7. Mai 2024, 18:49 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Nur ein Drittel aller Führungskräfte in Deutschland sind Frauen – und das, obwohl nahezu gleich viele Frauen wie Männer erwerbstätig sind. Im EU-weiten Vergleich befindet sich Deutschland mit dieser Statistik im unteren Drittel. Grund dafür sind nachweisliche Barrieren, mit denen Frauen im Laufe ihrer Karriere zu kämpfen haben. Dieses Phänomen ist auch als die „gläserne Decke“ bekannt. Was sich dahinter verbirgt und wie man dagegen vorgehen kann, lesen Sie im Artikel.
Übersicht
Das versteht man unter der gläsernen Decke
Der Begriff „gläserne Decke“, auch Glasdecke oder Glasdeckeneffekt, stammt von der amerikanischen Autorin Marilyn Loden, die das Phänomen 1978 in einer Rede zusammenfasste. Schnell entstand daraus eine feministische Metapher, die vor allem in Bezug auf die Benachteiligung von Frauen in Unternehmen genutzt wird. In ihrer Rede in New York sprach Loden vor allem über unternehmenskulturelle Hindernisse, die Frauen im Laufe ihrer Karriere begegnen würden. Dazu zählen etwa die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern, aber auch das Fehlen von weiblichen Vorbildern oder eine voreingenommene Haltung gegenüber Frauen und ihren Fähigkeiten. Ebendiese Hindernisse bekamen schließlich den Namen „gläserne Decke“ verliehen – eine auf den ersten Blick unsichtbare, aber dennoch bestehende Barriere auf dem Karriereweg vieler Frauen. Der Begriff wird häufig im Zusammenhang damit genutzt, dass viele qualifizierte Frauen, trotz geeigneter Fähigkeiten, nicht in Führungspositionen aufsteigen, sondern auf mittlerer Managementebene stagnieren.
Grundlegend lässt sich der Glasdeckeneffekt nicht nur auf Frauen, sondern auch auf andere Diskriminierungsebenen wie Hautfarbe, Sexualität oder soziale Herkunft beziehen. Der Unterschied hierbei ist jedoch, dass es sich bei Frauen zahlenmäßig nicht um eine Minderheit handelt. Dass die Anzahl der Frauen in Unternehmen mit ansteigendem Karrierelevel sinkt, fällt daher eher auf als bei anderen Diskriminierungsebenen. Die gläserne Decke kann sich dabei auf unterschiedliche Arten bemerkbar machen. Dazu gehören unter anderem:
- Mangelnde Beförderungen aufgrund von Schwangerschaften oder anderen familiären Ambitionen
- Ausschluss von Entscheidungsprozessen, Meetings oder Networking-Möglichkeiten
- Belästigung am Arbeitsplatz
- Unterschätzung von Kompetenzen und Fähigkeiten weiblicher Mitarbeiterinnen
- Fehlende Möglichkeiten zur Weiterbildung
- Mangelnde Förderung von Frauen in Führungspositionen
Ursachen für den Glasdeckeneffekt
Dass Frauen häufig immer noch auf einem Karrierelevel arbeiten, welches sich unter ihrem Kompetenzniveau befindet, hat vielseitige Ursachen. Einen wesentlichen Grund für die gläserne Decke stellt die Verteilung der Care-Arbeit dar, bei der Frauen in der Regel einen Großteil übernehmen. Stichwort ist die Gender Care Gap, laut der Frauen im Durchschnitt etwa 9 Stunden pro Woche mehr Care-Arbeit verrichten als Männer. So treten Frauen häufig beruflich kürzer oder nehmen eine längere Elternzeit wahr, um sich um die Familie kümmern zu können.
Doch nicht nur die Verteilung der Care-Arbeit, auch die eigene Selbstwahrnehmung kann den Glasdeckeneffekt verstärken. So legte eine Studie, die in der Harvard Business Review veröffentlicht wurde, nahe, dass sich die Einschätzung der eigenen Kompetenzen bei den Geschlechtern maßgeblich unterscheidet. Während Frauen sich oftmals als weniger kompetent einschätzen und sich beispielsweise nur auf Stellen bewerben, auf deren Beschreibung sie ideal passen, neigen Männer eher zu Selbstüberschätzung und bewerben sich auch auf Stellen, obwohl sie nicht alle Qualifikationen erfüllen. Besonders groß ist der Unterschied dabei bei Berufseinsteigern und Personen unter 25 Jahren.
Ist die gläserne Decke aktuell?
