11. April 2022, 7:46 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Gleichstellung, Frauenrechte und Gewaltprävention sind Themen, die Natalia Wörner fernab der Kameras extrem am Herzen liegen. In der Pandemie sei Gewalt gegen Frauen „deutlicher und sichtbarer“ geworden, so die Schauspielerin im STYLEBOOK-Interview. Umso wichtiger ist es ihr, darüber zu sprechen, aufzuklären und Wege zu finden, die ein friedliches Miteinander ermöglichen.
In der Rolle der Intensivmedizinerin Carolin Mella kämpfte Natalia Wörner in der TV-Produktion „Die Welt steht still“ 2021 gegen die grassierende Corona-Pandemie, im echten Leben sind es vor allem die Frauen, für die sich die Schauspielerin starkmacht: Mit der Kampagne #sicherheim gegen häusliche Gewalt oder aktuell durch ihr Engagement bei der Initiative „StandUP – gegen Belästigung in der Öffentlichkeit“, die von L’Oréal Paris und der NGO „Right to be“ gegründet wurde.
STYLEBOOK: Was motiviert Sie?
Natalia Wörner: „Die Tatsache, dass wir in einer Welt leben, in der Frauen nach wie vor oft ausgeliefert sind und in der der öffentliche Raum nach wie vor ein sehr ungeschützter Raum ist, macht deutlich, wie wichtig eine solche Kampagne ist. Ich weiß nicht, wie vielen Männern wirklich klar ist, was es für eine Frau bedeutet, nachts allein durch eine Straße zu gehen, die menschenleer ist. Das ist mit Ängsten und Erfahrungen verbunden, die nicht schön sind. “
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Wir haben zwei Jahre hinter uns, in denen das Thema häusliche Gewalt leider wieder ganz oben auf der Agenda landete. Bedeutet diese Zeit eher einen Schritt nach vorne oder ist sie ein Rückschritt?
„Es trifft beides zu, denke ich. Ich glaube, dass das Bewusstsein in vielerlei Hinsicht ein tieferes geworden ist. Über Corona lässt sich nicht viel Gutes sagen, aber Kinder sind beispielsweise durch die Pandemie viel sichtbarer geworden. Themen wie Homeoffice oder die Frage, wie man innerhalb einer Familie mit Aufteilung von Sorge und Pflegearbeit umgeht, haben eine neue Relevanz erlangt und jedem ist hoffentlich mittlerweile bewusst, wie viel Arbeit das bedeutet. Die Gewalt an Frauen ist massiv gestiegen, sowohl im häuslichen Umfeld wie auch im öffentlichen Raum. Das ist sichtbarer geworden, das ist deutlicher geworden, die Zahlen sind gestiegen. Aber die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein eben auch. Und vielleicht sollten die positiven Effekte im Blick haben und sagen: Das Problem ist größer geworden, aber die Aufmerksamkeit und der Raum der Wahrnehmung ist zum Glück auch gewachsen.“
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Durch „MeToo“ hat sich viel verändert in den vergangenen Jahren. An welchem Punkt stehen wir aktuell und was brauchen wir noch, um weiter voranzukommen?
„Auch in meiner Branche gibt es eine andere Aufmerksamkeit, eine andere Sensibilität und altbekannte Arbeitsprozesse werden neu strukturiert. Und darum geht es ja am Ende, um strukturelle Probleme, die neu angegangen werden müssen. Gerade in der Filmbranche – auch im Theater – gibt es sehr hierarchische Strukturen und eine tradierte Form von Machtmissbrauch – auch sexualisierten Machtmissbrauch – und der wird heute anders wahrgenommen, nicht mehr toleriert, benannt und sanktioniert. Die Dinge sind heute klar benennbar geworden, man hat Worte dafür gefunden und Arbeitsstrukturen haben sich verändert. Ein Beispiel: Heute gibt es Intimacy-Coaches. Das heißt, dass Liebesszenen in der Regel nicht mehr inszeniert und choreografiert werden, ohne dass eine neutrale dritte Person neben Regie und SchauspielerInnen dabei ist. Das sind wichtige Momente, und dennoch ist diese Bewegung natürlich noch lange nicht zu Ende. Aber sie ist Teil unserer Alltagskultur geworden, und das ist gut und wichtig.“
Was kann jeder Einzelne tun, um eine höhere Sensibilität zu schaffen?
