15. September 2023, 16:43 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Wetten, Sie haben auch ein Produkt von Beurer zu Hause? Oft sogar unterbewusst, wie der CEO Sebastian Kebbe weiß. Im STYLEBOOK-Interview im Rahmen der Top-Leaders-Reihe verriet uns der Geschäftsführer, welches Produkt für ihn ein absoluter Fail war, warum Femtech boomt und Männerrasur jetzt erst ein Thema ist.
Seit mehr als zwei Jahren ist Sebastian Kebbe nun CEO von Beurer, seitdem er sich seit 2010 stetig hochgearbeitet hat. Zusammen mit den Gesellschaftern Marco Bühler und Oliver Neuschl übernahm er 2021 die Leitung des Familienunternehmens. Grund genug, dem neuen Geschäftsführer genauer auf den Zahn zu fühlen.
Übersicht
- „Beurer hat schon viele Krisen mitgemacht“
- „Wenn wir glauben, wir können was besser machen, dann greifen wir an!“
- „Ich habe ich mich neulich tatsächlich auch gefragt, warum wir in der Geschäftsführung nur Männer sind“
- »Vor Temu habe ich keine Angst
- Nachhaltigkeit ist das A und O
- »Wir setzen auf recycelte Materialien
- Dieses Beurer-Produkt bereut der CEO
„Beurer hat schon viele Krisen mitgemacht“
STYLEBOOK: Beurer ist ein wahres deutsches Traditionsunternehmen. Warum schafft es Beurer seinen Umsatz zu steigern, während andere Firmen durch Corona stark gebeutelt wurden, gar Insolvenz anmelden mussten?
Sebastian Kebbe: Es gibt uns einfach schon sehr lange – schon mehr als 100 Jahre. Das heißt, wir haben natürlich schon viele Krisen auf dieser Welt mitgemacht, inklusive eines Weltkrieges. Wir müssen uns jedes Jahr ein Stück weit neu erfinden, deswegen bringen wir auch fast jedes Jahr 60 neue Produkte auf den Markt. Wir haben natürlich auch Produkte, die dann irgendwann in den Ruhestand gehen, da wir sie nicht mehr verkaufen. Immer wieder dranbleiben und sich überlegen, was könnte denn ein neuer Trend sein – so haben wir insgesamt über die letzten 20 Jahre vor allem unsere Produktgruppen stetig ausgebaut.
„Gesundheit fängt auch damit an, dass ich mich vielleicht schöner empfinde”
Beurer zählt heute zu den weltweiten Top-Herstellern und zur Nummer 1 im Bereich Gesundheit und Wohlbefinden. Ihr seid sehr breit aufgestellt, wäre es nicht einfacher, sich nur auf einen spezifischen Themenbereich zu fokussieren?
Weil wir es können, würde ich sagen. Wir haben schon immer eine Gemeinsamkeit in unserem Produkt: Und das ist der menschliche Körper. Es geht darum, Produkte anzubieten, die das Wohlbefinden steigern. Wir haben aber auch Produkte, die sich mit der Luftqualität beschäftigen oder eben auch Medizinprodukte im Bereich Diagnose und Therapie.
Auch Beauty spielt immer mehr eine wichtige Rolle! Gesundheit fängt auch damit an, dass ich mich vielleicht schöner empfinde und dass ich mich pflegen kann. Von daher sehen wir schon, dass wir eine Klammer haben. Der Körper ist vielfältig! Dementsprechend gibt es dann auch vielfältige Produkte.
Beurer ist ein Unternehmen, das sich auf die Herstellung von Gesundheits- und Wellnessprodukten spezialisiert hat. Diese Produkte reichen von medizinischen Geräten wie Blutdruckmessgeräten, Thermometern und Massagematten bis hin zu Beauty- und Entspannungsprodukten wie Rotlichtlampen und Fußbädern. Beurer wurde 1919 gegründet und hat seinen Hauptsitz in Ulm, Deutschland. Das Familienunternehmen erzielt jährlich einen Umsatz von knapp 293 Millionen Euro und bietet rund 1000 Mitarbeitern Arbeitsplätze.
„Wenn wir glauben, wir können was besser machen, dann greifen wir an!“
Zum Thema: Welchen Beauty-Trend siehst du für 2024?
Beurer ist gerade dabei, den Beauty-Bereich um das große Thema Männerrasur und Zahnbürsten zu erweitern. Das sind vielleicht nicht die innovativsten Produktgruppen, aber für uns neue. Wenn wir glauben, wir können was besser machen, dann greifen wir an!
Und es geht ja nicht nur um Rasieren, sondern Bartpflege, Körperhaare, alles, was das Thema Männerpflege betrifft, inklusive Haarschneider. Das ist deswegen für uns ein großes Thema, weil wir sehr viel in die Entwicklung der Geräte gesteckt haben und wirklich sagen können, dass wir eine sehr gute Performance abliefern.
