26. Oktober 2022, 15:52 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Unangenehme Situationen, die an Bedrängung grenzen oder sogar darüber hinaus gehen, kennen leider viel zu viele Frauen. Oftmals ist es schwer, ihnen zu entkommen. Die sozialen Medien reagieren auf dieses Problem, indem sie Handzeichen und Codes publik machen wollen, mit denen Opfer den Wunsch nach Hilfe signalisieren können. Doch noch sind sie leider zu unbekannt.
Der Laden ist voll, es herrscht Gedränge – das spielt Männern, die auf der Suche nach einer „leichten Beute“ sind, natürlich in die Karten. Umso mehr Frauen haben es schon erlebt, dass jemand ihnen zu nahe gekommen ist und einfach nicht abrücken will. In Situationen, in denen sie sich belästigt fühlen, wissen die Opfer oft nicht, wie sie sich befreien können. Jetzt könnten subtile Handzeichen und Codes helfen.
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Handzeichen für Situationen der Bedrängnis
Die Canadian Women‘s Foundation versuchte bereits im Jahr 2020, Handzeichen zu etablieren, mit denen Opfer von Bedrängnis unauffällig eine Notsituation aufzeigen können. Ein entsprechendes Video postete die Frauenstiftung auf ihrem Instagram-Kanal.
Darin zu sehen: eine Frau, die – ohne verbal oder schriftlich darauf hinzuweisen – mit ihrer rechten Hand eine Gefahrensituation signalisiert. Im Anschluss werden die konkreten Bewegungen noch mal dargestellt.
Das offizielle Handzeichen, das auf Bedrängnis oder gar sexuelle Gewalt hinweisen soll, funktioniert so:
- Heben Sie die Hand senkrecht hoch und präsentieren dabei die Handfläche
- Knicken Sie dann den Daumen ein und legen ihn auf die Handfläche
- Nun die anderen Finger langsam über den Daumen, um eine Faust zu zeigen
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Das Zeichen hat schon funktioniert
Verschiedene Kanäle haben das Video damals geteilt und die Anleitung aufgegriffen. Und tatsächlich hat es bereits vereinzelt Fälle von Frauen gegeben, die sich mithilfe der Handzeichen aus einer Notlage befreien konnten. Das MDR-Format „Brisant“ etwa berichtet von einer im US-Bundesstaat South Carolina Entführten, die damit vom Auto ihres Übergreifers aus auf sich aufmerksam machen konnte. Weiterhin sei erst kürzlich einem Mädchen am Hauptbahnhof Dortmund geholfen worden, nachdem es auf die vorgestellte Weise ihre Hand hochgehalten hatte.
Aber mal ehrlich, wussten Sie davon? Vermutlich nicht. Und das ist ein Problem, insbesondere vor dem Hintergrund der erschreckenden Statistik. Jede dritte Frau, die älter ist als 15, hat im Laufe ihres Lebens bereits sexuelle und/oder körperliche Gewalt erfahren. Das ergab eine Umfrage durch die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA). Demnach wurde eine von 20 Frauen bereits vergewaltigt.
Schon mal einen „Angel Shot“ getrunken?
Es gab vor einigen Jahren die Bestrebungen, einen sogenannten „Angel Shot“ auf die Getränkekarte in Bars, Diskotheken und ähnlichen gastronomischen Einrichtungen zu setzen. Frauen, die ihn bestellten, sollen so zu erkennen geben können, dass sie jemand belästigt. Mitarbeiter müssten einen „Angel Shot“ in der Folge als eindeutiges Signal deuten, einzuschreiten.
Gleiches soll wohl passieren, wenn ein potenzielles Opfer verkündet, „Luisa ist hier!“ 2016 hat der Frauen-Notruf Münster diesen „offiziellen Hilferuf“ ins Leben gerufen. In der Theorie ist er in zahlreichen Bundesländern und auch in einigen Städten in Österreich und der Schweiz geläufig. Doch STYLEBOOK konnte (Stand 26. Oktober 2022) keinen Barkeeper, Club- oder Restaurantmitarbeiter in deutschen Großstädten ausfindig machen, der mit der Aussage, „Luisa ist hier!“, etwas anfangen kann. Auch beim „Angel Shot“ klingelt es bei niemandem.
In deutschen Bars und Clubs sind die Codes kaum bekannt
Ein Frankfurter Gastronom, der anonym bleiben will, räumt zumindest ein, „so etwas in die Richtung mal gehört“ zu haben. Doch ob Luisa, Patrizia oder Felicia – einen offiziell als Hilferuf zu interpretierenden Frauennamen gäbe es in er Szene nicht. Ganz sicher seien die oben beschriebenen Handzeichen und Codewörter kein Bestandteil der Einarbeitung von neuem Personal.
Dabei wäre es wichtig, dass die breite Öffentlichkeit die Handzeichen kennt, damit sie auch wirklich funktionieren können. Und so auch vergleichbare Codewörter und -namen. Deshalb machen es sich aktuell etwa TikToker zur Aufgabe, die Handzeichen, die auf Bedrängnis und mögliche Gefahrensituationen aufmerksam machen sollen, publik zu machen. Hier muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, wie die Praxis zeigt.
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Quellen
- So funktionieren Codes gegen sexuelle Gewalt – nicht nur auf TikTok, MDR Brisant
- Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung, Agentur der Europäischen Union für Grundrechte
- Schutz für Frauen „Ist Luisa da?“ als Codewort in Kneipen, Kölner Stadt-Anzeiger