17. Juli 2023, 15:23 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Seitdem Marcel Ostertag 2007 seine erste eigene Kollektion zeigte, hat sich der 44-Jährige einen festen Platz an der Spitze der deutschen Designer erarbeitet – und das zurecht! STYLEBOOK sprach mit dem Modeschöpfer über seine neueste Prêt-à-porter-Kollektion, was Mode für ihn bedeutet und was ihn nach all den Jahren stets inspiriert.
Mitten im Berliner Fashion Week-Trubel konnten wir Designer Marcel Ostertag für ein kurzes Interview abfangen. Trotz durchgetaktetem Termin-Kalender, sieht man ihm an, wie sein Herz für Fashion und die schillernde Modewelt schlägt. „Nach der Fashion Week ist vor der Fashion Week! Mein erster freier Tag ist Ende Juli – bis dahin muss ich noch durchrödeln. Wir schieben jetzt schon die neue Winterkollektion an (Schnitte stehen schon), beantworten die ganzen Anfragen, machen zahlreiche Kundentermine. Es ist wie ein Motor, der einfach immer weitergeht!“ Dabei leuchten seine Augen vor Begeisterung.
Inspiration für seine neue Kollektion ist dabei ein Regenbogen. Für den Designer eine Metapher: eine Brücke zwischen Realität und Traumwelt. In diese fantastische Welt will er die Trägerinnen entführen, in der Hoffnung, dabei negative Erlebnisse und Gedanken zurückzulassen. Und genau dieses positive Mindset steht nicht nur für sein Design, sondern auch den Menschen Marcel Ostertag.
„Denn ich möchte nicht nur, dass meine Kundinnen gesehen, sondern auch gehört werden!“
STYLEBOOK: Congrats zu deiner Kollektion! Was denkst du, wird dein Bestseller?
Marcel Ostertag: Tatsächlich denke ich, der bunte Anzug, den Martina getragen hat. Den haben schon ganz viele angefragt! Das weich fließende Kleid ist auch mit ganz oben – und tatsächlich der orangefarbene Look mit den Glöckchen. Denn ich möchte nicht nur, dass meine Kundinnen gesehen, sondern auch gehört werden.
„Die „Somewhere over the Rainbow“ Kollektion ist farbenfroh und macht gute Laune. Und genau hier unterscheidet sich der Designer auch oftmals von seinen Kollegen und Kolleginnen, denn der Spaß aller Beteiligten steht im Vordergrund. Schwarz findet man kaum und wenn, dann mit einem transparenten Twist. Bei Ostertag kommt stattdessen ein Farbspektakel auf Anzügen, schwingenden Kleidern & Blusen zur Geltung. Seinem favorisierten Schnitt aus den 70er- und 80er-Jahren bleibt er treu, kein großes Experiment ist hier zu sehen, aber das ist auch nicht dringend erwünscht. Treu dem Motto: Mode macht Spaß!“– Rebecca Stringa, Redaktionsleitung STYLEBOOK
Orange ist ja gerade auch eine richtige Trendfarbe.
Ich liebe Orange! Die Farbe ist seit Jahren Bestandteil meiner Kollektionen. Sie strahlt richtig Lebensenergie aus!
Die diesjährige Berliner Fashion Week steht unter dem Zeichen der Nachhaltigkeit. Ist auch dir eine Art Nachhaltigkeitskonzept wichtig?
Nachhaltigkeit ist uns sehr, sehr wichtig. Es geht beim Stoffeinkauf und den Produktionsstätten los: Es wird alles in Deutschland, Polen und Italien produziert. Wir verwenden viele Naturstoffe und recyceltes Polyester. Sollte in der vorherigen Kollektion ein unifarbener Stoff noch übrig sein, dann bedrucken wir diesen für die nächste Saison.
Ich habe zwei eigene Stores, einen Online-Shop und mache on top pro Saison meist 6–10 Pop-up-Stores in unterschiedlichen Städten. Wir haben eine tolle Fanbase an Endverbraucherinnen und ich kenne meine Pappenheimer schon ein bisschen. Trotz allem gibt es kein Kollektionsstück, was du heute auf dem Laufsteg gesehen hast, mehr als zehnmal. Wenn ich dann auf die Masse gehe, kommen meine Kooperationspartner mit ins Spiel.
