1. Februar 2024, 16:36 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Lästern ist ein Attribut, welches gern Frauen zugeschrieben wird. Kaum sprechen Frauen über eine dritte Person, wird diese Unterhaltung als Lästern betitelt – oder bekommt sogar noch etwas abwertende Ausdrücke verliehen: Gackern, Tratschen, Schwätzen. Ist das wirklich ein Frauen-Ding oder nur ein weiteres unangenehmes Vorurteil? STYLEBOOK hat darüber mit Psychotherapeutin Miriam Hoff gesprochen.
Lästern ist menschlich, nicht weiblich, denn es kommt vielmehr auf die Definition an. Wenn also Frauen aus Erlebnissen berichten, an denen auch Dritte beteiligt waren, fällt das gern unter den Begriff „lästern“. Viel besser noch: gackern, schwätzen. Bei Männern ist das seltener der Fall. Doch woran liegt das? Die letzten Golden Globes waren das beste Beispiel dafür: Bei einer Unterbrechung der Preisverleihung zoomt die Kamera an Selena Gomez und Taylor Swift darauf. Die beiden Sängerinnen unterhalten sich mit ausgeprägter Mimik. Plötzlich ist das Internet voll und alle sind sich einig: Die Frauen lästern. Was ist denn mit den anderen Gesprächen im Saal?
Vorurteil: alle Frauen lästern?
Lästern, nimmt man die genaue Definition, ist eine hässliche Eigenschaft. Es verstecken sich negative Energien, wenn sich Menschen zusammensetzen, um abfällig über andere Menschen zu sprechen und ihren Groll hinter dem Rücken anderer zu präsentieren. Schließlich hebt es keine Person auf ein Podest, nur weil sie schlecht über eine andere Person spricht. Dennoch gibt es Unterschiede zwischen Erzählungen und Lästereien.
Aber wieso wird das Lästern meist nur Frauen zugeschrieben? „Während bei Männern offene Aggression immer noch eher als männlich erlaubt gesehen wird, wird von Frauen erwartet, ihre negativen Gefühle nach außen hin eher zu unterdrücken“, erklärt Psychotherapeutin Miriam Hoff. „Sie neigen dann entweder zu autoaggressivem, also selbstverletzendem Verhalten, oder aber leiten Wut, Ärger, Frustration, Eifersucht, Neid oder andere von der Gesellschaft unerwünschte Gefühle in weniger sichtbare Kanäle, wie zum Beispiel Lästern – um“, so die Psychotherapeutin.
Männer gehen offen mit Konflikten um – Frauen lästern?
Männer lassen ihre Wut raus in die Welt, manchmal sogar ungefiltert. Bei Frauen gilt ein solches Verhalten noch immer als tabu: „Während Männer sich durchaus offen beschimpfen und beleidigen, oder es sogar vorwiegend in der Jugend zu Schlägereien kommt, also konfrontativ agieren, wird das bei Mädchen und Frauen oft noch als unweiblich und verpönt gesehen“.
Das führt dazu, dass Frauen ihre Emotionen unterdrücken: „Von Frauen wird die Kontrolle ihrer Emotionen erwartet, gerade diese Tatsache führt aber oft zu einem emotionalen Krieg hinter verschlossenen Türen – der oft schlimmer, genauer gesagt verletzender ist, als offen ausgetragene Konflikte“. Das erlebt die Psychotherapeutin auch in ihrer Praxis: „In meiner Praxis häufen sich Mobbingfälle – hinzukommt das Cybermobbing – einige werden darüber depressiv, entwickeln Angststörungen oder sogar suizidale Gedanken, dies ist die Spitze von scheinbar ‚harmlosen Lästereien‘“, erzählt sie gegenüber STYLEBOOK.
Lästern liegt in der Geschichte weit zurück
Haben Frauen denn schon immer „mehr“ gelästert? Will man diese Frage beantworten, muss man zurückblicken – in das 19. Jahrhundert. Damals waren Frauen überwiegend zu Hause als Hausfrau tätig. Dementsprechend bekamen sie viel mehr Einblicke in die Privatsphäre ihrer Mitmenschen, als ihre Männer es taten, und hatten somit auch wesentlich mehr Gesprächsstoff, was sie zum „lästern“ bewegte.
Nun leben wir nicht mehr im 19. Jahrhundert. Während man früher von Tür zu Tür laufen musste und sich für die neusten Informationen verabreden und auszutauschen, greift man heute einfach zum Smartphone. Entweder nutzt man Google, die sozialen Netzwerke, Foren oder Freunde von Freunden, um Informationen herauszufinden. Auch für Sternchen-News muss man nicht auch das wöchentliche Blättchen warten. Geteilt werden die Informationen trotzdem untereinander.