Frauengesundheit wird bei Beurer weiter ausgebaut
Ein anderes großes Thema ist für uns unsere neue Women’s Life Serie, wo wir eine Produktreihe entwickelt haben, die sich speziell um das Thema Frauengesundheit dreht. Und das über die ganze Lebenszeit. Es fängt an mit Produkten für die Kinderwunschplanung oder mit Basal-Thermometern, um den Zyklus festzustellen. Ein weiteres, innovatives Produkt, ist das wiederverwendbare Menstruations-Pad, ein Heizpflaster, dass man sich auf den Unterbauch kleben kann, was Periodenschmerzen deutlich reduziert.
Dazu haben wir auch eine Studie mit Ärzten durchführen lassen: Und 98 Prozent der Frauen haben gesagt, dass sie das Produkt auf jeden Fall weiter benutzen wollen, da es ihnen hilft. Und 80 Prozent äußerten, dass sie die Einnahme von Schmerzmitteln reduzieren konnten. Da bleiben wir natürlich dran – und wollen es aber auch in Zukunft noch weiter entwickeln.
Du hast es bereits erwähnt: Jährlich kommen circa 60 Produktinnovationen zum Sortiment hinzu. Woher nehmt ihr eure Inspiration?
Wir leben von den neuen Produkten. Die sind auch wirklich sehr, sehr wichtig für uns. Neue Produkte zu entwickeln und vorzustellen. Beim Entwicklungsprozess sind alle bei uns beteiligt. Wir haben ein großes Produktmanagement, wir haben eine Technikabteilung.
Es ist aber genauso jeder Mitarbeiter willkommen, der uns gute Vorschläge macht für neue Produkte. Wir haben auch Kunden, die sagen: ‚Ich hab mir da was überlegt in meinem Markt. Ich sehe da eine Möglichkeit. Könnt ihr da was entwickeln?‘ Und dann schauen wir uns das an. Es ist ein komplexer Prozess. Unsere Schwierigkeit ist eher, dass wir jedes Jahr aus den ganzen Ideen, die wir haben, reduzieren müssen, um einen wirtschaftlichen Erfolg zu garantieren.
„Ich habe ich mich neulich tatsächlich auch gefragt, warum wir in der Geschäftsführung nur Männer sind“
Zum Thema breit aufgestellt: Uns ist aufgefallen, dass in der Geschäftsführung keine Frau sitzt. Woran liegt das?
Das ist eine gute Frage. Das habe ich mich neulich tatsächlich auch gefragt, warum wir in der Geschäftsführung nur Männer sind. Ansonsten haben wir viele Abteilungsleiterinnen und viele Frauen im Produktmanagement. Hier liegt es bestimmt am Produktportfolio, dass sich besonders Frauen angesprochen fühlen, für uns zu arbeiten.
Woran liegt es also, dass auch eine Messe wie die IFA sehr männlich aufgestellt ist? Hast du da eine Vermutung, weswegen es auch 2023 immer noch so ist?
Dies mag natürlich auch ein bisschen an der Branche liegen. Noch mehr Männer können sich wahrscheinlich mehr für Maschinen begeistern und wollen diese entwickeln. Aber wie gesagt, bei uns in der Breite arbeiten deutlich mehr Frauen als Männer – und das betrifft alle Bereiche. Wir haben auch sehr viele Ingenieurinnen. Im Produktmanagement haben wir nur einen Teamleiter. Die restlichen Teamleiterinnen sind tatsächlich alles Frauen.
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»Vor Temu habe ich keine Angst
Temu, Amazon, AliExpress – wie schaffen Sie es, sich von der billigen China-Konkurrenz abzuheben?
Es ist ärgerlich, aber gar nicht so sehr, dass wir Angst von der Konkurrenz haben, sondern weil ich es sehr bedenklich finde, welche Produkte da teilweise verkauft werden. Bei der Ware, die da kommt, ist nicht sichergestellt, dass es den deutschen oder europäischen Qualitätsanforderungen entspricht. Qualität bedeutet für mich auch, dass man mit einer chemischen Prüfung checkt, ob die Stoffe, die da drin sein, gesundheitlich unbedenklich sind.
Zudem stellt sich natürlich auch oftmals die Frage der elektrischen Sicherheit. Also bei unserer Heizdecke sind 220 Volt drauf und wir haben ein sehr komplexes Sicherheitssystem eingebaut. Was ich sagen will: Die Produkte, die man da kauft, da muss man sich einfach bewusst sein, dass da gewisse Anforderungen eventuell nicht geprüft werden. Und man muss natürlich wissen, dass man in vielen Fällen den Kaufvertrag in Asien abschließt. Stellt man sich vor, so ein Akku brennt ab. Mit den entsprechenden Kollateralschäden möchte man sich mit Sicherheit nicht mit einem Hersteller in Asien auseinandersetzen müssen über die möglichen Schadensersatzansprüche.
