3. Februar 2023, 15:12 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
„Was hattest du an?“, gehört zu den Fragen, die man nach einem sexuellen Übergriff nicht ertragen sollte. Und trotzdem wird sie immer wieder gestellt. Sie ist abwertend, respektlos und völlig am Thema vorbei. In der gleichnamigen Ausstellung wird das sogenannte „Victim Blaming“ nach sexuellen Übergriffen aufgegriffen. STYLEBOOK hat mit Gründerin Emely Unger über die Ausstellung gesprochen.
„Das ist keine sexuelle Belästigung, das ist doch normal!“ Die Macht, die solch aneinandergereihten Worte mit sich bringen, ist den meisten Menschen nicht ansatzweise bewusst. Daher ist es vor allem für die Betroffenen wichtig, dass Menschen sich mehr mit diesen Themen auseinandersetzen und sensibilisiert werden. Zugleich ist es wichtig endlich zu verstehen, dass einzig und alleine der Täter die Schuld an solch einer Tat trägt und niemals die Betroffenen. Ein „Nein“ bedeutet Nein.
Die Wanderausstellung „Was hattest du an?“ rechnet deswegen mit falschen Fragen nach sexuellen Übergriffen ab und klärt gleichzeitig auf. Den Betroffenen subtil eine Mitschuld anzudeuten, ist anmaßend, verletzend und realitätsfern. Mindestens ebenso unangebracht sind vermeintlich versteckte Anschuldigungen wie: „Hast du es denn provoziert?“. All solche Fragen und Behauptungen können das Trauma durch sexualisierte Gewalt intensivieren und demnach verschlimmern. Es ist keineswegs hilfreich oder gar nützlich, die Empfindungen und Erfahrungen dem Gegenüber in solch einer Situation kritisch zu hinterfragen. Betroffene brauchen einen Safe Space. Und weil das Umfeld, das nicht immer schafft, haben Emely und René Unger die Ausstellung „Was hattest du an?“ ins Leben gerufen.
Die Idee zur Ausstellung
Emely ist durch eine Ursprungsausstellung in den USA darauf aufmerksam geworden. Zudem ist sie selbst betroffen und dachte sich beim ersten Anblick sofort: „Wieso macht man sowas nicht bei uns?“ Aus einer anfänglich kleinen Idee, die sie gemeinsam mit ihrem Mann René hatte, entstand dann die Ausstellung „Was hattest du an?“. Und die Dringlichkeit zeigte sich deutlich: „Nachdem wir ursprünglich nur geplant hatten, die Ausstellung einmalig in unserer Heimatstadt Kiel zu zeigen, wurde schnell klar, dass der Bedarf groß und das Interesse riesig ist“, erzählt Emely. Mittlerweile wird die Ausstellung zum vierten Mal gezeigt und den Veranstaltern liegen über 50 Anfragen weiterer Städte vor, denen sie „hoffentlich bald gerecht werden können“.
Eine Ausstellung zu sexuellen Übergriffen und falscher Opferschuld
Besonders für junge Frauen ist eine Ausstellung dieser Art wichtig. Denn unangebrachte Kommentare können im schlimmsten Fall für zukünftiges Stillschweigen sorgen und die Betroffenen verstummen lassen. Das würde zur schrecklichen Folge haben, dass sie solche Vorfälle nicht mehr thematisieren. In diesem Fall sind es die Täter, die dadurch geschützt werden und sich somit unbesiegbar fühlen. Etwas, was dringend zu vermeiden gilt.
Das Ziel ist es, einen Raum zu schaffen und zu sensibilisieren
Die Veranstalter verfolgen das Ziel, die Macht und Intensität der Worte zu verdeutlichen. Aufklärung steht an oberster Stelle. Die Ausstellung liefert Antworten auf Fragen, die Angehörige von Betroffenen haben. Behauptungen werden thematisiert und Kleidungsstücke gezeigt, die Betroffene zum Tatzeitpunkt getragen haben. Das soll verdeutlichen, dass die Kleidung selbstverständlich keine Rolle spielt und es immer und einzig um die fehlende Selbstkontrolle des Täters geht. Zusätzlich bietet die Wanderausstellung eine Art „Safe Space“ für Betroffene von sexuellen Übergriffen und ermöglicht ihnen Unterstützung und Zusammenhalt.
