11. Oktober 2022, 15:43 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Mandy Capristo steht fast ihr halbes Leben im Rampenlicht. Somit kennt sich die Sängerin nur zu gut auch mit den Schattenseiten der Musikbranche aus. Jahrelang hielt sie dafür ihre professionelle Fassade aufrecht – bis es nicht mehr ging. 2021 war für die 32-Jährige ein Wendepunkt erreicht: ausgelöst durch eine einschneidende Erfahrung und einer Panikattacke. Wie sie ihr Leben wieder selbstbestimmt in die Hand genommen hat, warum Therapie ihr geholfen hat und noch vieles mehr, lesen Sie hier im Interview bei STYLEBOOK.
Mandy Capristo steht offen zu ihren Panikattacken und will mit ihren Erfahrungen Betroffenen Mut machen, einen gesellschaftlichen Diskurs anregen und das Thema endgültig enttabuisieren. Anlässlich des Launches des STYLEBOOK Beauty Impact Reports 2022 las die Sängerin aus ihrem neuen Buch „An erster Stelle bin ich Mensch“ vor. Dabei beantwortete sie vor den rund 60 geladenen Gästen mutig Fragen rund um ihr seelisches Wohlbefinden.
Wie es zu der ersten Panikattacke von Mandy Capristo kam
Als Auslöser der Panikattacken bezeichnete Mandy Capristo einen Vorfall vor einem Live-Auftritt. Die Sängerin blieb kurz vorher fast zwei Stunden in einem Aufzug stecken – für Mandy das schlimmste, was sie sich hätte vorstellen können, denn die 32-Jährige kann enge Räume von Kind auf nicht leiden. In dem Moment war sie sich jedoch noch nicht bewusst, dass dies etwas Starkes in ihr verändern würde.
Der schlimmste Moment sollte aber erst folgen: Bereits zu Beginn der Abendveranstaltung „Goldene Henne“ am 17. September 2021 soll sich die Ex-„Monrose“-Sängerin unwohl gefühlt haben. Was niemand in diesem Moment ahnte: Mandy Capristo ging es schon seit mehreren Monaten schlecht. Als Vollprofi wollte sich die Musikerin jedoch nichts anmerken lassen und schritt wie gewohnt über den Roten Teppich. Die Aufnahmen jagen der Mandy auch heute noch einen echten Schrecken ein. „Ich sehe eine sehr, sehr dünne Frau. Viel zu dünn. Ich verstehe nicht, wie es mir keiner ansehen konnte, wie schlecht es mir wirklich ging!“ Besonders die vielen Komplimente zu ihrem Äußeren machten sie sehr stutzig. Nach ihrem Auftritt hatte Mandy dann „den schlimmsten Moment“ ihres Lebens. Sie konnte nicht mehr und zog die Reißleine.
Nach der „Goldenen Henne“ musste Mandy Capristo eine Pause einlegen
STYLEBOOK: Du sagst, du warst fassungslos, dass niemand gemerkt hatte, wie es dir wirklich ging vor diesem Auftritt. Eine Interviewerin lobte dein heißes Outfit und fragte, ob du mehr Sport gemacht hast. Was denkst du über solche Fragen?
Mandy Capristo: Ich finde, wir sollten uns viel mehr Gedanken dazu machen, dass alles auch nur eine Fassade sein kann. Es gibt nicht das eine „the perfect life“. Jeder durchlebt auch dunklere Momente. Vielleicht wollte die Frau mir auch nur ein Kompliment zu meinem Äußeren machen und hätte mir in einem privaten Moment gesagt: Hey, du siehst aber ganz schön dünn aus. Alles gut? Wir sollten trotzdem ein wenig mehr reflektieren.
Was Mandy Capristo in ihrem Leben seit den Panikattacken verändert hat
Du hast uns von diesem einschneidenden Moment deines Lebens erzählt. Das war inzwischen vor gut einem Jahr. Wie hast du das letzte Jahr verbracht? Was hast du geändert und wie geht es dir heute?
Ich habe weiterhin mit einem Experten an meinen Panikattacken gearbeitet und habe mich bewusst dazu entschlossen, mein für mich ungesundes Umfeld zu verlassen. Er hat mich dazu gebracht, mehr nach meinen Werten und meinem Lebensideal zu leben – und die Dinge so zu machen, wie ich es sie als richtig empfinde. Auch losgelöst von erfolgreich oder nicht erfolgreich. Ich bin inzwischen einfach viel liebevoller mit mir, so wie ich mit meinen besten Freundinnen bin. Und das ist schön, denn so war das sicherlich nicht immer. Ich dachte immer, dass ich die stärkste Frau im Raum sein muss. Heute weiß ich: Dies stimmt so gar nicht.
Toll, dass du dich selbst priorisierst und mehr zu dir selbst gefunden hast. Trotzdem hatten ja insbesondere die Medien ein sehr differierendes Image zu deinem wahren Ich aufgebaut. Wie sehr beeinflusst dich als Mensch das Bild, das Medien von dir aufgebaut haben? Und arbeitest du konkret dagegen an?
Ich glaube, ich muss einen kleinen Schritt zurückgehen in die Vergangenheit. Ich bin sehr, sehr früh in die Branche gekommen. Mit gerade 16 – ich kenne es nur erwachsen zu werden in der Öffentlichkeit und von dieser dauerhaft bewertet zu werden. Dementsprechend war ich schon immer sehr im Außen … Ich habe immer sehr viel darauf gehört, was die ganzen Menschen sagen.
