3. April 2020, 4:27 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Corona stellt uns alle vor große Herausforderungen, für viele Paare wird die gemeinsame Zeit auf engem Raum zur Zerreißprobe. Was machen die Umstände mit der Beziehung? Wie steht man das als Paar gemeinsam durch? Diese und andere Fragen hat STYLEBOOK einer Expertin gestellt.
„Es gibt gute und natürlich auch schlechte Auswirkungen“, sagt Daniela van Santen, Beziehungscoach aus Hamburg. So komme es ganz auf das Paar an und wie man gemeinsam funktioniere – Paare, die ohnehin viel Zeit zusammen verbringen und eher symbiotisch funktionieren, werden auch diese Zeit gut überstehen: „Sie werden die Nähe lieben und sogar eher traurig sein, wenn die Quarantäne überstanden ist und der normale Alltag wieder einkehrt“, so van Santen. Doch auch hier sei es wichtig, dass man eine gewisse Struktur in die Beziehung bringe, gerade für das Arbeiten im Homeoffice seien feste Zeiten wichtig, in denen jeder für sich konzentriert arbeiten könne und seinen eigenen Bereich in der Wohnung oder im Haus habe. Allen Paaren rät van Santen, „Kuschelzeiten von Arbeitszeiten klar zu trennen“.
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Was können die Vorteile sein?
Die überschüssige Zeit ohne Ablenkungen lässt viele Paare kreativ werden, es werden sich neue Sachen ausgedacht, die die Beziehung spannend halten sollen, darunter gemeinsame Beauty- und Wellness-Tage, die statt mit der besten Freundin jetzt eben mit dem Partner oder der Partnerin begangen werden. Aber auch Paare, die noch nicht lange zusammen sind und sich noch nicht so intensiv kennen gelernt haben, könnten von der vielen gemeinsamen Zeit profitieren, weiß die Expertin: Lange Gespräche können dabei helfen, sich näher kennen zu lernen, der plötzlich gemeinsam geteilte Alltag kann Paare näher zusammenbringen.
Häufen sich danach die Trennungen?
Für mindestens ebenso viele Paare ist die aktuelle Situation allerdings eine echte Zerreißprobe: „Wer sonst sehr freiheitsliebend und froh ist, wenn er 8 bis 10 Stunden am Tag auf der Arbeit verbringt und seinen Partner nur abends sieht, für den wird diese Zeit schwer“, weiß van Santen. Ist das Paar nicht gut aufeinander abgestimmt, kann es schnell zu Reibereien kommen, die Expertin vergleicht die Zeit mit einem gemeinsamen Urlaub. „Da sieht man seinen Partner, wie er wirklich ist, und es fallen einem all die kleinen Dinge auf, die einen vielleicht nerven.“ Nach der Urlaubssaison erlebe sie jedes Jahr eine regelrechte Trennungswelle in ihrer Praxis, hinzu käme jetzt noch das Gefühl der Angst und Unsicherheit: „Die Angst vor der Corona-Krise, die Sorge um Angehörige und die Belastung durch das Homeoffice“, erklärt van Santen. Und hier reagiere jeder Mensch anders – wer sonst immer stark und positiv wirkt, kann in der Krise plötzlich schwach und ängstlich sein. Das käme für den Partner oft überraschend und könne ein Beziehungsgeflecht ins Wanken bringen.
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Kann man sich vor Trennungen schützen?
Paare, deren Verbindung weniger fest ist und denen die viele gemeinsame Zeit schwer fällt, sollten genau darüber nachdenken, was an der gemeinsamen Beziehung positiv ist. Diese positiven Dinge sollten verstärkt und im Gegenzug der Fokus weg von den negativen Dinge gelenkt werden, rät Daniela van Santen. Ein weiterer wichtiger Tipp vom Beziehungscoach: „Struktur in den Alltag bringen!“ Heißt: Wer normalerweise jeden Arbeitstag zu einer festen Zeit aufsteht, der sollte das auch jetzt machen. „Fahren Sie sonst mit dem Fahrrad zur Arbeit? Dann setzen Sie sich auch jetzt aufs Fahrrad und fahren Sie ungefähr die Strecke wie zur Arbeit“, sagt van Santen. Dabei ist es egal, ob draußen oder nur das Ergometer zu Hause, wichtig ist, normalen Rituale so gut es geht weiterzuführen. Auch gleiche Zeiten für die Mittagspause und ein kurzes Pausen-Telefonat mit der Arbeitskollegin können helfen, den Alltag im Homeoffice zu strukturieren. „Es ist wichtig, sich hier gut mit dem Partner abzustimmen und die Zeiten klar festzulegen. Wer Kinder hat, der sollte auch bei der Betreuung einen Plan aufstellen und die Stunden gerecht verteilen.“ So werde garantiert, dass jeder konzentriert arbeiten kann und Arbeit und Freizeit sich nicht miteinander vermischen.
