24. Juli 2024, 15:30 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Bei der Partnersuche auf Dating-Apps entscheiden wir oft in Sekundenschnelle, ob jemand für uns infrage kommt oder nicht. Dabei spielen Äußerlichkeiten und gemeinsame Interessen eine große Rolle – oder seien wir ehrlich: manchmal auch nur das eine heiße Foto. Doch was, wenn wir diesen automatischen Prozess einmal bewusst unterbrechen würden? Hier kommt das Konzept des Contra-Datings ins Spiel. Und unsere Redakteurin Rebecca Stringa schaute sich das neuartige Prinzip einmal genauer an und fragte bei einer Dating-Psychologin nach.
Contra-Dating ist ein Trend, der von der Dating-Plattform „Plenty of Fish“ ins Leben gerufen wurde. Dieser Ansatz fordert uns heraus, unsere gewohnten Vorlieben und Muster zu überdenken und Menschen eine Chance zu geben, die nicht unserem üblichen „Typ“ entsprechen. Statt sich immer auf vertraute und bekannte Eigenschaften zu konzentrieren, sollen wir bewusst außerhalb unseres Beuteschemas daten.
Übersicht
Wie funktioniert Contra-Dating?
Beim Online-Dating können Sie bewusst Profile auswählen, die nicht Ihrem üblichen Beuteschema entsprechen. Ändern Sie Ihre angegebenen Interessen oder Hobbys in Ihrem Profil, um andere Match-Vorschläge zu erhalten. Dies kann bedeuten, dass Sie, wenn Sie normalerweise das Tennisspielen lieben, einfach mal Joggen als Hobby angeben oder Ihre Musikpräferenzen ändern. Im realen Leben können Sie sich ebenfalls bewusst für neue Begegnungen öffnen, sei es durch gemeinsame Aktivitäten oder durch das Verlassen Ihrer gewohnten sozialen Kreise.
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Die Vorteile des Contra-Datings
Verbesserte Selbstwahrnehmung
Indem Sie sich auf Personen einlassen, die nicht Ihrem typischen Muster entsprechen, beginnen Sie, Ihre eigenen Präferenzen zu hinterfragen. Warum ziehen Sie bestimmte Äußerlichkeiten oder Charakterzüge an? Sind diese wirklich wichtig für Sie und Ihre Bedürfnisse? Diese Selbstreflexion kann zu einem besseren Verständnis Ihrer eigenen Wünsche und Erwartungen führen.
Horizonterweiterung
Contra-Dating eröffnet neue Möglichkeiten und kann zu inspirierenden Begegnungen führen. Menschen, von denen Sie nie gedacht hätten, dass sie in Ihr Leben passen könnten, können Ihre Sichtweise erweitern und neue Impulse geben. Diese neuen Erfahrungen können bereichernd sein und Ihren Horizont erweitern.
Tiefere Gespräche
Durch Contra-Dating kommen Sie automatisch über die üblichen Small-Talk-Themen hinaus. Die Interaktion mit Menschen, die anders sind als Sie, fördert tiefere und spannendere Gespräche. Dies kann zu einer intensiveren und bedeutungsvolleren Verbindung führen.
Muster durchbrechen
Viele von uns verfolgen oft automatisiert altbekannte Muster bei der Partnersuche. Diese starren Muster können einengen und verhindern, dass wir unsere aktuellen Bedürfnisse und Wünsche hinterfragen. Contra-Dating kann dabei helfen, diese Muster zu durchbrechen und neue Wege zu gehen.
Flexibilität und Anpassungsfähigkeit
Flexibel zu bleiben und sich auf Neues einzulassen, kann nie verkehrt sein. Solange Sie Ihre eigenen Werte und nicht verhandelbaren Punkte in einer Beziehung respektieren, wie Monogamie oder gemeinsame Zukunftspläne, kann Contra-Dating eine wertvolle Erfahrung sein. Es geht darum, offen für neue Begegnungen zu sein, ohne dabei die eigenen Grundsätze aufzugeben.
Achtung, wichtig: Grenzen setzen!
Während Contra-Dating eine spannende Erfahrung sein kann, ist es wichtig, Ihre „Non-negotiables“ – die Dinge, bei denen Sie keine Kompromisse eingehen wollen – zu kennen und zu respektieren. Diese nicht verhandelbaren Aspekte sind individuell und sollten stets berücksichtigt werden.
Das sagt die Psychologin und Dating-Expertin
STYLEBOOK fragte bei Pia Kabitzsch, Psychologin und Dating-Expertin nach, wie ihre Enschätzung zum Trend Contra-Dating ist – mit spannenden Erkenntnissen.
STYLEBOOK: Welche psychologischen Theorien oder Konzepte unterstützen die Idee des Contra-Datings?
Pia Kabitzsch: „Eine zentrale Theorie in diesem Zusammenhang ist die kognitive Dissonanz. Diese beschreibt das unangenehme Gefühl, das entsteht, wenn unsere Handlungen nicht mit unseren Einstellungen übereinstimmen. Viele Menschen haben klare Präferenzen und Einstellungen bezüglich potenzieller Partner, die auf ihren eigenen Erfahrungen, Werten und Überzeugungen basieren.
Beim Contra-Dating entscheidet man sich bewusst dafür, Menschen zu daten, die nicht diesem bisherigen Beuteschema entsprechen. Dies führt dazu, dass man mit neuen Informationen konfrontiert wird, die die bisherigen Einstellungen infrage stellen und somit zu kognitiver Dissonanz führen können. Um diese Dissonanz zu reduzieren, kann man entweder die eigenen Einstellungen anpassen und das Beuteschema erweitern oder versuchen, Gründe zu finden, warum Contra-Dating trotz dieser kognitiven Dissonanz sinnvoll ist.“
Welche positiven psychologischen Effekte können durch Contra-Dating erzielt werden?
