26. Juli 2024, 13:22 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Sicher haben auch Sie bereits vom „Mutterinstinkt“ gehört. Ob man ihn Ihnen andichtet oder ob Sie ihn bei anderen Frauen erkannt haben wollen, in unserer Gesellschaft wird er meist als biologisch gegeben angesehen. Doch das ist er nicht. Im Gegenteil! Es gibt den Mutterinstinkt gar nicht, wie Studien seit Jahrzehnten belegen. Doch was steckt dahinter? Das hat sich Carmen Dörfler für Sie angesehen.
„Sie kümmert sich wirklich gut um ihr Kind. Sie hat einfach einen guten Mutterinstinkt.“ Sicher haben auch Sie bereits häufiger Sätze wie diese gehört oder gesagt. Doch wussten Sie, dass verschiedene Studien belegen, dass es diesen „Mutterinstinkt“ gar nicht gibt? Dennoch ist dieser Mythos tief in unserer Gesellschaft verankert. Wieso das so ist, was wir stattdessen fühlen, wenn wir uns um Kinder kümmern und welchem Zweck der angebliche „Mutterinstinkt“ dienen soll.
Übersicht
Was genau ist der Mutterinstinkt?
Zuerst einmal klären wir den Begriff. Der „Mutterinstinkt“ beschreibt nämlich die Annahme, dass Frauen biologisch programmiert sind, mütterliche Fürsorge zu zeigen und sich daher besser um Kinder kümmern könnten als Männer. Diese Vorstellung wird oft romantisiert und als naturgegeben dargestellt. Insbesondere, wenn es darum geht, die Care-Arbeit aufzuteilen. Doch was steckt wirklich dahinter?
Historisch gesehen hat der „Mutterinstinkt“ seinen Ursprung in der patriarchalen Gesellschaft. Frauen wurden lange Zeit auf die Rolle der Mutter und Hausfrau reduziert. Diese Rollenverteilung diente dazu, Frauen von politischen und wirtschaftlichen Machtpositionen fernzuhalten. Indem man ihnen eine natürliche Eignung für Kindererziehung zuschrieb, rechtfertigte man gleichzeitig ihre Exklusion aus anderen gesellschaftlichen Bereichen.
Das könnte Sie auch interessieren: Frauen in Deutschland leisten rund 44 Prozent unbezahlte Arbeit mehr als Männer
Wissenschaft belegt seit Jahrzehnten Nicht-Existenz von Mutterinstinkt
Studien zeigen, dass der sogenannte „Mutterinstinkt“ keineswegs universell oder biologisch festgelegt ist. Bereits eine Untersuchung der Anthropologin Sarah Blaffer Hrdy Anfang 2000 zeigte, dass mütterliches Verhalten stark von kulturellen und sozialen Faktoren beeinflusst wird. Sie argumentiert, dass mütterliches Verhalten eine Kombination aus biologischen, sozialen und individuellen Faktoren ist und nicht auf einem simplen Instinkt basiert.
Auch knapp 30 Jahre zuvor, 1972, fand eine weitere Studie heraus, dass die Interaktion zwischen Mutter und Kind vielmehr von Lernprozessen und individuellen Erfahrungen geprägt ist als von einem angeborenen Instinkt. Das Wissen darum, dass ein Frauen angeblich angeborener Mutterinstinkt nicht existiert, gibt es also schon lange. Doch warum hält er sich dennoch so hartnäckig?
Warum hält sich der Glaube an den Mutterinstinkt?
Überwiegend wohl, weil der Glaube an einen „Mutterinstinkt“ patriarchale Strukturen unterstützt, indem er Frauen in traditionelle Rollenbilder zwängt. Wenn Frauen als die natürlichen Betreuerinnen von Kindern angesehen werden, fällt es schwerer, diese Arbeit an Männer abzugeben sowie die Eignung und Kompetenz von Frauen in anderen Bereichen zu erkennen. Dies fördert die Vorstellung, dass Frauen primär für die Kindererziehung verantwortlich sind, während Männer sich beruflich verwirklichen können und sollten.
