30. August 2020, 8:06 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Wenn die Beziehung leidet, denken viele Paare über eine Paartherapie nach – sich einer dritten Person zu öffnen, scheint ein sinnvoller Weg, sich aus dem eingefahrenen Konflikt-Kreislauf zu befreien. Doch was passiert dabei eigentlich genau und mit welchen Methoden wird gearbeitet? STYLEBOOK hat mit dem Paartherapeuten Eric Hegmann darüber gesprochen und erfahren, warum eine gemeinsame Paarberatung auch eine Schatzsuche sein kann.
Eifersucht, die Befürchtung, nicht genug geliebt zu werden, scheinbar unlösbare Konflikte über Erziehung, Haushalt und Geld, zu wenig sexuelle Erfüllung oder ein Seitensprung: Was am Ende das berühmte Fass zum Überlaufen und damit das Thema Paartherapie auf den Tisch bringt, kann viele Ursachen haben. Fest steht allerdings: Wer den Gang zum Therapeuten in Betracht zieht, hat erkannt, dass es so nicht mehr weitergeht und sich etwas bewegen muss – in welche Richtung auch immer. Und wie der Hamburger Paarberater und Beziehungscoach Eric Hegmann aus eigener Praxis weiß: In Wahrheit ist der größte Feind der Beziehung die Angst und die damit verbundenen zerstörerischen Dynamiken, nicht der Partner selbst. „Die meisten Paarkonflikte lassen sich ohnehin nicht lösen, denn nur selten haben Menschen die gleichen Bedürfnisse zur selben Zeit und so prallt man aufeinander. In diese unlösbaren Konflikte Zeit zu investieren, bringt wenig. Weniger anstrengend wäre, zu lernen, die Bedürfnisse des anderen anzuerkennen und eine neue Liebe dafür zu entwickeln.“
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Wann ist eine Paartherapie sinnvoll?
„Immer!“, lautet die deutliche Antwort des Beziehungsprofis. „Tatsächlich halte ich es sogar für ratsam, eine Paarberatung zu machen, wenn die Liebe noch frisch ist.“ Werde man erst aktiv, wenn die Liebe bereits auf wackeligen Beinen steht, gehe man dementsprechend aggressiver und mit vielen Vorwürfen in die Sitzungen rein. „Wenn die Verbindung allerdings noch sicher ist, lassen sich liebevoll und ohne Angst genau jene Werkzeuge erarbeiten, die dann wichtig werden, wenn es wirklich kriselt.“ Hegmann findet deshalb den Begriff „Paartherapie“ auch nicht ganz treffend. „Wir wollen keine Menschen im klassischen Sinne therapieren, sondern ihnen dabei helfen, zerstörerischen Mustern ihre Macht zu nehmen. Ich finde, der Begriff der Paarberatung passt besser.“ Gebrauchen lässt sich dieses Wissen immer – auch als glücklich Verliebte.
Das machen getrennte Betten mit einer Beziehung
Welche Methoden kommen bei einer Paartherapie zum Einsatz?
Das „Problem“ ist für Hegmann nicht der Partner, sondern die besagte negative Dynamik, die zwischen zwei Menschen im Laufe der Zeit entstanden ist. Diese gilt es herauszuarbeiten: „Wer wünscht sich mehr Nähe, wer mehr Distanz? Wer ist derjenige, der sich bedrängt fühlt? Was triggert mich eigentlich so? Mit einer gezielten Fragestellung wird irgendwann klar, wo der Knackpunkt liegt. Und sobald die Partner bereit sind, die Andersartigkeit des anderen wieder anzuerkennen und Neugier füreinander zu entwickeln, verschwindet auch die Feindseligkeit. Schließlich ist man ja einst als super Team in die Beziehung gestartet.“
Nach jahrelanger Erfahrung als Paarberater weiß Hegmann, dass jeder Mensch mit einem eigenen „Werkzeugkasten“, also unterschiedlichen Problemlösungsstrategien, in die Beziehung geht. Zum Beispiel: Hat sich ein Paar verfahren, zieht der eine es vor, nach dem Weg zu fragen, während der andere lieber im Internet schaut, wo es langgeht. Das kann für Reibungen sorgen. „Doch warum eigentlich?“, fragt Hegmann zurecht. „Mit zwei unterschiedlichen Werkzeugkästen ist jedes Paar besser ausgestattet als mit dem gleichen.“ Einmal verstanden, kommt diesbezüglich kein Streit mehr auf.
