26. April 2019, 11:57 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Das Coachella ist nicht hippiemäßig verspielt, schmutzig oder gar total crazy. Es ist vielmehr ein Festival für all jene, die nicht dabei sind und die durch Social Media einmal mehr das Gefühl bekommen, sie würden etwas verpassen. Ein Erfahrungsbericht.
Eines vorweg: Ich bin durch einen Zufall da rein geraten und das machte es mir relativ einfach, eine entspannte Beobachter-Rolle einzunehmen. Was mich wirklich interessierte, war die Frage: Was steckt hinter dem Hype um Coachella? Eines vorweg: Das Festival war ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Nicht verwinkelt und voller Raum für Selbstvergessenheit. Tatsächlich wäre letzteres auch eher hinderlich, denn sonst könnte man als Besucher glatt versäumen, das stündliche Posting abzusetzen.
Tickets gibt’s ab 420 Euro
Überall auf diesem riesigen Feld stehen Besucher mit gezückten Smartphones, lassen sich knipsen im feinsten Festival-Zwirn, der in diesem Jahr aus so gut wie gar nichts bestand. Knappes Glitzerhöschen, Bikinioberteil, behängt mit schmalen Ketten, dazu Gucci-Täschchen. Bei 38 Grad Tagestemperatur ist es gar nicht so einfach, die Sache mit den Postings zu erledigen, bevor das ganze Make-up verlaufen ist. Um zu verstehen, warum der ganze Aufwand gemacht wird, hier noch ein paar Geld-Fakten: Das Ticket kostet 420 Euro, Camping nochmal 110 Euro extra. Das ist die Option fürs „einfache Volk“. Wer es sich leisten kann, der besorgt sich für 800 Euro einen VIP-Pass (Zugang für die VIP-Bereiche, die fast ein Viertel des Geländes einnehmen) oder gleich für 10.000 Euro ein Glamping-Paket mit privatem Shuttle, Duschen, voll ausgestattetem Zelt und Frühstück ans Bett. Ein Bier kostet zehn Euro, das günstigste Essen ebenfalls. Meist muss man allerdings zwischen 12 und 15 Euro hinblättern, um satt zu werden – da kommt in drei Tagen schon einiges zusammen. Und wer so richtig wichtig ist, der geht gar nicht erst aufs Coachella, sondern auf eine der super-extrem-wichtigen Nebenpartys in einer der umliegenden Villen.
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Massentaugliche Hits, wenig Stimmung
Jeder Musik-Act ist eine riesige Show mit übergroßen Leinwänden, aufwändigen Specialeffekten und ordentlich Bums. Tatsächlich geht es aber gar nicht um verrückte Experimente, in der Regel wird ein Hit nach dem anderen geliefert, so dass die Massen mitsingen können. Dabei wird mehr gegrölt als getanzt. Zwischen 50 Minuten und eineinhalb Stunden bleiben jedem Künstler. Nicht gerade genug Zeit, um in den Flow zu kommen. Da gebe ich Bonnie Strange recht, die im Interview mit Promiflash monierte, dass „keine große Stimmung“ gewesen sei und dass trotz Top-Acts niemand geklatscht habe. Ist aber eben auch schwierig, wenn man das Handy in der Hand hält.
Es wird sich um sich selbst gedreht
Das Coachella gibt sich nach außen unpolitisch. Workshops, Hippies, Experimentierwiesen – Fehlanzeige. Trotzdem machen sich die Leute hier Gedanken. Welchen Act als nächstes ansteht, welches Outfit sich dafür eignet und wie man selbiges im Netz präsentiert. Tatsächlich ist der Bereich vor der Bühne nach einem Konzert binnen weniger Sekunden wie leergefegt und eine Völkerwanderung setzt ein. Bei 130.000 Menschen ein Kraftakt. Und all diese Menschen sind vorrangig weiß. Diejenigen, die hinter ihnen den Müll aufsammeln, sind es nicht. Ein Ungleichgewicht, das sofort ins Auge fällt.
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Nichts bleibt dem Zufall überlassen
Sich selbst verlieren, Tanzen im Matsch mit warmem Bier in der Hand, am besten bis zum Morgengrauen – das gibt es nicht auf dem Coachella. Dazu ist das Festival viel zu professionell organisiert. Alkohol darf ohnehin nur in abgesperrten Bereichen ausgeschenkt und konsumiert werden. Um dort reinzukommen, muss man jeden Tag auf Neue seinen Pass vorzeigen. Außerdem ist Punkt ein Uhr nachts Schluss mit der Musik. Wahr ist, dass wirklich ein paar große Nummern performed haben: Justin Bieber war überraschend da, Kanye West und Ariana Grande auch. Aber sie alle waren nur als kleine Punkte aus der Ferne zu erkennen, und wenn man wie ich nicht gerade ein großer Fan ist, ist das auch alles ein bisschen egal. By the way: Promis und bekannten Influencern bin ich nicht begegnet, vermutlich kommen sie nur für das Foto auf das Gelände oder verstecken sich hinter Bandanas und überdimensionalen Sonnenbrillen. Extrem ist auch das überbordende Branding: Calvin Klein hatte auf dem Coachella ein Promo-Zelt, für das die Leute stundenlang anstanden. Alles ist von großen Marken gesponsert, die den Besuchern permanent ihre Banner ins Gesicht halten. On top kreisten stundenlang Flugzeuge mit Werbebotschaften über dem Gelände.
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Kunstinstallation als Highlight
Trotz allem möchte ich dem Coachella etwas Gutes abgewinnen. Die Mitarbeiter und das Sicherheitspersonal waren unwahrscheinlich freundlich und tanzten sogar ausgelassen mit, während sie an den Gates standen und Bändchen kontrollierten. Generell war die Stimmung stets friedlich und trotz der Massen ging alles seinen geordneten Gang. Und nicht zuletzt gab es da diese wunderbare Kunstinstallation in der Mitte des Geländes: Das „Hippo Space Projekt“. Der (Un)-Sinn der Sache bestand darin, dass eine Gruppe von Nilpferden (dargestellt von verkleideten Künstlern) versuchte, ihr Raumschiff in Gang zu bringen – ein Vorhaben, an dem die Hippos natürlich grandios scheiterten. Hinter großen Glasfronten konnte man beobachten, wie sie stattdessen mit Plastikenten spielten oder ziellos irgendwelche Schalter drückten. Besser hätte man die Absurdität der ganzen Angelegenheit nicht zum Ausdruck bringen können.
Mein Fazit: Das Coachalla ist kein Festival für den Moment, für das Feiern im Hier und Jetzt. Es ist vielmehr ein Mega-Event für all jene, die eben nicht dabei sein können und einzig Eindrücke in Form von Instagram-Bildchen geliefert bekommen. Am Ende fühlte ich mich eher überreizt als erfüllt. Dennoch habe ich es genossen, den ganzen Wahnsinn einmal live mitzuerleben. Ob es die Sache wirklich wert war, das steht wieder auf einem anderen Blatt.