feminismus weniger gut nachvollziehen oder seine Bedeutung für ihr eigenes Leben erkennen.
Warum es Zeit wird, den Begriff neu zu denken
Wichtig zu verstehen ist, worum es im Feminismus NICHT geht: Frauen mehr Macht zu geben als Männern. Wir haben doch eben oben das Wort Patriarchat fallen lassen: Wenn Frauen Männern überlegen sind, nennt man das Matriarchat. Es ist auch nicht mit Misandrie (zu Deutsch Männerhass) gleichzusetzen. Wie bei allen sozialen Bewegungen gibt es natürlich auch hier die schwarzen Schafe, die den Begriff Feminismus zu ihrem Nutzen missbrauchen.
Warum braucht es also aktuell eine neue Welle des Feminismus? Eine Studie des Statistischen Bundesamtes deckt nur einige Ungleichheitsfaktoren auf: Im vergangenen Jahr verdienten Frauen im Schnitt 20,05 Euro pro Stunde und damit 4,31 Euro weniger als Männer. Wie im Vorjahr waren das ganze 18 Prozent weniger. Bei einem Ranking zu Frauen in Führungspositionen landet Deutschland lediglich auf dem 20. Platz. Väter sind wesentlich häufiger berufstätig als Mütter. Auch der Beauty Impact Report 2022 von STYLEBOOK bestätigt, dass sich klassische Rollenmodelle zwar gelockert, aber in keinem Fall aufgehoben haben.
Anders als in den Sechzigern funktioniert Feminismus heute anders. Er ist dank Internet und den Sozialen Medien nicht mehr in intellektuellen Foren gefangen. Medienwirksame Aktionen, wie die barbusigen Proteste von FEMEN, die #metoo-Bewegung und die bunten Slutwalks steigern zwar auch die Zahl der Kritiker, aber auch die Zahl derer, die teilnehmen und sich einsetzen. Und good news: Immer mehr Männer setzen sich für feministische Themen ein. Dadurch entsteht eine junge Generation von Feministinnen und Feministen. Wie sagte die 32-jährige Schauspielerin Emma Watson in ihrer Rede zum Feminismus vor der UN so schön: „Ich lade Sie ein, vorwärtszugehen und sich zu fragen: wenn nicht ich, dann wer? Wenn nicht jetzt, dann wann?“
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Fazit
Das einzige, was Feminismus wirklich will, ist das Leben von Frauen in der Gesellschaft zu verbessern – ohne jemanden etwas wegzunehmen. Gleichberechtigung, mehr nicht. Das sollte doch in 2023 gut machbar sein, oder? Vielleicht ist es aber auch Zeit, stattdessen den Begriff „Female Empowerment“ zu etablieren. Aber das geht eben auch nur solange gut, bis der Begriff nicht missbräuchlich verwendet wird.
Quellen
- Feminismus, Duden
- Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten, Leipziger Autoritarismus Studie 2022
- Frauen verdienen 18 Prozent weniger als Männer, Statista