„Nachhaltigkeit ist auch Zeitlosigkeit“
Und ich nehme auch meine Kunden, immer an die Hand und versuche ihnen zu erklären, wie nachhaltiger Konsum funktioniert. Wenn man sich etwas Hochwertigeres kauft, das länger hält, das mehr kostet – das sortiert man auch nicht so schnell aus! Wenn man sparen muss, um sich etwas zu gönnen, das werden meist die Lieblingsstücke. Die mit uns Geschichten erleben, und die werden auch keine Schrankleichen oder landen auf dem Müll. Fast Fashion ist austauschbar, geht schneller kaputt und die wird ganz oft entsorgt.
Ich erinnere mich noch an die ersten Teile von Zara, die konnte man nach einmal Tragen direkt wieder entsorgen. Das möchte ich für meine Kleidung eben nicht. Für mich ist der wichtige Ansatz bei Nachhaltigkeit Zeitlosigkeit! Mode, die nur trendaffin arbeitet, die kommt und geht. Deswegen arbeite ich gerne mit der 70er- und 80er-Silhouette, weil die immer da ist. Und ich habe jetzt noch Kundinnen, die aus meiner ersten Kollektion von 2007 Stücke auftragen.
Würdest du eine Kooperation mit einem Fast-Fashion-Unternehmen denn komplett ausschließen?
Ich habe zwei große Partner: HSE und Peter Hahn. Aber hier lege ich auch Wert auf Limitierungen. Bei Hahn sind es maximal 200 Stücke pro Modell, bei HSE 200 bis 500. Und auch hier lege ich großen Wert auf Stoffe und Nachhaltigkeit. Macht bei Collabs die Augen auf: Was kann ich entwerfen, das Beständigkeit hat und ganz lange mit uns durch Leben gehen kann? So designe ich auch im ersten Schritt alle meine Konzepte.
Woher nimmst du eigentlich die ganze Inspiration?
Menschen, Musik und auch Mutter Natur. Die ist für mich die allergrößte Inspiration. Die Struktur, die Farben, die Muster, Flora und Fauna. Auch die Tiere! Aber „Mother Earth“ ist für mich seit Jahren Nummer eins. Ich schaue mir super gerne alte Blumenbücher an. Ich war damals auch am Saint Martins College of Art and Design immer in der Bibliothek – da habe ich mich wochenlang in alten Büchern verfangen, wo noch mit Hand Blumen skizziert wurden.
Lass uns über deine Beauty-Looks heute sprechen. Heute waren viele schwarze, monochrome Augen-Looks und kaum Lippe zu sehen.
Genau, wir hatten sexy Augen und wenig Lippe. Das Auge war extrem, aber ich wollte dem ganzen farbenfrohen Thema noch etwas Toughes mitgeben, damit sich die Frauen eben auch sexy fühlen. Ich habe vorher immer ein Moodboard, auf dem ich Haar- und Make-up-Looks sammle. Wir hatten heute z. B. zwei Haarlooks auf dem Runway: Wet Look und offene, glatte Haare. Das Beauty-Styling muss einfach die Kollektion unterstreichen und nicht aushebeln. Etwas ganz Großes würde die Kollektion schlucken. Ich achte zudem auch sehr auf den einfachen, easy-to-wear Charakter. Es ist bei mir immer natürlich: kaum Hochsteckfrisuren, Extensions oder Haarteile. Einfach dieses Zu-Hause-selber-nachmachen, das mag ich!
Du hast ja auch mehrere GNTM-Kandidatinnen auf dem Laufsteg. Wie habt ihr euch gefunden?
Ich bin jemand, der möchte seine Models immer selbst finden. GNTM verfolge ich unter anderem ja auch, weil ich oft dabei gewesen bin. Und da gibt es immer ein paar Mädels, die ich wirklich wahnsinnig gut finde. Ich buche nur Mädchen, bei denen ich wirklich dahinterstehen kann. Selma z. B. hat ein Million-Dollar-Smile und Gesicht, die kommt rein und hat eine positive Energie. Das Fitting mit ihr war auch super unkompliziert. Zudem ist es ja schön, den Werdegang der Mädels nachzuverfolgen. Lotte hat mit 15 eine meiner Shows gemacht und ist dann groß entdeckt worden – die läuft mittlerweile seitdem sie 18 ist Haute Couture in Paris. Und ich halte auch mit den Models teilweise schon jahrelang Kontakt. Manche Mädels sind schon 20 Shows für mich gelaufen.