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Fremdgehen und Co.: Vertrauen aufbauen mit der „5 zu 1 Regel“
Ist ein Partner betrogen oder anderweitig hintergangen worden, braucht es viel Zeit und ehrliche Hingabe, um das Vertrauen des anderen wieder zurückzugewinnen. „Ich arbeite in meiner Paarberatung mit der 5 zu 1 Regel nach dem amerikanischen Psychologen John Gottman“, erklärt Hegmann sein Modell. Die geht so: Um eine Enttäuschung wett zu machen, braucht es fünf Wiedergutmachungen, die durch achtsames und liebevolles Handeln in den Alltag integriert werden sollten. Mit einem Strauß Blumen wird kein Vertrauen aufgebaut. Aber wer jeden Tag durch kleine Gesten seine Liebe zeigt, dem gelingt es womöglich, die „innere Alarmanlage“ des Betrogenen langsam aber sicher verstummen zu lassen. „Ein Fremdgeh-Ausrutscher wird meist auf diese Weise schnell verziehen“, weiß Hegmann. „Wurde allerdings über Jahre hinweg belogen und betrogen, ist meiner Erfahrung nach die Beziehung meist nicht mehr zu retten.“
Auch eine Trennung kann ein Therapie-Erfolg sein
Zwischen vier und dreizehn Sitzungen braucht es im Durchschnitt, bis Paare mithilfe des Therapeuten zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Und diese kann auch bedeuten: Trennung! „Manchmal stellt sich heraus, dass einer bereits innerlich mit der Beziehung abgeschlossen hat. Den Trennungswunsch dann auch wirklich auszusprechen und gemeinsam zu akzeptieren, kann eine enorme Erleichterung sein“, weiß der Beziehungsexperte. So kann die Paarberatung dem Verlassenen auch helfen, die Entscheidung zur Trennung besser anzunehmen und zu verarbeiten.
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Warum scheinen Beziehungen heutzutage komplizierter?
Die steigenden Scheidungsraten und der Trend, dass nur noch die wenigsten Paare ihr ganzes Leben miteinander verbringen, lässt vermuten, dass die Liebe komplizierter und auch zerbrechlicher geworden sind. „Wir müssen bedenken, dass heutzutage Beziehungen in unserer Kultur auf reiner Freiwilligkeit basieren. Niemand ist mehr aus wirtschaftlichen, sozialen oder sonstigen Gründen gezwungen, mit dem anderen zusammenzubleiben“, erklärt der Experte. „Unsere Vorstellung von Liebe ist romantischer geworden und das bringt hohe Erwartungen mit sich. Heute muss ein Partner all das leisten, wofür früher ein ganzes Dorf zuständig war. Anderseits hat die neue Männergeneration gelernt, über ihre eigenen Gefühle zu sprechen“, so Hegmann. Dabei sei das Rezept für eine glückliche Liebe eigentlich ganz einfach: „Achtsamkeit, Dankbarkeit, Aufmerksamkeit, Mitgefühl, Neugier und eine nicht nachlassende Begeisterung für die Andersartigkeit des anderen. Man kann diese Fähigkeiten trainieren wie ein Muskel.“ Und genau das ist es, worum es in einer Paarberatung wirklich gehen sollte.
Paartherapien, beziehungsweise Paarberatungen werden nicht von der Krankenkasse übernommen, allerdings bieten Diakonien Sitzungen zu günstigeren Preisen an. Im Durchschnitt kostet eine Sitzung je nach Therapeut/in zwischen 60 und 120 Euro. Vermehrt werden auch Online-Kurse angeboten, die ebenso hilfreich sein können.