Männer interessieren sich von Natur aus nicht so sehr für das Leben anderer, wie es Frauen tun. Kommt der Mann beispielsweise von einem Abend mit seinen Freunden wieder, möchte die Freundin alles wissen: Was gibt es Neues? Der Mann hat meist keine Ahnung. Für Frauen unvorstellbar. Dabei sind Frauen nur neugieriger, interessieren sich mehr für andere. Was sie auch zum Lästern führen kann.
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Worüber wird gelästert?
Worüber gelästert wird, ist unterschiedlich. Doch überwiegend sind die Themen geprägt von der eigenen Unsicherheit: „Frauen sind generell sehr kritisch mit anderen Frauen, weil sie eben oftmals auch an sich selbst einen sehr hohen kritischen Anspruch haben – während Männer über kleine subjektive wahrgenommen Unzulänglichkeiten hinwegsehen, sehen Frauen diese im Vergrößerungsglas“. Laut der Expertin ist das oftmals von einer eigenen Sozialisation geprägt, die ein perfektionistisches, unerreichbares Frauenbild propagiert.
Daher reden Frauen hinterrücks öfter über eigene Unsicherheiten: „Häufig sind es auch Themen, die eigene wunde Punkte triggern, so ist die enge Jeans oder vegane Ernährung der Kollegin manchmal ein schmerzhafter Hinweis auf zum Beispiel die eigene fehlende Motivation zu regelmäßigem Sport oder gesunder Ernährung. Dann ist es leichter, die andere zu kritisieren, als an sich selbst zu arbeiten und sich mit den eigenen blinden Flecken oder Defiziten auseinanderzusetzen und hilft bei der Verdrängung eigener Baustellen“.
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Macht Lästern gesund und glücklich?
Es gibt aber auch Studien, die sagen, dass Lästern glücklich und auch gesund sei. Andere wiederum sprechen von schlechten Energien, die beim Lästern hinausgetragen werden. Sitzt man also mit einer Person zusammen, die den ganzen Abend nur über das Leben anderer spricht, kann man gut davon ausgehen, dass die Person das auch tut, wenn man selbst nicht anwesend ist. Keine Eigenschaft, die man gern im Freundeskreis findet. Aber wieso berichten Studien dann, Lästern würde das Wohlbefinden steigern? Liegt es daran, dass wir Menschen uns kurzfristig besser fühlen, wenn wir andere diskreditieren?
„Harmloses Tratschen hat auch positive Seiten, so verstärkt es auch das ‚Wir Gefühl‘. Es dient dem Gruppenzusammenhalt in Abgrenzung gegenüber einer anderen Gruppe – solange die ‚Opfer‘ davon nichts mitbekommen, oder eben einer anderen Gruppe angehören, kann das auch identitätsstiftend sein“, so Miriam Hoff. Denn: „Kurzfristig mag Lästern zu einer Entlastung führen durch Zugehörigkeit und Selbsterhöhung bzw. Ablenkung von eigenen Defiziten. Durch Lästern wird die Bindung zu anderen gestärkt und dadurch wird das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet, was wiederum glücklich macht“, erklärt sie weiter.
Aber Lästern kann auch innerhalb einer Gruppe zur Entfernung führen, denn es kann eine wahre Freundschaft auch zerstören, statt sie zu festigen: „Langfristig stellen sich die Lästernden untereinander unvermeidlich die Frage, ob in ihrer Abwesenheit ebenfalls über sie gelästert wird. Die lästernde Person bleibt uns in jedem Fall als wenig vertrauenswürdig in Erinnerung und das hinterlässt auch einen Stachel in der Freundschaft. Und führt dann mittel- oder langfristig zu gegenseitigem Misstrauen und Rückzug. Wahre Freundschaft wird dadurch jedenfalls eher verhindert als gefördert“.
Weitere spannende Erkenntnisse finden Sie auch im neuen Workshop von Miriam Hoff. ‚Die anderen und Ich‘, thematisiert Inhalte wie: Selbstwertprobleme, Angst vor Ausgrenzung, aber auch das Erlernen von Social Skills.
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Ist Lästern wirklich so schlimm?
Nun lästern Frauen einfach etwas lieber, aus verschiedenen Gründen. Ist das jedoch wirklich so negativ, wie es klingt? „Lästern per se ist wahrscheinlich nicht vermeidbar – jede von uns hat es schon mehrfach getan und wurde schon mehrfach ‚Opfer‘. Aber wir haben immer die Wahl zu entscheiden, wie weit wir gehen und vor allem uns zu fragen, würde ich gern, dass so über mich gesprochen wird, ab welchem Punkt wird eine Grenze überschritten? Denn eins haben wir mit fortschreitendem Alter sicher gelernt: wirkliche Verbundenheit entsteht durch Zusammenhalt, ehrlich gemeinte Komplimente und der Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können – nicht über Perfektionismus, Ausgrenzung und Abwertung!“