16. Mai 2023, 18:38 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Freundschaften bereichern uns, können Balsam für die Seele sein. Aber was, wenn die Freundschaft eher ein Fluch, als ein Segen ist? Wenn jedes anrückende Treffen eher ein ungutes Gefühl im Magen hervorbringt? Wir haben mit einem Beziehungs-Experten gesprochen und herausgefunden, woran man eine ungesunde Freundschaft erkennt.
Je älter wir werden, desto komplizierter werden Freundschaften. Denn während wir in jungen Jahren die Schule oder Uni hatten, um unsere Freunde regelmäßig anzutreffen, müssen wir heute den Terminkalender zücken und einen passenden Tag für eine Zusammenkunft finden. Das kann auch mal Monate dauern. Kaum wurden Familien gegründet oder Jobs angenommen, bleibt nicht mehr allzu viel Zeit für Freundschaft.
Übersicht
- Verlässlichkeit als Rarität in Freundschaften
- Ständiges Konkurrenzdenken
- Manipulation an der Tagesordnung
- Freundschaft basiert nicht auf Gegenseitigkeit
- Vor anderen vorführen
- Anstrengende Freundschaften – Energiesauger statt Energiegeber
- Wie ist der richtige Umgang mit solchen „Freundschaften“?
- Das sagt der Experte
Doch nicht nur die Zeit, sondern auch der allgemeine Freundeskreis wird dünner. Denn wir sortieren Freundschaften im zunehmenden Alter gerne aus. Diese Rarität macht es umso wichtiger, dass das Aufeinandertreffen mit den Freunden bereichernd, schön und entspannt ist – und nicht das genaue Gegenteil bewirkt. Jedoch gibt es Freundschaften, die sich eher so anfühlen, als würden sie uns Energie rauben, statt uns zu beflügeln. Negative Attribute wie Neid oder Missgunst können die Freundschaft regelrecht vergiften. Doch wo erkennt man, dass diese Freundschaft ungesund ist? Wir haben einen Experten befragt.
Verlässlichkeit als Rarität in Freundschaften
Auf einen wahren Freund ist Verlass, oder? Dass mal ein Treffen abgesagt werden muss oder etwas dazwischenkommt, ist absolut verständlich. Doch in der Regel sollte man sich auf gute Freunde verlassen können. Jedoch gibt es die Art von Freunden, die sich gerne Wochen, sogar monatelang nicht melden und jede Verabredung verschieben. Immer mit einer neuen Ausrede. Selbst das wäre bis zu einem gewissen Grad noch vertretbar. Aber selbst, wenn Sie die Person anrufen, weil sie vielleicht Unterstützung benötigen, hat sie keine Zeit. Lassen Sie sich gesagt sein: Wenn es ihrer Freundin oder ihrem Freund wichtig wäre, würde er sich die Zeit nehmen.
Ständiges Konkurrenzdenken
Man sagt ja: Aufrichtige Freundschaften machen sich besonders in schlechten Zeiten bemerkbar. Und das stimmt – zum Teil. Denn besonders, wenn im eigenen Leben etwas außergewöhnlich Schönes passiert, merkt man schnell, welche Freundin diese Situation aus tiefstem Herzen freut – und welche sofort den Konkurrenzschalter einlegt. Letztere ist oft auch diejenige, die bei schlechten Phasen immer vorn mit dabei ist, denn es ist einfach, für jemanden in einer vulnerablen Position da zu sein. Doch sich wirklich ehrlich über das Glück des anderen zu freuen, beweist wirkliche aufrichtige Freundschaft. Wenn Sie also das Gefühl haben, ihre Freundin/ihr Freund steht immer im Direktvergleich oder Konkurrenzkampf mit Ihnen, dann kann das ein Warnsignal für eine ungesunde Freundschaft sein.
Manipulation an der Tagesordnung
Freunde, die einem immer eine andere Meinung aufzwingen wollen, sind ebenfalls als Indikator für eine toxische Freundschaft zu sehen. Sie versuchen Ihnen immer wieder ihre Meinung aufzuzwingen und davon zu überzeugen, dass Ihre eigene Wahrnehmung falsch sei. Damit wird eine Grenze überschritten, denn aufrichtige Freunde hören sich Ihre Auffassung an und geben – wenn danach gefragt wurde – die eigene Einschätzung ab – jedoch immer im Sinne Ihres Wohlergehens. Kurzgefasst: Treue Freunde versuchen nicht, Ihnen eine andere Meinung aufzudrängen.
Freundschaft basiert nicht auf Gegenseitigkeit
Jeder Mensch hat eine ganz eigene Liebessprache. Und die entfaltet sich nicht nur in romantischen Beziehungen, sondern auch auf freundschaftlicher Ebene. Während manche mit Worten etwas geben, drücken andere Menschen ihre Liebe in Form von materiellen Geschenken oder Gesten aus. Dies gilt zu unterscheiden und individuell zu respektieren. Vorsicht ist jedoch dann gefragt, wenn nur eine Seite etwas gibt und die andere auf keiner Liebessprache dieser Welt antwortet, weder mit Worten noch mit Taten. Eine Freundschaft basiert auf Vertrauen und Wohlwollen und ist kein bloßes Nehmen, sondern auch ein bedingungsloses Geben. Dazu gehört gleichsam das Zuhören. Wartet ihr Freundin bei einem Gespräch, bei dem Sie Ihr Herz ausschütten, förmlich darauf, dass sie ihre eigene Geschichte erzählen kann? Das ist sehr egoistisch.
