10. Juli 2019, 7:42 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Ich habe immer schon viel geredet. Zu viel, wenn man manche Lehrer von früher fragt. Die umschrieben das damals mit so netten Worten wie „aufgeweckt”, „lebendig” und „sehr kommunikativ”. Aber man kann sich ja ändern – wenn man denn will. Deswegen habe ich das Experiment gewagt: ein paar Tage still sein. Spoiler: Der Start war holprig, die Erkenntnis umso umwerfender.
Der Start: Ein „Silent Day“
Die erste Idee, das mit dem Dauerquasseln sein zu lassen, kam mir auf einer Indien-Reise: ein „Silent Day“ war Teil meiner Yogaausbildung. Gute Idee, fand ich – bis meiner an der Reihe war. Es war der Tag der Trump-Wahl in den USA und damit der wohl am schlechtesten gewählte Zeitpunkt überhaupt. Geredet habe ich nicht, aber dafür diverse neue Kommunikationswege gefunden, von Augen-verdrehen über Seufzen bis hin zu allen möglichen anderen Tönen, die man mit geschlossenem Mund so machen kann. Gelernt habe ich an dem Tag also nicht so viel. Außer, dass es nervt, nichts sagen zu dürfen, wenn sich die Wortsalven im Kopf nur so überschlagen.
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Die Idee hat mich trotzdem nicht losgelassen. Nun bin ich ohnehin ruhiger geworden und mag Stille. Ich habe inzwischen eine zehntägige Vipassana (Stille-Meditation) geschafft. Meditation ist Teil meines Alltags und die Ruhe in der Natur finde ich seit einigen Jahren ganz schön gut. Zuhören statt unentwegt selber reden ist Teil meines beruflichen wie privaten Alltags. Drei Tage so wenig wie möglich zu sprechen ist trotzdem eine Herausforderung für mich. Allein oder im vorgefertigten Rahmen still zu sein, empfinde ich als einfach. Mit Freunden, Partner und Kollegen drumherum ist das schon eine ganz andere Nummer. Deshalb wollte ich das unbedingt versuchen.
Das Experiment: drei Tage fast still!
Der Anfang der drei Tage ist erst einmal albern: Ich hab’s einfach vergessen. Ich fing im Büro damit an und habe eh geschrieben. Dann war die Erinnerung wieder da und mit ihr die erste komische Entdeckung: Selbst wenn ich gar nichts zu sagen hatte, hat es mich in den ersten Minuten gestresst, nichts sagen zu sollen. Typisch verbotene Frucht und so – darf ich nicht, will ich aber. Darf ich wieder, ist es mir auch schon egal. Nach erster Kurzzeitpanik dann das erste richtige oder vielleicht eher erweiterte Zuhören. Wir sitzen in einem Großraumbüro. Geräusche überall. Bisher konnte ich die immer gut ausblenden. Ab dem Moment der bewussten Stille waren sie unüberhörbar. Überall redeten plötzlich alle und natürlich auf einmal. Kann es sein, dass mein Gehör so schnell empfindlicher geworden ist? Oder waren an dem Tag einfach nur alle laut? Auf jeden Fall hat es mich abgelenkt, extrem sogar. Ob das jetzt am Fokus oder echt an spontaner Gehör-Erweiterung lag, stelle ich mal unbeantwortet in den Raum. Im Privaten lief es etwas anders.
Tag zwei und drei war ich voll mit Freund, Freunden, und Sport beschäftigt und hatte entsprechend viel Zeit, das mit dem Stillsein in Gesellschaft zu testen. An der Boulderwand hängend oder im See schwimmend fiel das mit dem Nicht-Reden nicht schwer. In einer Runde mit Freunden überraschenderweise auch nicht. Ich höre gern zu, wenn andere aus ihren Leben erzählen, entsprechend habe ich das einfach noch ein bisschen mehr gemacht. Und dabei einiges gelernt. Im Gespräch mit einer Freundin, die mir schnell nach meinem „Hallo”, „Wie geht’s dir?” (Antwort: „Ein bisschen unzufrieden”) und „Warum?” einen Zukunftswunsch erzählte zum Beispiel. Normalerweise höre ich zu, stelle Fragen, nehme Gesichtsausdruck und Körperhaltung meines Gegenübers wahr und gebe schnell mal meinen Senf dazu. Stattdessen hielt ich an dieser Stelle einfach die Klappe. Für mich überraschend waren meine Gedanken dabei ruhig. Anscheinend musste ich nur die Entscheidung treffen nicht zu reden und schon war das mit dem Eigene-Meinung-bilden gar nicht mehr so wichtig. Was ist also passiert?
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Die Erkenntnis
Das Nicht-Reden entwickelte sich weiter in ein Nicht-Urteilen. Ich konnte einfach zuhören, akzeptieren, fertig. Das fühlte sich ganz schön gut an. Ich hatte plötzlich viel mehr Zeit für Details. Ich hörte nicht nur, was meine Freundin aussprach, sondern hatte auch Zeit zu bemerken, wie ihre Stimme weicher und ihre Augen wacher wurden, während sie ihre Vision in epischer Breite vor mir auspackte. Das Ende vom Lied: Wir haben uns beide ziemlich gefreut. Sie, weil sie ungestört erzählen konnte, ich, weil ich sie noch besser kennengelernt habe. Das habe ich ihr dann allerdings auch gesagt.
Ein bisschen schwieriger war es in einem Telefonat mit meinem Freund. Weil telefonieren mit wenigen Worten auf einer Seite irgendwie unsinnig ist, haben wir nach meiner kurzen Erklärung („Ich rede für einen STYLEBOOK-Text drei Tage so wenig wie möglich”) kurzerhand zu Facetime gewechselt. Aber sich über den Smartphone-Bildschirm ewig stumm an den Augen vorbeizugucken, fetzt auch nicht so richtig. Nachdem er umfangreich auf meine Ein-Wort-Fragen reagierte, wollte er eben auch wissen, was mich so beschäftigt. Also habe ich an der Stelle weniger, aber nicht nur das Nötigste geredet.
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Die Telefon-Schwierigkeit habe ich nicht vorhergesehen. Ich hatte bei dem Drei-Tages-Experiment eher mit einer anderen Problematik gerechnet: dass die Stille an der einen oder anderen Stelle vielleicht unangenehm wird und ich sie zwanghaft mit Worten füllen möchte. Das ist nicht passiert. Gefühlt gab es wenige Momente, in denen alle einfach still waren. Und selbst wenn, waren die sehr angenehm und überhaupt nicht doof. Tatsächlich war aber jeder einzelne Moment bewusster und dadurch gleich intensiver. Und dafür war das Experiment schließlich auch da. Ich glaube, dass nur, wer bewusst lebt, wirklich glücklich lebt. Wer’s nicht glaubt, kann das ja einfach mal ausprobieren.