Diese Rollenverteilung hat weitreichende Konsequenzen. Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) übernehmen Frauen in Deutschland immer noch den Großteil der Sorgearbeit, was ihre beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten erheblich einschränkt. Frauen sehen sich oft gezwungen, ihre beruflichen Ambitionen zurückzustellen, um sich um die Familie zu kümmern. Dies führt zu einer ungleichen Verteilung von Chancen und Ressourcen und zementiert bestehende Ungleichheiten.
Oxytocin schlägt Mutterinstinkt
Doch unsere Welt befindet sich im Wandel und so ist es auch höchste Zeit, den Mythos des „Mutterinstinkts“ zu hinterfragen. Jede Frau sollte das Recht haben, ihre Rolle und ihre Identität frei wählen zu können, ohne von angeblich biologischen Vorgaben eingeschränkt zu werden. Indem wir den „Mutterinstinkt“ als kulturelles Konstrukt entlarven, öffnen wir die Tür für eine gerechtere Verteilung von Care-Arbeit und beruflichen Möglichkeiten.
Warum aber bekommen wir oftmals so ein warmes Gefühl, wenn wir Zeit mit Kindern verbringen und warum scheinen wir häufig (nicht immer) auch zu wissen, was die Kleinen brauchen? Das hängt mit dem Hormon Oxytocin zusammen. Dieser auch als „Liebeshormon“ bekannte Stoff wird gerne als Beweis für den Mutterinstinkt herangezogen. Doch Studien der Harvard University sowie einer Forschungsgruppe der Yale University zeigen, dass Oxytocin nicht exklusiv Mütter betrifft, sondern generell soziale Bindungen und Vertrauen fördert, unabhängig vom Geschlecht.
Statt also auf einen nicht existenten Instinkt zu vertrauen, sollten wir uns um Möglichkeiten bemühen, die beide Elternteilen die Möglichkeit gibt, sich kompetent und gleichberechtigt um ihre Kinder zu kümmern. Dies würde nicht nur die Geschlechtergleichheit fördern, sondern auch eine bessere Entwicklung für die Kinder gewährleisten.
Auch interessant: Woher kommt eigentlich unser Problem mit Cellulite? Hint: It’s the Patriarchy!
Schwangerschaft im Gehirn erkennbar
Dennoch gibt es auch neurologische Untersuchungen, die belegen, dass sich das Hirn von Frauen vor und nach einer Schwangerschaft unterscheiden. Außerdem soll es anhand eines MRTs möglich sein, abzuschätzen, wie leicht dieser Person die Bindung zu ihrem Kind fallen könnte. So zitiert Deutschlandfunk Nova die Journalistinnen Annika Rösler und Evelyn Höllrigl Tschaikner, die ein Buch über den angeblichen Mutterinstinkt geschrieben haben.
Demnach durchlaufen Frauen, die ein Kind erwarten, während der Schwangerschaft eine sogenannte „Muttertät“. Diese Muttertät sei, ähnlich der Pubertät, eine Phase der Veränderung. Einen angeborenen Mutterinstinkt bestätige das jedoch nicht. So verlaufe diese Phase nämlich bei jeder Frau unterschiedlich und vermutlich spielen auch äußere Einflüsse eine große Rolle.
Mythen im Check Was darf ich als werdende Mutter in der Schwangerschaft essen?
Expertin erklärt Kann man am Aussehen von Schwangeren wirklich das Geschlecht des Babys erkennen?
Expertin klärt auf Die häufigsten Mythen über das Stillen
Fazit: Mutterinstinkt ist erlernt und kulturell geprägt
Der „Mutterinstinkt“ ist also ein Mythos, über den es schon jahrzehntelang wissenschaftliche Belege gibt. Dennoch wird er immer wieder herangezogen, um die traditionelle Rolle der Hausfrau und Mutter zu rechtfertigen. Doch mütterliches Verhalten ist erlernt und kulturell geprägt. Höchste Zeit also, diesen Mythos zurückzulassen und so eine gleichberechtigte Verteilung von Familien- und Berufsleben zu fördern.