24. März 2023, 5:52 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Sie hat bereits mit Beyoncé und Charlie XCX zusammengearbeitet, ging mit Dua Lipa auf Tour und hat als Frontsängerin der Band Chairlift mit dem Song „Brusies“ für einen der größten Ohrwürmer der Y2K-Dekade gesorgt. Doch Caroline Polachek ist als Solokünstlerinnen nur wenigen bekannt. Zeit, das zu ändern! STYLEBOOK traf die 37-Jährige bei ihrem Berlin-Konzert und tauschte sich mit ihr über den Valentinstag, Sperma und Elon Musks Ex-Freundin Grimes aus.
Im Oktober 2019, also vor etwas weniger als vier Jahren, war die Welt noch eine andere. Keine Pandemie, kein Krieg in der Ukraine. Damals veröffentlichte die US-amerikanische Sängerin und Produzentin Caroline Polachek das erste Mal in ihrem Leben ein Album unter ihrem eigenen Namen. Keine Band oder ein Pseudonym, hinter dem sie ihre Identität anonymisieren konnte. Die Platte trug den Titel „Pang“, so wie das Geräusch, das eine Pistole bei einem Schuss von sich gibt.
Caroline Polacheck arbeitete schon mit einigen Größen des Musik-Business zusammen
Das Album war auch ein lauter Knall: Mit dem Song „So Hot You’re Hurting My Feelings“ kaperte die gebürtige New Yorkerin die Spotify-Playlisten. Dabei war die 37-Jährige schon zu diesem Zeitpunkt für die Popwelt keine Unbekannte: Als Sängerin der Avantgarde-Popband Chairlift landete sie im Jahr 2008 dank kultiger Apple-Werbung einen Riesenhit. Doch die Band trennte sich. Nun war Polachek nicht mehr die „Sängerin von …“, sondern auf sich allein gestellt.
Mit Erfolg. Sie etablierte sich als eine der vielseitigsten Künstlerinnen und Produzentinnen der Musikwelt, schrieb Songs für Beyoncé oder Travis Scott. Polachek schien mit „Pang“ endlich da angekommen zu sein, was sich viele wünschen: ganz weit oben. Doch dann kam Corona – und die anstehende Tour zu ihrem Album fiel ins Wasser. Noch dazu musste die Sängerin einen schweren Schicksalsschlag verkraften: Ihr Vater starb 2020 an den Folgen einer Covid-19-Infektion. Zurück auf den Boden der Tatsachen.
Nun, am 14. Februar 2023, kehrte Polachek wieder zurück in den Popzirkus. An diesem Tag erschien ihr Album „Desire I Want to Turn Into You“, welches dank viralen TikTok-Hit „Welcome To My Island“ bereits vorab viele Fans gewinnen konnte – und auch die Kritiker lieben das Werk. Die ungewöhnliche Mischung aus Pop, Flamenco-Elementen, Chormusik und Rap-Einlagen trifft den Zeitgeist – vielleicht auch, weil Polachek in den Texten ihrer Songs kein Blatt vor den Mund nimmt und sich immer wieder neu erfindet.
Sängerin liebt das Spannungsfeld zwischen Erwartungen und Verlangen
Was also soll man eine Frau fragen, die eigentlich alles über sich bereits in ihrer Musik preiszugeben scheint? Das haben wir versucht herauszufinden, als wir Caroline Polachek Backstage im Berliner Huxleys kurz vor ihrer Show treffen. Die Sängerin ist erfrischend unaufgeregt und bietet erst mal Tee an. Uns brennt jedoch erst mal eine andere Frage unter den Nägeln:
STYLEBOOK: Wieso veröffentlicht man sein Album ausgerechnet am Valentinstag?
Caroline Polachek: Das Wort „Erwartungen“ trifft es ganz gut – es ist doch ziemlich offensichtlich. Schon im Albumtitel ist von „desire“, also Verlangen, die Rede. Ich bin ein großer Fan der Dichterin Ann Carson, die in ihren Essays häufig auch über Leiden und Fehler schreibt. Ihre Definition davon, wann jemand oder etwas erotisch ist, lautet schlicht, dass eine Grenze vorhanden sein muss. In der Sekunde, in der diese Grenze verschwindet, ist die Situation nicht mehr erotisch.
