28. Februar 2024, 13:05 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Schönheitswettbewerbe galten lange Zeit als gefährlich, denn sie vermittelten ein falsches Bild von Schönheit. 2019 erfolgte dann die Umgestaltung des Wettbewerbs. Was jetzt aber noch viel gefährlicher scheint, sind die Reaktionen von Außen.
„Ein kompletter Witz, nur deutsche Frauen sollten da mitmachen dürfen“, schreibt eine Userin unter ein Video der Miss Germany 2024. Es bedarf keiner Erklärung, wie diskriminierend dieser Kommentar ist. Dabei befindet sich die öffentliche Anmerkung in der Skala der Harmlosigkeit eher im unteren Drittel, wenn man sich anschaut, was Gewinnerin Apameh Schönauer seit ihrem Sieg sonst noch lesen und hören muss. Am vergangenen Samstag gewann die gebürtige Iranerin nicht nur den Titel „Miss Germany 2024“, sondern auch ein Preisgeld in Höhe von 25.000 Euro. Der Schwall an Hass, der seither aufkommt, hat die Freude der zweifachen Mutter sicherlich etwas nach hinten gerückt.
Neue Regeln bei Miss Germany
Gekürt wurde die Siegerin von einer sechsköpfigen Jury. Der Prozess ging mehrere Wochen. In der Vergangenheit war „Miss Germany“ ein Schönheitswettbewerb mit knappen Bikini-Präsentationen auf einem Laufsteg. Wer am schönsten (und oft am längsten) lächelte und vermeintliche Perfektion ausstrahlte, gewann. Dann folgte ein längst überfälliger Imagewandel. 2019 wurde die Veranstaltung umgestaltet. Seitdem werden die Kandidatinnen nicht mehr nur aufgrund ihres Aussehens bewertet. Im Vordergrund steht die Persönlichkeit und ihr Engagement. Erst schien die Gesellschaft beeindruckt von der neuen Regelung. Die aktuellen Reaktionen auf die neue Miss Germany zeigen jedoch das Gegenteil – in aller Deutlichkeit. Aus scheinbar vorgespielter Begeisterung wurden Hassreden, Rassismus und Diskriminierung.
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Statt Perfektion: Viele schöne Frauen mit tollen Geschichten
Am vergangenen Samstag war es so weit: Miss Germany 2024 wurde gekürt. Unter den neuen Regelungen sollten die Teilnehmerinnen äußerlich und charakterlich einen Teil der deutschen Gesellschaft repräsentieren, ihren Charakter und ihr politisches oder soziales Engagement präsentieren. Nun leben auch wir Iranerinnen in Deutschland, wir repräsentieren ebenfalls einen Teil dieser (teilweise) intakten Gesellschaft. Scheinbar ist genau das aber ein großes Problem.
Auf den Bühnen der Misswahlen tummelt sich nicht mehr die vermeintliche Perfektion (was ist schon perfekt?), sondern jene, die eine Geschichte zu erzählen haben, die überzeugen und begeistern. Die ihrer Schönheit einen individuellen Platz erschaffen und zeigen, wie viele Facetten Schönheit hat. Sie zeigen, dass keine Frau eine Kopie einer anderen Frau sein muss, weder äußerlich noch innerlich.
Miss Germany 2024: Zuschauerinnen sind wütend über die Gewinnerin – aus welchem Grund?
Nur wenige Minuten, nachdem festgestanden hatte, dass Architektin Apameh Schönauer die Gewinnerin ist, lehnten sich wütende Zuschauerinnen des Wettbewerbs über all die möglichen Plattformen und verfassten teilweise schreckliche Kommentare: „Wie kann so etwas eine Misswahl gewinnen?“. Es sind jedoch nicht einzelne Kommentare, die man herausfiltern und schnell wieder vergessen kann. Tausende Videos und Kommentare machen deutlich: Eine Iranerin, die nicht dem klassischen Schönheitsideal der deutschen Frau entspricht, hat diesen Titel scheinbar nicht verdient.
Leuchtet nicht etwas Doppelmoral auf, wenn Frauen und Männer, die nicht hier geboren sind, nun aber hier leben, arbeiten, Steuern zahlen, Regeln befolgen, scheinbar nichts vom schönen Teil dessen abhaben dürfen? Sich bloß nicht trauen sollten, am Leben teilzunehmen, die gleichen Wettbewerbe zu bestreiten, die gleichen schönen Facetten zu zelebrieren? Sobald es an die Feierlichkeiten des Lebens kommt, wird gestoppt: „Wir sind doch in Deutschland, nicht im Iran“, heißt es.
Rassistische Kommentare nach der Misswahl
Angesichts der aktuellen politischen Situation sind solche Kommentare überaus gefährlich. Sie zeigen, wie sehr in Schubladen gedacht wird und wie sehr sich ein Teil der Menschen persönlich beleidigt fühlt, wenn doch nur eine auf den ersten Blick Nichtdeutsche einen Platz ergattert.