„Ich habe mich selbst ein wenig verloren!“
An einem bestimmten Punkt habe ich dann die Mandy, die gestartet ist, ein wenig zur Seite gepackt und die professionelle Mandy vor mich gestellt. Eigentlich nur zum Selbstschutz und es hat einiges abgeblockt. Dadurch war ich recht unnahbar – und auf keinen Fall die Mandy, mit der man abends auf dem Sofa sitzt. Das habe ich aber bewusst gemacht: Ich bin ein sensibler Mensch, mir gehen Dinge nah. Und gerade wenn man so jung ist und unter so einem Druck steht, war dies meine Art „Überlebensinstinkt“. Aber irgendwann hatte ich da einfach keinen Bock mehr drauf, ich konnte das nicht mehr. Denn Ich bin, wie Ich bin. Zurückziehen und Abstand von der Branche tat mir da einfach ganz gut. So bin ich wieder an mein wahres Ich herangerückt.
So geht Mandy Capristo heute mit Panikattacken um
Hast du auch heute noch Panikattacken? Wenn ja, wie gehst du damit um?
Nein, ich habe auf jeden Fall nicht mehr diese extremen Panikattacken. Ich habe dafür aber auch einiges getan – es war definitiv kein einfacher Weg! Ich habe Momente, in denen ich spüre, jetzt muss ich aufpassen. Weil mein Naturell ist, sich einfach immer mehr draufzuladen. Aber ich habe gelernt mich nicht mehr in das Gefühl hineinzusteigern und wende die zahlreichen Methoden an, die ich von meiner Therapeutin gelernt habe.
Nachdem du dich intensiv mit deinem Inneren beschäftigt hast, möchtest du es jetzt nach Außen kehren. Wie bist du damit klargekommen? Wie hast du angefangen, das Problem zu lösen?
Als ich die Anfrage zu dem Buch bekommen habe, habe ich es oft immer wieder nach hinten geschoben. Weil ich dann einfach realisiert habe, dass ich noch gar nicht ready bin, darüber zu schreiben. Ich musste erst einmal genug Erfahrung für mich sammeln, um dann nach Außen gehen zu können. Als ich an diesem schwierigsten Punkt meines Lebens war, habe ich alles aufgesaugt, was ich nur finden konnte: Ich habe mich Bücher gekauft, Ted-Talks angesehen, Experten befragt. Ich habe wirklich jedes Detail aufgesaugt!
„Über Panikattacken und mentale Gesundheit zu sprechen, hilft uns allen!“
Man merkt, wie schwer es dir gefallen ist, das vorzulesen. Wie fühlst du dich, jetzt, nachdem du so offen über deine Psyche gesprochen hast?
Ich fühle mich richtig befreit. Ich habe auch schon positive Resonanzen von Lesern bekommen. Das Vorlesen macht definitiv etwas mit einem: Ich bin jedoch froh, dass ich so ehrlich war.
Woher hast du den Mut genommen, so offen darüber zu sprechen?
Ich habe mir ja auch immer Vorbilder gesucht und gewünscht. Und genau deswegen wusste ich, dass wenn ich mich dazu entscheide ein Buch zu schreiben, muss es einfach richtig ehrlich sein. Besonders, wenn man die Möglichkeit hat, dass einem die Menschen zuhören. Dann gebe ich gerne meine Stimme allen Betroffenen da draußen, die sich freuen, endlich gehört zu werden.
Was hat dir in den schwierigsten Momenten am meisten geholfen?
Mein Glaube und meine Hoffnung. Ich habe mir stets gesagt, dass ich nicht umsonst in diesem Moment gelandet bin. Ich glaube fest daran, dass es in allem einen Sinn gibt. Es geht nicht nur um mein Leben und meine Geschichte, sondern darum, meine Stimme zu nutzen. Und dem ein oder anderen da draußen meine Stimme zu geben. Zusätzlich habe mich viel mit mir selbst auseinandergesetzt, reflektiert und weiß jetzt, welche Frau ich sein möchte und welche Werte mir im Leben wichtig sind. Meine Top 3: Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Respekt.
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Mandy Capristo möchte Betroffenen eine Stimme geben
Was möchtest du anderen Betroffenen mitgeben?
Sucht euch Hilfe und einen Experten. Geht bitte mit der Psyche um, wie mit dem restlichen Körper. Bei einem gebrochenen Bein geht man zu einem Facharzt und genauso alltäglich und ohne Scham sollte man Rat von Experten suchen, wenn es einem mental einfach nicht gut geht – ganz ohne Scham!
Zudem ist es mir auch wichtig zu sagen, dass ich mir immer vor Augen führe, dass ich die Veränderung sein kann, die man sich selbst wünscht. Und deswegen habe ich mich bewusst dazu entschieden, über meine Panikattacken zu sprechen. Ehrlich zu sein und das Thema endlich zu enttabuisieren. Leider ist es oft noch mit Scham verbunden. Deswegen habe ich auch parallel meine Firma „Felice“ gegründet, die sich für mentale Gesundheit einsetzt. Dabei habe ich so viel gelernt und sehe, dass auch an Schulen noch viel zu Mental Health gemacht werden muss.
Quelle
- An erster Stelle bin ich Mensch, Mandy Capristo