„Contra-Dating ermöglicht es uns, über den Tellerrand hinauszuschauen und Neues über uns selbst zu lernen. Beim Dating lernen wir nicht nur andere Personen kennen, sondern auch uns selbst. Personen außerhalb der eigenen Bubble kennenzulernen, kann zu größerer Offenheit führen und helfen, Vorurteile abzubauen. Außerdem entwickelt man ein besseres Verständnis und mehr Toleranz für Menschen, die einem unähnlich sind. Besonders bei der Gen Z steht Authentizität im Mittelpunkt: Offenheit, seelisches Wohlbefinden, Ehrlichkeit und Respekt sind hier die wichtigsten Faktoren. Wertebasierte Qualitäten wie Loyalität, Respekt und Aufgeschlossenheit werden gegenüber dem Aussehen bevorzugt.“
„Man sollte das Kennenlernen mit Personen, die dem eigentlichen Beuteschema entsprechen, nicht direkt vergleichen“
Könnten auch negative Auswirkungen auftreten, wenn man sich bewusst gegen seine gewohnten Präferenzen entscheidet?
„Ja, das ist möglich. Contra-Dating kann enttäuschende Erfahrungen mit sich bringen, da nicht jedes Contra-Date erfolgreich sein wird, genauso wie nicht jedes Date mit einer Person, die dem eigentlichen Beuteschema entspricht. Es kann schwierig sein, die eigenen Vorurteile und Stereotype zu überwinden und sich auf Menschen einzulassen, die nicht dem Beuteschema entsprechen. Das kann verunsichern und dazu führen, dass man die Verbindung vorschnell aufgibt.“
Welche Strategien oder Tipps würden Sie Personen geben, die Contra-Dating ausprobieren möchten?
„Es ist wichtig, offen für Neues zu sein und neugierig an das Contra-Dating heranzugehen. Man sollte das Kennenlernen mit Personen, die dem eigentlichen Beuteschema entsprechen, nicht direkt vergleichen. Die erste körperliche Anziehung mag vielleicht nicht ganz so stark sein, aber sie kann sich mit der Zeit entwickeln. Es lohnt sich, der Verbindung eine echte Chance zu geben.
Außerdem sollte man auf sein Bauchgefühl hören, da unsere Intuition oft auf unbewussten Wahrnehmungen und Erfahrungen basiert. Es ist sinnvoll, vorherige Muster zu hinterfragen und sich darüber bewusst zu werden, was in Beziehungen wirklich zählt – emotionale Unterstützung, Akzeptanz der Grenzen und die Fähigkeit, schwierige Themen zu besprechen, sind hier entscheidend.“
„Es ist sinnvoll, vorherige Muster zu hinterfragen und sich darüber bewusst zu werden, was in Beziehungen wirklich zählt“
Kann Contra-Dating somit helfen, tiefere und authentischere Verbindungen zwischen Menschen zu fördern?
„Definitiv! Beim Contra-Dating geht es darum, hinter die Oberfläche zu schauen und andere Personen so kennenzulernen, wie sie sind, unabhängig von unwichtigen Dingen wie Aussehen, Statussymbolen und Interessen. Es sollte beim Dating mehr darum gehen, wie man sich fühlt: Fühlt man sich gesehen, wertgeschätzt und akzeptiert? Das ist entscheidend für eine langfristige, gesunde Partnerschaft und passt hervorragend zum Konzept des Contra-Datings.“
Wie wichtig ist es, persönliche Grenzen zu erkennen und zu respektieren, während man Contra-Dating ausprobiert?
„Persönliche Grenzen zu erkennen und zu respektieren ist immer wichtig, auch beim Contra-Dating. Es ist entscheidend, die eigenen Grenzen durchzusetzen und diese klar zu kommunizieren. Ebenso wichtig ist es, die Grenzen des Gegenübers respektvoll zu behandeln und ohne Diskussion zu akzeptieren.“
Wie kann man unterscheiden, ob man seine Präferenzen sinnvoll erweitert oder sich in eine ungesunde Richtung bewegt?
„Auch hier spielt das Bauchgefühl eine große Rolle. Wenn man sich bei einem Date unwohl fühlt, ist das oft ein verlässliches Zeichen, dass man das Kennenlernen besser beenden sollte. Ein gutes Bauchgefühl hingegen kann ein Zeichen dafür sein, dass man sein Beuteschema sinnvoll erweitert.
Wenn man sich jedoch häufig unwohl und angespannt fühlt, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass sich das Contra-Dating in eine ungesunde Richtung bewegt. Geteilte Grundwerte und Prinzipien sind auch beim Contra-Dating essenziell, um eine Verbindung aufbauen zu können. Und nicht zu vergessen: Dating sollte Spaß machen und keine Belastung sein. Man sollte stets auf die eigenen Bedürfnisse und Grenzen achten.“
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Fazit
Contra-Dating zwingt uns aus unserer Komfortzone heraus und eröffnet neue, spannende Möglichkeiten. Es ist eine Chance, sich selbst besser zu verstehen, neue Menschen kennenzulernen und vielleicht sogar unerwartete und tiefgründige Verbindungen zu knüpfen. Probieren Sie es aus und wagen Sie sich in unbekannte Gewässer – wer weiß, vielleicht treffen Sie auf diese Weise den Menschen Ihrer Träume.