Wenngleich die Metapher der gläsernen Decke aus den späten 70ern stammt, ist sie heute immer noch ein aktuelles Thema. Laut dem Statistischen Bundesamt lag der Anteil an Frauen in Führungspositionen 2022 innerhalb der EU bei gerade einmal 35 Prozent. Und auch, wenn wir uns in Deutschland oftmals als sehr fortschrittlich empfinden – mit nur etwa 28 Prozent liegt der Anteil weiblicher Führungskräfte hierzulande deutlich unter dem Durchschnitt. Deutschland befindet sich somit auf Platz 21 (von 27) im unteren Drittel im Vergleich zu anderen EU-Ländern. Hier gibt es also deutlich Luft nach oben. Besser machen es Lettland, Polen und Schweden. Hier sind jeweils über 40 Prozent der Führungspositionen von Frauen besetzt.
Unterbewusste Wahrnehmung statt aktiver Diskriminierung
Dass es ein langwieriger Prozess ist, die gläserne Decke zu durchbrechen, zeigen vor allem starre Unternehmensstrukturen und stark verinnerlichten Gewohnheiten, die nur selten Platz für Veränderung bieten. Das liegt unter anderem daran, dass allein die wiederholte Wahrnehmung einer Sache zu deren positiven Bewertung führt. In der Psychologie spricht man vom sogenannten Mere-Exposure-Effekt. Dieser wirkt sich nicht nur auf unser Arbeitsleben, sondern auch auf alltägliche Begegnungen aus. Eine Person, die wir häufig sehen und zu der wir ein vertrautes Verhältnis haben, erscheint uns deshalb zum Beispiel attraktiver und sympathischer.
Auf Unternehmensebene kann das bedeuten, dass die Menschen, mit denen man sich häufiger umgibt, kompetenter erscheinen. Besteht etwa ein Vorstand zu einem Großteil aus Männern, ist es wahrscheinlicher, dass eine frei werdende Stelle ebenfalls wieder mit einem Mann besetzt wird, da er aufgrund des Mere-Exposee-Effekts in diesem Fall intuitiv als fähiger wahrgenommen wird, als eine Frau, die rein faktisch die gleichen Kompetenzen aufweist. Beim Glasdeckeneffekt handelt es sich – in aller Regel – also nicht um eine proaktive Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz, sondern vielmehr um ein tief verankertes gesellschaftliches Konstrukt.
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So könne Sie die gläserne Decke durchbrechen
Bei der gläsernen Decke handelt es sich gewissermaßen um einen Teufelskreis. Unterbewusste Wahrnehmung von Kompetenzen auf der einen Seite führen dazu, dass Männer häufiger Männer einstellen. Das wiederum bestärkt den Effekt, dass Frauen sich oftmals als weniger kompetent einschätzen. Die Folge ist, dass sie sich zum Teil gar nicht erst auf entsprechende Stellen bewerben. Wichtig ist es für Frauen gerade deshalb, die Narrative zu ändern und sich nicht unter den Schirm unsichtbarer Barrieren zu stellen. Das Aufbauen eines starken Netzwerks kann zum Beispiel helfen, mit Führungspersonen, Entscheidungsträgern oder auch Mentoren in Kontakt zu treten und neue Karrierechancen zu eröffnen.
Wichtig ist auch das proaktive Sichtbarmachen der eigenen Person. Durch ein selbstbewusstes Auftreten können Sie Vorurteile und Stereotypen überwinden und sich Gehör verschaffen. Andere nehmen die eigenen Fähigkeiten besser wahr und können sie dementsprechend honorieren. Dazu gehört jedoch auch nicht nur im Job, sondern schon zuvor Mut zu beweisen. So lohnt es sich, sich auch auf Stellen zu bewerben, deren Anforderungen man (noch) nicht zu 100 Prozent erfüllt. Und auch bei der nächsten Gehaltsverhandlung sollten Sie versuchen, den Rahmen ein wenig höher anzusetzen – ganz nach dem Motto „den Mutigen gehört die Welt“.
Zu guter Letzt handelt es sich beim Glasdeckeneffekt um ein Phänomen, was nur an Bedeutung gewinnt, solange es befeuert wird. Der Kreislauf wird nämlich nicht beendet, wenn Sie es geschafft haben, selbst eine Führungsposition einzunehmen. An dieser Stelle können Frauen proaktiv daran arbeiten, andere Frauen zu fördern. So kann das frühzeitige Aufbauen von Netzwerken sowie das Ausbilden von Nachfolgerinnen weiterhin dazu führen, die gläserne Decke zu durchbrechen.