Die gebürtige Iranerin kam bereits im Alter von sechs Jahren nach Deutschland, setzt sich für Frauenrechte ein und ist Gründerin des Netzwerks „Shirzan“ für unterdrückte Frauen. Denn Unterdrückung der Frauen ist im Iran ein großes Thema. Für die Hassrednerinnen sei das aber der Grund gewesen, weshalb sie überhaupt gewonnen habe. Es könne ja nicht sein, dass sie andere Kriterien mitbringe. Es muss a) Korruption oder b) eine politische Entscheidung gewesen sein. Denn neben rassistischen und beleidigenden Kommentaren zu ihrem Aussehen mischen sich auch Schummel-Vorwürfe unter die Kommentare („Sie kennt den Veranstalter, sie hat ihn sicherlich bestochen“). Doch besonders die diskriminierenden Kommentare scheinen deutlich hervor. Ein User auf Instagram kommentiert: „Ich kann doch nichts dafür, dass die das da drüben mit der Regierung nicht geregelt bekommen, deswegen muss sie doch nicht gleich Miss Germany werden“. Eine sinnstiftende Verbindung zwischen Kommentar und Sachverhalt sucht man hier vergebens.
Dabei war ihre Mission bei Miss Germany eine ganz andere: „Ich will junge Frauen ermutigen, die beste Version ihrer selbst zu werden, Selbstbewusstsein zu entwickeln und groß zu denken“, sagte Schönauer vor der Wahl.
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Niemand ist wohl jemals zufrieden
Zufrieden ist die Gesellschaft scheinbar nie. Gewinnt eine vermeintlich perfekte Frau, also jene, die dem westlichen Schönheitsideal vollends entspricht (schlank, langes Haar, symmetrische Gesichtszüge, kleine Nase), dann heißt es oft: „Die ist doch operiert!“, oder: „So sieht doch im echten Leben niemand aus!“. Gewinnt eine Frau, die eine andere Schönheit besitzt, als die, die hier nicht der Mehrheit entspricht, wird sie gehasst.
Was die Wütenden hinter diesen hässlichen Kommentaren vergessen: Die Empfängerin liest diese Nachrichten. Da sitzt ein Mensch hinter, der sich zuvor über einen Sieg gefreut hat. Eine Frau, der man die Freude an etwas Schönem genommen hat, statt sie zu sehen. Sie liest, dass dutzende Menschen sie im Netz mit ihren Worten auseinanderfalten, wieder zusammenfalten und dann verächtlich wegwerfen. Ihr Äußeres ebenso kritisieren, wie ihre Herkunft, sie nicht als vollwertige Deutsche akzeptieren. Es reicht scheinbar nicht, seit 33 Jahren in Deutschland zu leben. Wann ist man deutsch genug? Wann ist man schön genug? Normal genug? Wann ist man ein bisschen schön, aber doch auch ein wenig unattraktiv, aber auch nicht zu viel? Gerade so, dass sich niemand bedrängt oder bestohlen fühlt?
Auch ihr Alter wird kritisiert
Neben all den rassistischen Kommentaren (auf TikTok gibt es Accounts, die sich nur darauf fokussieren und ihren Content auf das Nicht-Deutschsein der Gewinnerin ausrichten), wird auch das Alter der Miss Germany diskutiert. Mit 39 Jahren ist sie die älteste Miss Germany aller Zeiten: „In dem Alter hat man nichts bei einer Misswahl zu suchen“, lautet ein Kommentar. Zur Erinnerung: Gab es zuvor sehr junge Teilnehmerinnen bei Misswahlen, wurde die Teilnahme ebenfalls stark kritisiert.
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Im Iran bekommt Miss Germany ebenfalls hässliche Kommentare
Apameh Schönauer begegnet aktuell nicht nur den rassistischen Kommentaren in Deutschland, sondern auch Beleidigungen im Iran. Dort herrscht ein anderes Schönheitsideal. Und für die in Iran lebenden Menschen bedeutete Misswahl, das Krönen der allerschönsten Frau im Land – nach „perfekten“, äußerlichen Merkmalen. Das Schönheitsideal im Iran strebt nach einer künstlichen Abwandlung des Westens, allen voran die kleine Stupsnase, Operationen sind keine Seltenheit und plastische Chirurgen findet man dort zur Genüge. Die gewonnenen Natürlichkeit der Miss Germany 2024 ist für einige von ihnen auch Grund, sie ebenfalls im Netz zu beleidigen.
Die Frage sollte doch lauten: Wie viel Hass steckt in uns Menschen, dass wir so auf eine Misswahl reagieren? Und: Wie wäre es für Sie, wenn Sie solche Meinungen über sich lesen müssten?