30. Mai 2024, 19:28 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Im Oktober 2017 kamen erstmals Vorwürfe gegen Harvey Weinstein ans Tageslicht. Sexuelle Belästigung, Nötigung und Vergewaltigung – so lauteten die Anklagen, die schließlich eine ganze Bewegung ins Rollen brachte. Unter #MeToo fanden sich über 80 Frauen wieder, die dem Hollywood-Produzenten Belästigung vorwarfen. Nach der Verurteilung 2020 folgte nun im April 2024 ein herber Rückschlag: Das Urteil wurde gekippt, ein Verfahrensfehler sei daran schuld. In jüngsten Ereignissen meldeten sich nun allerdings weitere Frauen mit Vorwürfen zu Wort. Mehr dazu im STYLEBOOK-Artikel.
Übersicht
Das ist bisher passiert
Filmproduzent Harvey Weinstein zählte lange Zeit zu den einflussreichsten Männern Hollywoods. Am bekanntesten ist er jedoch zweifelsfrei für zahlreiche Missbrauchsvorwürfe, die letztendlich die #MeToo-Bewegung ins Rollen brachten. Schauspielerinnen Angelina Jolie, Kate Beckinsale und Salma Hayek sind nur drei der über 80 Frauen, die Weinstein sexuelle Belästigung vorwarfen. Des Weiteren gibt es Vergewaltigungsvorwürfe in mehreren Fällen. Nach jahrelangen Ermittlungen folgte 2020 endlich der Gerichtsprozess. In diesem wurde Weinstein von der Jury in zwei von fünf Anklagepunkten – Vergewaltigung und Nötigung – zu 23 Jahren Haft verurteilt. Die Verurteilung galt für viele Frauen damals als eine Art Befreiungsschlag – vor allem aber war sie ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sexuelle Gewalt ernst genommen und geahndet wird.
Deshalb wurde das Urteil zu Harvey Weinstein gekippt
Ende April 2024 folgte die Ernüchterung: Aufgrund eines Verfahrensfehlers hob das oberste Gericht in New York das Urteil auf. Die Vorwürfe um Harvey Weinstein traten damals eine regelrechte Welle der Entrüstung los. Nicht nur in Hollywood, auch weltweit nutzten Frauen die entstandene Bewegung #MeToo, um auf sexuelle Gewalt aufmerksam zu machen – und wurden endlich einmal angehört und ernst genommen. Doch genau das ist dem Gericht im Fall Weinstein nun zum Verhängnis geworden. So wurden im ursprünglichen Gerichtsverfahren Aussagen zugelassen, die gar nicht hätten zugelassen werden dürfen. So beruhten manchen der getroffenen Aussagen auf Behauptungen von Frauen, die überhaupt nicht Teil der Anklage waren.
Der verantwortliche Richter hörte sich also nicht nur die Vorwürfe der Klägerinnen Mimi Haleyi und Jessica Mann an, sondern auch die von sogenannten „Molineux-Zeuginnen“ an. Dabei handelt es sich um Zeuginnen, die im Rahmen einer Gerichtsverhandlung aussagen, dass ihnen Ähnliches wie dem Opfer passiert ist. Auf diese Weise lassen sich Muster im Verhalten des Angeklagten erkennen, die die Glaubwürdigkeit der Anschuldigungen unterstützen. Wenngleich also kein Zweifel am Tatbestand besteht, darf ein Angeklagter nur nach seinen ihm vorgeworfenen Taten verurteilt werden. In diesem Fall darf ein Richter Weinstein also nur auf Grundlage der Aussagen der beiden Klägerinnen verurteilen, nicht jedoch basierend auf den Molineux-Aussagen. Ganz aus dem Schneider ist Weinstein jedoch nicht: In einem weiteren Vergewaltigungsprozess aus dem Jahr 2022 wurde der 72-Jährige zu 16 Jahren Haft verurteilt.
Schon wieder neue Vorwürfe gegen Harvey Weinstein
Der Verfahrensfehler, der für die Aufhebung des Urteils sorgte, ist für viele Frauen und Betroffene ein wahrer Schlag ins Gesicht. Denn wie kann es sein, dass ein Mann, der mit so vielen Anschuldigungen zu kämpfen hat, droht, mit seinen Taten davonzukommen? Zumindest, was den Rechtsprozess angeht. So möchte das Anwaltsteam von Weinstein auch das zweite Verfahren, in dem dieser zu 16 Jahren Haft verurteilt worden war, anfechten. Allerdings hat das Aufheben des Urteils auch Konsequenzen: Ende Mai 2024 meldeten sich weitere Frauen zu Wort, die dem Filmproduzenten Missbrauch vorwerfen. Es besteht also die Möglichkeit, den Prozess wieder aufzurollen.