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Wie streitet man jetzt richtig?
Bei so viel gemeinsamer Zeit auf engem Raum sind Auseinandersetzungen meist unumgänglich. „Hier kommt es natürlich immer darauf an, welcher Streittyp man ist und wie die Beziehung funktioniert. Ein allgemeines Rezept für Streits in der Beziehung gibt es also nicht“, macht van Santen deutlich. Gerade Frauen sollten allerdings versuchen, den Partner „nicht verbal an die Wand zu drücken.“ Das führe meist nur dazu, dass der Mann überhaupt nichts mehr sagt und sich aus der Situation zurückzieht. Auch Vorwürfe bringen in der jetzigen Lage nichts, vielmehr sollte man mit etwas Positivem beginnen und den Partner wertschätzen. „Ich finde es toll, dass du mir jeden Morgen einen Kaffee machst“, bringt van Santen als Beispiel an. Danach könne man anbringen, was in der aktuellen Lage störe. Mit dem Lob zu Beginn sei der Partner positiver eingestellt und offener für Kritik. Formulierungen wie „Du hast das falsch gemacht“ würden hingegen in die falsche Richtung gehen und die Beziehung unnötig belasten.
Quarantäne überstanden – bereit für jede Krise?
„Viele können ihren Partner jetzt von einer ganz neuen Seite kennen lernen, denn in der Krise zeigt jeder seinen wahren Charakter“, betont Beziehungscoach van Santen. „Da kann es bei vielen zu einigen Überraschungen kommen.“ Wer hier einen starken Partner an seiner Seite habe, der könne sich auch außerhalb der Krise auf ihn verlassen. Bei schwierigen Beziehungen, bei denen womöglich schon eine Trennung im Raum steht, könne die Ausnahmesituation die Chance bergen, die Lage noch einmal zu überdenken. „Meist sind es nur kleine Rädchen, die gedreht werden müssen, um die Beziehung auf einen anderen Kurs zu bringen“, weiß Daniela van Santen, gerade jetzt hätten Menschen Zeit, sich ihres Partners mit all seinen Eigenschaften bewusst zu werden. Aber auch hier sei es wichtig, dass gerade Männer nicht zu einem Gespräch gezwungen werden; Moment und Situation sollten passen, damit intensive Gespräche in aller Ruhe geführt werden können.
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Tipps für eine glückliche Beziehung?
Natürlich gibt es kein Geheimrezept für eine glückliche Beziehung, jedes Paar funktioniert anders. Mit ein bisschen Rücksicht könnten aber viele gestärkt aus der Krise gehen: „Es ist wichtig, dass alle jetzt ein bisschen großzügiger sind und auch mal über Sachen hinwegsehen, es geht uns schließlich allen gerade nicht gut“, mahnt van Santen. So sollte man sich gut überlegen, ob gerade jetzt die Zeit ist, um über Kleinigkeiten zu streiten, etwa weil der Partner die benutzte Tasse nicht sauber gemacht oder den Geschirrspüler nicht ausgeräumt hat. Sind diese Dinge wirklich so wichtig, dass sie im gleichen Moment angesprochen werden müssen oder hat das klärende Gespräch Zeit bis zum entspannten Abend? Daniela van Santen empfiehlt, in solchen Situationen bei einem kleinen Spaziergang den Kopf frei zu bekommen und sich darüber bewusst zu werden, wie sinnvoll ein Konflikt an dieser Stelle wirklich ist.