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Vor anderen vorführen
Wenn Sie mit der Freundin einen Tag verbringen, nur zu zweit, kann das wunderbar und bereichernd sein: Sie lachen viel, sie sprechen über tiefsinnige Themen und können ausgelassen die Zeit miteinander verbringen. Das klappt alles gut, bis mehrere Menschen dazustoßen: Plötzlich findet diese Freundin Gefallen daran, sich selbst besser darzustellen, indem sie Sie schlecht aussehen lässt (übrigens lässt das niemanden gut aussehen, wenn man andere überschatten möchte). Sie spricht dann öffentlich und lautstark über Ihre vermeintlichen Makel oder plaudert sogar Geheimnisse aus, die Sie vor anderen erröten lassen. Absolute Vorsicht ist bei dieser Art von Freundin gefordert!
Anstrengende Freundschaften – Energiesauger statt Energiegeber
Kennen Sie die Art von Treffen, vor denen Sie sich unwohl fühlen? Sie zögern das Treffen wochenlang hinaus und wenn es dann so weit ist, macht sich ein negatives Gefühl in Ihnen breit. Und nach dem Treffen geht es weiter: Sie sind völlig erschöpft und fühlen sich fast so, als hätte Ihnen jemand die Energie förmlich ausgesaugt. Das kann daran liegen, dass ihr Gegenüber ein Energiesauger war, also jemand, für den oder die Sie sich verstellen müssen. Das Gefühl der maximalen Erschöpfung nach einem Treffen sollte für Sie ein Warnsignal sein, denn aufrichtige Verbindungen begeistern und nähren die Seele und lassen Sie nicht erschöpft zurück.
Wie ist der richtige Umgang mit solchen „Freundschaften“?
Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Wie geht man mit solchen Freundschaften um? Kann man daran arbeiten oder ist es hoffnungslos? Zuerst einmal sollten die Bedenken und Unsicherheiten klar kommuniziert werden. Wenn Sie etwa das Gefühl haben, ihre Freundin steht immer in Konkurrenz mit Ihnen, dann sprechen Sie das klar und deutlich an. Vielleicht steckt da eine Erklärung hinter. Und ja: Das Gespräch wird unangenehm werden, aber es ist wichtig. Manchmal kann aus einem emotionalen Gespräch eine gestärkte Freundschaft hervorgehen. Manchmal kristallisiert sich aber heraus, dass es keine gesunde Freundschaft mehr ist. In jedem Fall gibt es eine Erkenntnis, für die sich der Mut zu einem solchen Gespräch lohnt.
Vor allem sollten Sie sich jedoch die Frage stellen: Beflügelt oder erschöpft die Freundschaft Sie? Wenn die negativen Gefühle die Freundschaft überschatten, hilft es nichts, krampfhaft daran festzuhalten. Damit verschließen Sie außerdem den Weg zu aufrichtigen, neuen und gesunden Freundschaften, die den gewünschten Balsam für Ihre Seele bereitstellen. Einige Psychologen weisen auch darauf hin, dass die pure Ignoranz dieser Anzeichen nur kurzfristig helfen kann. Auf lange Sicht kann eine toxische Freundschaft aber für das mentale Wohlergehen ziemlich belastend sein und es können erhebliche Probleme auftreten.
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Das sagt der Experte
Paartherapeut Eric Hegman erklärt STYLEBOOK, dass es drei Fragen gibt, die hilfreich sein können, um die Freundschaft zu bewerten. Wenn alle drei Fragen mit „Ja“ beantwortet werden, sollte man unbedingt darüber nachdenken, ob die Freundschaft wirklich das Richtige ist:
Frage 1: Hat die Person mir in schwierigen Zeiten geholfen?
„Grundsätzlich dürfen Sie von Ihrem Freund erwarten, dass er Ihnen zur Seite steht. Denn wer sich nicht aufeinander verlassen kann, verliert die Zuversicht, in Zukunft gehört und anerkannt zu werden“, erklärt Eric Hegmann.
Frage 2: Hat die Person mich in schwierigen Zeiten alleingelassen?
Eric Hegmann: „Es zerstört das Vertrauen in den Freund, wenn der sich abwendet, statt zuwendet. Wer braucht eine Freundschaft, die sich nur in schönen Worten und Absichtserklärungen verliert?“
Frage 3: Hat die Person mich in schwierige Zeiten gebracht?
„Verantwortung trägt zunächst jeder für sich, aber manche Entscheidungen belasten die Freundschaft. Fördert ein Freund bspw. Missbrauch von Alkohol oder verführt zu Wettspielen?“
Auch der Paartherapeut empfiehlt den Dialog: „Das Gespräch suchen, das gehört zur Freundschaft und zu jeder Beziehung. Ich möchte nur warnen: wenn es um emotionale Themen wie Vertrauen geht, dann ist wenig hilfreich, auf der Sachebene zu argumentieren, sondern es müssen eben genau die betroffenen Emotionen angesprochen werden. Sonst reden Sie aneinander vorbei und finden keine Lösung“, so Eric Hegmann gegenüber STYLEBOOK.
Quelle
- mit fachlicher Beratung von Paartherapeut Eric Hegmann , mehr Informationen teilt er in seinem Podcast „Die Paartherapie“