Dass das nur ein schwacher Trost ist, wissen vor allem die beiden Frauen, die Weinstein zu Beginn der Vergewaltigung bezichtigt haben. So müssen diese ihre traumatische Geschichte noch einmal aufleben lassen, sollte es zu einem weiteren Prozess kommen. Und auch die neuesten Vorwürfe laufen Gefahr, gar nicht erst in den Prozess miteinbezogen zu werden. So müsse die Staatsanwaltschaft in New York erst einmal prüfen, ob die Fälle verjährt seien. Gleichzeitig zeigte sich Weinsteins Verteidiger zuversichtlich, dass sich keine weiteren Klägerinnen finden würden, die die Aussagen der Staatsanwaltschaft untermauern. Was nun weiterhin passiert, bleibt abzuwarten. Sicher sagen lässt sich jedoch, dass die Aufhebung eines solchen Urteils einen Rückschritt für jeden darstellt, der jemals sexuelle Gewalt erfahren und das Erlebnis mit der Öffentlichkeit geteilt hat.
Was bedeutet das für die #MeToo-Bewegung?
Das aufgehobene Urteil lässt Menschen aus aller Welt fassungslos zurück. Der Skandal um Harvey Weinstein hat wie kaum ein anderer Fall eine regelrechte Welle der Entrüstung ausgelöst. Der Hashtag #MeToo fand seit dem mehrere Millionen mal Verwendung und vereinigte unzählige Menschen, die in ihrem Leben ähnliche Erfahrungen mit sexueller Belästigung oder Nötigung sammeln mussten. Und so tragisch die Ereignisse rund um den ehemaligen Filmmogul auch sind, so brachten die entstandene Bewegung dennoch ein wahres Umdenken in der Gesellschaft mit sich. Opfern wurde zugehört, Missbrauchsfällen nachgegangen und, wenn nötig, strafrechtlich verfolgt. Die Präsenz des Themas stieg vor allem in den sozialen Medien an und schaffte ein erweitertes Bewusstsein für die schwerwiegende Problematik.
Doch nicht nur in den Medien erlebte das Thema sexuelle Gewalt einen Aufschrei. So zeigen Statistiken, dass mittlerweile immer mehr Sexualdelikte polizeilich erfasst werden. Das bedeutet nicht direkt, dass mehr Vergewaltigungen oder sexuelle Belästigungen stattfinden, sondern dass diese mittlerweile öfter zur Anzeige gebracht werden. So verzichteten früher mehr Betroffene als heute auf die polizeiliche Nachverfolgung einer Sexualstraftat. Das liegt einerseits am Schamgefühl, über ein solches „Tabuthema“ zu sprechen und andererseits an der Angst, keinen Glauben geschenkt zu bekommen. Ein besonderes Hoch erfuhren polizeiliche Anzeigen zu Sexualdelikten übrigen im Jahr 2017 – als die Vorwürfe gegen Weinstein publik wurden und die #MeToo-Bewegung ihren Anfang fand.
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Bewegung zeigt sich dennoch zuversichtlich
Die Verurteilung von Harvey Weinstein galt für viele Frauen demnach als Befreiungsschlag – endlich hatten sie Gehör gefunden. Der vermeintlich aussichtslose Kampf gegen sexuelle Belästigung hatte endlich ein Urteil gefunden. Natürlich stellt das noch lange keine Lösung für ein viel tiefergehendes und allgegenwärtiges Problem dar. Allerdings war es ein Schritt in die richtige Richtung!
Das Aufheben des Urteils ist deshalb ein herber Rückschritt. Denn wenn selbst ein Mann, dem über 80 Mal (!) vorgeworfen wird, Frauen sexuell belästigt zu haben, vermeintlich glimpflich davonkommt, stellt sich die Frage, wie man gegen solche Fälle überhaupt ankämpfen soll.
Trotz all der schlechten Nachrichten, zeigt sich das MeToo-Movement auf den sozialen Medien zuversichtlich. Auf Instagram teilt die Bewegung ein Statement, in dem sie aussagt, sich davon nicht entmutigen zu lassen. So sei bereits der Moment der Anklage 2017 ein Weckruf gewesen – die Aufhebung des Urteils jedoch auf. So zeigt der Sachverhalt, dass es wichtiger denn je ist, für Betroffene einzustehen. „Das ist kein Rückschlag für die Bewegung, sondern eine klare Aufforderung“, so die Gründerin Tarana Burke. Im Falle Weinstein bleibt also zu hoffen, dass beim Wiederaufrollen des Prozesses keine weiteren Verfahrensfehler bestehen.
Für #MeToo bedeutet das, sich auch hiervon nicht unterkriegen zu lassen. Laut Tarana Burke sei der Verlauf des Sachverhalts kein Scheitern der Bewegung an sich, sondern der Gesellschaft. So haben bereits Millionen Frauen ihr Schwegen gebrochen – und das wird immer ein Erfolg sein.