„Wir sollten viel reden und Hemmschwellen abbauen, die besagen, dass wir diese Probleme als gesetzt hinnehmen – das gilt für Frauen wie für Männer. Es wäre wichtig, dass auch Männer anfangen, in ihrem privaten wie beruflichen Umfeld darauf aufmerksam zu machen, wenn beispielsweise ein Kollege übergriffig wird – sei es verbal oder in einer latent sexualisierten Form. Dass diese Dinge mit einer größeren Transparenz gehandhabt werden und nicht mehr tabuisiert werden. Und dass sie vor allem keine Frauenthemen mehr sind – es sind Männerthemen, die uns alle angehen. Und da kann jeder einzelne einen Beitrag leisten, indem darüber gesprochen wird. Indem man eine Sprache findet, die auch Kritik zulässt, die Raum gibt für Reflektion und Selbstreflektion.
Da sind wir auf einem guten Weg, aber noch lange nicht angekommen. Gleichzeitig würde ich mir wünschen, dass jene Frauen, die Opfer von Gewalt werden – und dabei meine ich, in erster Linie körperliche Gewalt aber eben auch digitale, emotionale und psychologische Gewalt – Gehör finden und sich nicht ständig rechtfertigen müssen. Und dass diese Frauen nicht mehr beweisen müssen, dass sie glaubwürdig sind. Dass sich dieses Narrativ innerhalb einer Generation ändert, die vielleicht noch mit anderen tradierten Normen aufgewachsen ist. Diesen Frauen sollten wir Hilfe und Unterstützung anbieten und nicht das Gefühl geben, dass sie das Problem sind, sondern dass sie das Problem benennen. Dass man anfängt, das Problem und die Menschen voneinander zu unterscheiden. Und natürlich führt das auch hin zu ganz praktischen Veränderungen im Umgang miteinander – das betrifft die Polizei, unser juristisches System, aber auch unsere Krankenhäuser. Dass Frauen, die Opfer von Gewalt werden, mit Sensibilität empfangen und behandelt werden.“
Welchen Einfluss haben digitale Medien? Wie sollen wir damit umgehen?
„Im Internet ist eine Brutalität, ein Hass und eine Form von Druck entstanden, der kaum auszuhalten ist. Das gilt am Ende auch für alle Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen – unglaublich, was da an radikaler und schneller Form von Shitstorm über Menschen zusammenbricht. Das reicht von konkreten Drohungen bis hin zur Androhung körperlicher Gewalt bis hin zu ganz persönlichen Verletzungen. Das ist eine Unkultur, die krasse Züge angenommen hat. Ich habe auch kein Rezept, wie grundsätzlich gehandelt werden sollte. Wie man sich dem stellen kann, wenn man glaubt, sich dem stellen zu müssen. Ich kenne zu viele Menschen, die diesen Formen digitaler Gewalt ausgeliefert sind. Das auszuhalten, ist nicht einfach.
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Ich habe selbst einen 15-jährigen Sohn – wenn ich mir vorstelle, ich hätte eine 15-jährige Tochter, mag ich mir gar nicht ausmalen, wie sorgenvoll ich wäre, weil Mädchen eine andere Art des Drucks verspüren. Ich wüsste nicht, wie ich das als Mutter bewältigen würde – einerseits beschützen Ich habe selbst einen 15-jährigen Sohn – wenn ich mir vorstelle, ich hätte eine 15-jährige Tochter, mag ich mir gar nicht ausmalen, wie sorgenvoll ich wäre, weil Mädchen noch einmal eine andere Art des Drucks verspüren. Ich wüsste nicht, wie ich das als Mutter bewältigen würde – einerseits beschützen wollen, andererseits den jungen Menschen auch ihre Privatsphäre lassen. Da existiert noch kein Wertesystem, mit dem sich die Jugendlichen klug und authentisch auseinandersetzen können: Wer bin ich eigentlich? Was will ich eigentlich? Was weiß ich schon von der Welt? In meiner Dokumentation „A Women’s Story“ kommen viele Frauen zu Wort und die Influencerin und Autorin Louisa Dellert findet klare Worte und sagt: Wir brauchen dringend ein Fach in der Schule, das da heißt Medienkompetenz. Da sollten die Jugendlichen lernen, mit den Inhalten sorgsam umzugehen. Wie filtert man? Wie bekommt man Koordinaten, die einem selbst entsprechen, die einen schützen und im Fall abgrenzen? Was ist womöglich toxisch? Was macht mich neugierig? Was macht mir Angst? Und wem setze ich mich aus, wenn ich mich im Netz zeige und äußere?
Wir leben aktuell in einer Zeit, in der wir merken, was es bedeutet, wenn toxische Männlichkeit ungebremst auf die Menschheit trifft. Wir haben 20 Jahre Autokraten unterschätzt und ich würde mal behaupten, wenn mehr Frauen in Verhandlungspositionen wären – in politischen Ämtern aber auch in ganz konkreten Friedensmissionen -, dann würde es so einen Krieg, wie wir ihn im Moment erleben, nicht mehr geben.“