Nachhaltigkeit ist das A und O
Ihr schreibt euch Nachhaltigkeit stark auf die Agenda. Wie definierst du das? Werden die Produkte auch in Deutschland hergestellt?
Wir produzieren auf der ganzen Welt. Wir haben Fabriken in Europa, in Ungarn, in Moldawien, aber auch in Asien. Und sind gerade dabei, eine neue Fabrik in Indonesien aufzubauen. Also die Produkte kommen aus der ganzen Welt. Die Entwicklung findet aber bei uns in Deutschland im Headquarter statt, in Ulm. Da haben wir so rund 400, 450 Leute im Büro sitzen. Und der größte Teil beschäftigt sich mit Produktentwicklung.
Nachhaltigkeit ist eine Verantwortung, die die Industrie insgesamt trägt. Am Ende geht es darum, wenn wir wirklich nachhaltiges Wirtschaften ermöglichen wollen, dann muss es über Kreislaufwirtschaft gehen. Das heißt, die eingesetzte Energie, die muss eben aus regenerativen Quellen kommen.
Deswegen sind wir dabei, alle unsere Standorte umzustellen und mit Fotovoltaikanlagen auszurüsten. Das ist bei uns im Hauptquartier und unseren Lagerstandorten bereits der Fall. Die sind sogar Klima positiv. So erzeugen wir mehr Solarenergie, als wir Energie verbrauchen. Wir sind jetzt gerade dabei, unsere Fabriken in Ungarn und Asien auf Solar umzustellen.
»Wir setzen auf recycelte Materialien
Und grundsätzlich geht es natürlich noch weiter auf die Rohstoffe. Das, was wir einsetzen, versuchen wir eben zunehmend aus Recycelmaterialien, also Stoffe, die schon mal in anderen Produkten enthalten waren, umzuarbeiten. Um dann wieder Produkte herstellen zu können. Denn wenn wir immer neues Öl aus dem Boden buddeln, um dann daraus Produkte zu machen, daraus wird sich niemals Nachhaltigkeit entwickeln.
Deswegen haben wir jetzt auch auf der IFA 2023 die ersten drei komplett recycelten Produkte vorgestellt. Drei Wärmeprodukte, bei denen die Textilien aus fast 90 Prozent PET-Flaschen bestehen. Und Heizdecke ist bei uns auch ein bisschen Firmen-Geschichte.
Sie klingt immer sehr altmodisch, die Heizdecke. Aber ich habe auch eine, das ist ein fantastisches Produkt. Schön und kuschelig. Da merkt man auch nicht, dass es mal eine Plastikflasche gewesen ist. So soll das sein!
Eine Heizdecke hast du also schon. Und was darf neben der Decke zu Hause nicht fehlen?
Mein Lieblingsprodukt ist tatsächlich momentan die Massage-Gun. Ich mache gerne Sport und kann sie jedem empfehlen. Auch nach einem anstrengenden Bürotag oder einer langen Autofahrt lasse ich mir öfter den Schulterbereich durchmassieren. Wirklich fantastisches Erlebnis. Die habe ich auch schon verschenkt. Ich könnte sogar jetzt ein paar WhatsApp-Nachrichten zeigen von Leuten, die es spektakulär gut fanden und sich bedankt haben.
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Dieses Beurer-Produkt bereut der CEO
Hast du denn ein Beurer-Produkt schon in der Anschaffung bereut?
Ja, tatsächlich. Und es war sogar ein Produkt eigens von mir vorgeschlagen. Deswegen ist es besonders schmerzhaft. Vor Jahren habe ich den Vorschlag gemacht, wir müssen Heizkissen entwickeln, was sich irgendwie am Bürostuhl festmachen lässt. Ich habe es geliebt, der Endverbraucher leider nicht. So mussten wir meinen eigenen Vorschlag einstellen. Aber am Ende geht es um den Endverbraucher – der muss Spaß haben mit den Produkten.
Deine Stuhlauflage hat’s also nicht geschafft. Hast du noch eine Idee in petto, an der du gerade arbeitest?
Nein diesmal nicht. Dieses Jahr habe ich nichts persönlich beigetragen. Aber wir sind auch so gut im Produktmanagement ausgestellt und ca. 30–40 Produkte stehen schon fürs nächste Jahr. Alles natürlich noch topsecret!
Zum Abschluss: Wo siehst du Beurer in zehn Jahren?
Ich würde mir wünschen, dass wir die Entwicklung, die wir die letzten zehn Jahre genommen haben, eben weiterführen können. Und noch mehr Endverbraucher uns kennen. Wobei interessanterweise viele Produkte von uns zu Hause haben, nur manchmal gar nicht realisieren, dass es von uns ist. Viele Personenwagen oder Küchenwaagen. Man nimmt es dann gar nicht so recht wahr, dass es von unserer Marke ist. Das heißt, wir wollen eine höhere Markenbekanntheit haben – und das auf der ganzen Welt.
Quellen