Somit können auch Liebesbriefe während eines Krieges oder eben auch – ganz offensichtlich – Lingerie als erotisch empfunden werden. Die Imagination kann diese Grenze überwinden, aber der Körper eben nicht. Das macht den Reiz aus. Der Valentinstag ist ein Tag mit riesengroßen Erwartungen: Darum fühlen sich viele nicht so gut an diesem Tag. Vor allen Dingen, wenn man Single ist. Ich wollte mit diesem Spannungsfeld zwischen Erwartungen und Verlangen, aber auch der imaginären Grenze zwischen diesen beiden Punkten spielen. Ich versuche in gewisser Weise, ihr musikalisches Date zu sein!
Im Song „Welcome to my Island” geht es eben auch direkt um dieses „Verlangen“ – hat das eher eine erotische oder mehr eine sehnsüchtige Komponente?
Es ist lustig, dass du „Welcome to My Island“ erwähnst, denn der Song ist wirklich sehr albern – im besten Sinne des Wortes. Er ist wie ein Song aus der Sicht des eigenen Egos. Es ist all einnehmend: Willkommen auf meiner Insel! Du bist meins! Du wirst sie niemals verlassen! Im Großen und Ganzen geht es darum, dass man in seinem eigenen Kopf und seinen eigenen Einstellungen gefangen ist und eher andere Leute seine Denkweisen und Ansichten aufzwingt, statt sich eher selbst auf den anderen einzulassen. Es ist der Beginn einer Reise: Denn in der zweiten Hälfte des Albums geht es eben mehr darum, wie es ist, auf andere zuzugehen.
Aber wir gehen ja alle zunächst von uns aus. Ich habe mich tatsächlich sehr amüsiert, während ich den Song geschrieben habe oder eher, als ich damit fertig war. Denn da wurde mir bewusst: Der Song könnte auch aus der Sicht einer Eizelle geschrieben sein, die Spermien anlocken will. Eizellen sind sehr wählerisch! Sie haben eine Art chemische Barriere, die manche Spermien eben durchlässt und andere nicht. Sobald sie ein Spermium ausgewählt haben, setzen sie es fest! Es ist also eine Ego-Egg-Hymne (lacht). Es ist also in diesem Fall viel eher ein faktisches Verlangen danach, dass jemand sich vollkommen auf unser Ego – oder eben unsere Gene – einlässt.
Frauen sollten einander mehr supporten
Für den Song „Fly To You” hast du mit den beiden Sängerinnen Dido und Grimes zusammengearbeitet – wie war es, auf zwei so unterschiedliche Frauen zu treffen?
Das Lustige ist – sie sind sich eigentlich sehr ähnlich. Auch wenn keiner das erwartet. Du hast aber schon recht: Auf eine Art sind sie sehr verschieden. Grimes ist sehr hoch frequentiert und voller Energie, während Dido sehr beruhigend ist. Aber seltsamerweise hatten sie auch sehr viel gemein. Sie sind beide Mütter, sehr privat und talentiert. Mit ihnen zu arbeiten ist sehr professionell, es ist keine Nebensache. Ich besuchte beide jeweils in ihrem Haus, um den Song aufzunehmen. Es war sehr intim. Nur uns zwei am Computer. Wir hatten intensive Gespräche, viel Spaß, aber konnten trotzdem gleich loslegen und am Song arbeiten. Die Chemie hat einfach gestimmt. Während Grimes mir einen unglaublich starken Cold-Brew-Kaffee servierte, gab es bei Dido Tee mit Ziegenmilch. Zwei unterschiedliche Ansätze, aber es war mit beiden gleichermaßen toll. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Erfahrung machen durfte.
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Aber im Musikbusiness ist es noch immer ungewöhnlich, dass Frauen produzieren und sich untereinander supporten.