Was designst du denn lieber: Frauen- oder Männer-Mode?
Bei Frauen kann ich mich einfach mehr ausleben. Deswegen finde ich da den Design-Ansatz spannender. Bei Männern bin ich auch ein wenig wilder geworden, weil sich da die Kundschaft verändert. Aber Männer brauchen immer etwas Praktisches dabei! Reißverschluss, Innentasche etc. Frauen sind aber einfach die intensivere Klientel, die es einfach noch mehr lebt. Sie fühlen es mehr, die Männer sagen ‘Cool!‘ und gehen dann wieder. Bei Frauen stecken mehr Emotionen dahinter, deswegen gefällt es mir besser.
Upcycling, Transparenz, Y2K, … Die Highlights der Berlin Fashion Week 2024
Drittplatzierte im STYLEBOOK-Interview GNTM-Soulin: »Der Sieg hätte meine Modelkarriere nicht großartig verändert
STYLEBOOK-Interview QVC-Star Steffen Schraut: „Ein Minirock ist für mich ein absoluter Mode-Fauxpas“
»Die Neunziger sind ein Jahrzehnt, das ich lieber aus meinem Gedächtnis streichen möchte
Gibt es eigentlich bestimmte Modetrends, wo du glücklich bist, dass sie wiedergekommen sind und welche, die du in den Mottenschrank stecken möchtest?
Also ich muss sagen, dass die Neunziger, die jetzt wieder so intensiv da sind, ein Jahrzehnt sind, das ich lieber aus meinem Gedächtnis streichen möchte. Wenn ich mir meine Bilder von früher angucke, ich sehe einfach aus wie die jungen Leute jetzt auf der Straße. Es hat sich einfach null weiterentwickelt, es ist eine 1:1-Kopie von damals. Die Buffalos, bauchfrei, die Diesel-Logoschnalle. Ich mag einfach lieber die Jahrzehnte, in denen ich noch nicht aktiv war: die 60er, 70er, 80er. Dann kann ich in Welten eintauchen, die ich nicht selbst mitbekommen habe und mich viel mehr inspirieren lassen.
Sonst kommt es immer auf den Look an, ein Croc-Schuh mit einem coolen Abendkleid kann auch ein Look sein. Es ist immer eine Typsache, wie der Träger oder die Trägerin den eigenen Stil gefunden hat und den nach außen stülpt. Viele Menschen in Deutschland vergessen, dass Mode kommuniziert. Und einfach den Charakter stärken kann. Ich merke, wie viele Kunden bei mir im Laden sagen: ‚Nein, also die Farbe steht mir ja gar nicht‘, es aber seit Jahren nicht mehr probiert haben! Haut und Haare verändern sich und dann steht sie plötzlich in einem pinken Kleid vor mir und sagt: ‘Wow‘. Und dann wächst sie drei Zentimeter, das ist so schön anzusehen.
Auch interessant: Es reicht! Der Y2K-Fashion-Trend sieht einfach nicht gut aus
Du unterstützt stark den Tierschutz, heute setzt ihr einen Fokus auf die Partnerschaft mit der DKMS. Erzähl uns mehr dazu!
Das Karitative liegt uns allen sehr am Herzen, deswegen auch die diesjährige Partnerschaft mit der DKMS. Das werden wir beim nächsten Mal noch größer ausbauen, und jeder bringt nächstes Jahr seine eigene Charity mit. Ich bin extrem im Tierschutz verhaftet, bin Pate von drei Tierheimen in Deutschland und zweien in Portugal. Mein Mann Markus und ich haben auch zwei Chihuahuas aus dem Tierschutz adoptiert und gerettet. Ein wichtiges Thema!
Quelle
- Instagram von Marcel Ostertag