Wer die Ausstellung „Was hattest du an?“ betritt, geht verändert wieder heraus
Emely verriet uns, wie die Reaktionen auf die Ausstellung ausfielen: „Viele Betroffene sind extrem dankbar, dass sie durch unser Projekt merken: Sie sind nicht alleine, die Gedanken, die sie sich machen, haben viele andere auch und vor allem: Sie sind nicht schuld.“ Dennoch kann der Besuch der Ausstellung auch negative Gefühle hervorrufen: „Trotzdem kann ein Besuch in der Ausstellung aufwühlen und nicht selten fließen Tränen. Menschen, die sich ansonsten noch nicht viel mit der Thematik beschäftigt haben, geben wir wichtige Werkzeuge im Umgang mit Betroffenen an die Hand und sie werden nachhaltig sensibilisiert.“ Die Ausstellung lässt Betroffene auch mutig werden und gibt ihnen die Kraft, um über das Thema zu sprechen: „Oft erhalten wir im Nachhinein Feedback, dass sich Betroffene endlich ihren Angehörigen anvertraut haben, Anzeige erstattet haben oder mit einer Hilfsorganisation in Kontakt getreten sind“, erzählt Emely.
Eines ist klar, wer die Ausstellung betritt, geht verändert wieder raus. „Manchmal voller Wut, aber auch einer gehörigen Portion Kraft. Uns schlägt eine große Welle aus Dankbarkeit entgegen, was uns viel bedeutet“.
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Die Stimmung vor Ort
Nach dem ersten Ausstellungstag hat uns Emely die Frage nach der Stimmung vor Ort beantwortet: „Zur Eröffnung der Ausstellung waren wir trotz der Schwere des Themas fast euphorisch“, erzählt sie. „Es ist so wichtig, dass Aktionen dieser Art stattfinden und das Thema endlich Gehör findet. In meinem Eröffnungsvortrag habe ich beschlossen, mich ganz persönlich und emotional zu zeigen. Das war schwer, aber so wichtig, denn viele haben dadurch nochmal eine ganz andere Verbindung zur Thematik aufgebaut.“ Diese Nahbarkeit und Verbundenheit zwischen den Besuchern und der Veranstalterin ist besonders wichtig. „Wenn eine Ausstellung eröffnet wird, ist das immer auch der Startschuss dafür, gewissermaßen Leben zu verändern. Und das spornt uns enorm an.“
Den Gründern ist die Dringlichkeit und die nötige Schärfung des Bewusstseins zu diesem Thema bewusst. Daher wird die Ausstellung auch an anderen Orten stattfinden.
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Die nächsten Termine
Aktuell findet die Ausstellung in Hamburg statt. Die Ausstellung findet vom 31.01. bis einschließlich 23.02.23 auf dem Forschungscampus Bahrenfeld der Uni Hamburg statt. Emely verrät auch schon einige Pläne für der Zukunft: „Im April geht es für uns nach Potsdam (voraussichtlich 10.04. bis 27.04.23). Danach konzentrieren wir uns bewusst auf die Optimierung der Ausstellung. Bisher ist mit dem Transport und dem Aufbau nämlich noch ein riesiger Aufwand verbunden. Da wir das Projekt bisher ausschließlich in unserer Freizeit betreuen, werden wir die Ausstellung nochmal neu konzipieren, sodass sie hoffentlich im nächsten Jahr von den Menschen vor Ort direkt aufgebaut werden kann.“
Quelle
- Die Ausstellung zu sexualisierter Gewalt und falsche Opferschuld, Was hattest du an?