Caroline Polachek: Für mich fühlt es sich normal an! Als Künstlerin bin ich sehr technisch versiert. Meine Software und das Equipment müssen eine Einheit bilden. Ich fühle mich vor allem dann wohl, wenn ich mit anderen Frauen zusammenarbeite, die das genauso fühlen. Ich habe zum Glück noch keine schlechten Erfahrungen gemacht und sehe mich nicht als Teil dieser männlich dominierten Musikindustrie. Mein Team ist unglaublich und irgendwie habe ich das Gefühl, dass jeder, mit dem ich zusammenarbeite, eine Ausnahme von der Regel ist. Bei uns arbeiten sehr viele Frauen in der Crew, ich habe noch nie Sexismus erlebt. Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich und eher die Ausnahme ist.
Wie ist es so auf Tour zu sein – schafft man es da, überhaupt etwas von den Orten zu sehen, die man bereist? Das ist bestimmt eine andere Erfahrung, oder?
Damals war es richtig verrückt und das hat sich auch auf das Album ausgewirkt. Ich hatte diese verrückten Tage, als ich 2022 als Vorband von Dua Lipa aufgetreten bin: Mein Co-Produzent Danny L Harle ist dann teilweise dazugestoßen. Wir sind um neun Uhr morgens im Bus aufgewacht, haben einen Kaffee getrunken und waren jeden Tag in einem anderen Studio, um mein Album aufzunehmen. Das ging dann bis circa fünf Uhr am Nachmittag, dann ging es ab in die Arena, ich habe mich geschminkt und mein Bühnenoutfit angezogen und einfach abgeliefert.
Ich habe die Sonne nicht gesehen. Ich hatte kein wirkliches Leben. Das war hart, ich habe mich gefragt: Worüber soll ich Songs schreiben? Und dann habe ich ausgerechnet in dieser Zeit meine besten Songs geschrieben. Vielleicht, weil ich nicht nur gegen die Welt rebellieren wollte, sondern in mein tiefstes Inneres gehen musste. Ich habe damals sehr an mir gezweifelt. Es ist lustig, dass man im Moment selbst sein Handeln oft gar nicht richtig bewerten kann.
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Kunst und Schönheit lassen sich laut Caroline Polachek nicht trennen
In deiner Musik spielen Ästhetik und Verwandlung eine wichtige Rolle – wie wichtig ist dir Schönheit?
Extrem wichtig, vor allem in der Kunst. Ich glaube, es ist irgendwie der Grund, warum ich lebe. Ich fühlte mich schon immer angezogen von eher melancholischer Musik. Das bedeutet für mich Schönheit. Es ist eine erhabene Melange aus Mysteriösem, Schönen und Traurigem. Ich mag diese Gegensätze. Das ist auch die Essenz meines Handelns. Das spürt man bei so vielen Künstlern: Bei Lana del Rey, die meisten guten Songs von Drake sind so. Als ich mit 15 Sigur Rós entdeckt habe, war das eine richtige Erleuchtung für mich. Diese Dynamik, das Rätselhafte in ihrer Musik – und das alles ohne Text! Dasselbe mit Björk! So etwas fasziniert mich.
„Desire I Want To Turn Into You” ist dein insgesamt siebtes Studioalbum, aber erst das zweite ohne einen Künstlernamen. Fühlt es sich anders ein, ein Album unter seinem eigenen Namen zu veröffentlichen?
Hmm, lass es mich so sagen – ich weiß gar nicht so wirklich, wer ich eigentlich bin. Insofern ist jedes Album, das ich jemals gemacht habe, einfach eine Art herauszufinden, wer ich eigentlich bin. Ich fühle mich nicht mehr oder weniger verletzlich, jetzt, wo ich als Caroline Polachek auftrete.
Du liebst es aber schon, dich zu verwandeln, oder? Zumindest könnte man den Eindruck gewinnen, wenn man sich das Artwork deiner Platten anschaut.
Ja, ich genieße das richtig! In Sachen Style möchte ich das Spektrum zwischen Alltagslook und dem Bond-Girl aus „Golden Eye“ vollkommen ausschöpfen! Auf dem Albumcover trage ich ein Kleid, dass ich tatsächlich so auch im ganz normalen Leben anziehe. Es hat sogar noch Kaffeeflecken! Ich will damit zeigen, wie theatralisch auch unser Alltag sein kann. Ich mag es, die Kunstwelt und das reale Leben aufeinanderprallen zu lassen. Girls love drama!
Quelle
- Instagram von Caroline Polacheck