11. November 2024, 5:38 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Nobody’s perfect – viele versuchen es dennoch. Das Streben nach Perfektion kann jedoch nicht nur anstrengend werden, sondern auch krank machen. Der berufliche Trend geht daher immer mehr zum „Quiet Quitting“. Was dahintersteckt und welche Tipps eine Expertin gibt, lesen Sie bei STYLEBOOK.
Alles richtig machen, die Arbeit genau nachkontrollieren und dann immer noch nicht hundertprozentig zufrieden sein – was anstrengend klingt, ist es auch. Studien zeigen immer wieder, dass Perfektionismus im Zusammenhang mit einem erhöhten Stresslevel, Erschöpfung, Angststörungen und sogar Depressionen stehen kann. Dennoch waren bis vor Kurzem gerade junge Menschen perfektionistischer als noch vor rund 30 Jahren, wie eine englische Studie herausstellte.
Übersicht
Wunsch nach Perfektion wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus
Für die Studie wurden die Erwartungshaltungen von Studierenden zwischen 1989 und 2016 untersucht. Es stellte sich heraus, dass der soziale Druck, den die Studierenden 2016 verspürten, 33 Prozent höher war als bei Probanden zu Beginn der Studie. Sich selbst machten rund zehn Prozent mehr Druck, perfekt zu sein.
Die Ergebnisse sind wenig überraschend. Soziale Medien stellen uns ständig auf den Prüfstand. Haus, Familie, Gesicht, Körper, Leben – alles muss perfekt sein, oder zumindest so aussehen. Das zeigt auch der Beauty Impact Report von STYLEBOOK. Demnach fühlten sich 34 Prozent der befragten Teilnehmerinnen von Influencern unter Druck gesetzt, höherwertige Produkte zu kaufen. Weiterhin ist der Großteil der Befragten unzufrieden mit seinem Äußeren, 82 Prozent derjenigen, die täglich TikTok nutzen, also überwiegend junge Menschen, würden gerne etwas an sich verändern.
Der Wunsch nach Perfektion schlägt also nicht mehr nur in der Karriere zu Buche, sondern auch beim Aussehen. Dass das auf Dauer ermüdend ist, kann man sich vorstellen. Doch wie kommt man aus der Perfektionismus-Spirale heraus? Diplom-Psychologin Nicole Engel erklärt die ersten Schritte: „Das Wichtigste ist, dass ich spüre, dass ich mit dem Thema zu tun habe. Wenn ich im Alltag wahrnehme, dass ich eine Anspannung oder ein ungutes Gefühl verspüre, dass ich mich gestresst oder belastet fühle, aber einfach weiter funktioniere, sollte ich innehalten und die Gründe für dieses Verhalten erörtern.“
Wir müssen Mittelmäßigkeit neu denken
Dabei ist unser Perfektionismus eine erlernte Strategie, die wir an den Tag legen, wenn wir gefallen wollen. „Wenn ich perfekt bin und alles perfekt mache, kann ich in meinem Wesen und meinem Sein nicht angegriffen werden.“ Die meisten Menschen, die von Perfektionismus betroffen sind, hätten gelernt, dass die Menschen in ihrer Umgebung sie gernhaben, wenn sie alles richtig machen.
Das kann durch Lehrer, Erziehende oder einfach Personen geschehen sein, die Ansprüche an uns stellen und gestellt haben. Aus Angst davor, abgelehnt zu werden, hält man an diesem bewährten Bewältigungsmechanismus fest und versucht, möglichst keine Fehler zu machen. „Alle Menschen wollen Liebe, Zuneigung, Anerkennung und positive Wertschätzung. Diese positive Aufmerksamkeit haben wir immer schon eher bekommen, wenn wir etwas richtig gut gemacht haben. Eher als, wenn wir der Norm entsprechen.“
Denn wer will schon mittelmäßig sein? Kling erst einmal wenig verlockend. Warum das so ist, erklärt Engel: „Schon beim Wort Mittelmäßigkeit haben wir direkt eine negative Bewertung im Kopf. In unserer deutschen Leistungsgesellschaft ruft das sofort das Attribut faul hervor. Und sind wir faul, liegen wir unter der Norm. Keiner will aber schlechter sein als andere. Rein sachlich und ohne Wertung gesehen jedoch, ist die Mitte einfach die Norm. Nach der Gaußschen Normalverteilung (Begriff aus der psychologischen Statistik, mit der die Verteilung bestimmter Merkmale verdeutlicht wird, Anm. d. Red.) liegt ein Großteil der Menschen im Mittelfeld, es gibt nur wenige Ausreißer. Damit ist Mittelmäßigkeit nichts Schlechtes, sondern eben normal.“
„Quiet Quitting“ – der Gegentrend zum Perfektionismus
Das Prinzip der Mittelmäßigkeit entdecken inzwischen immer mehr Menschen für sich. Seit einigen Monaten gibt es die Quasi-Gegenbewegung zur Perfektion. So ist für immer mehr junge Leute Perfektion, gerade im beruflichen Umfeld, nicht mehr das Nonplusultra. Die Maxime ist hingegen die Erkenntnis, dass es wichtigeres gibt als Arbeit.
„Quiet Quitting“ nennt sich das Verhalten, das Arbeitnehmende in diesem Zusammenhang an den Tag legen. Dabei geht es nicht um eine „leise Kündigung“, wie Arbeitgeber zunächst befürchtet hatten. Es geht lediglich darum, nicht mehr die berühmt-berüchtigte Extrameile zu gehen. Überstunden, Anrufe und Mails nach Feierabend oder Aufgaben, die nicht in das Aufgabengebiet fallen, werden schlichtweg abgelehnt. Deswegen wird die Arbeit nicht schlechter oder weniger motiviert erledigt, nur wird pünktlich zum Feierabend der Stift fallen gelassen.
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So gehen Sie entspannter mit Ihren Aufgaben um
Was einige nun schockieren könnte, kann ein möglicher Weg aus der Perfektionismus-Spirale sein. Manchen fällt das von Haus aus leichter als anderen. Wie die Psychologin STYLEBOOK sagte, haben „manche diese Züge gar nicht in sich, dass sie perfektionistische Ansprüche an sich selbst stellen.“ Dementsprechend fällt es ihnen leichter, auch den perfektionistischen Ansprüchen anderer zu widerstehen.
Doch mit der Zeit kann man einen entspannteren Umgang lernen. Hier kann das Paretoprinzip helfen. „Beim Paretoprinzip werden mit 20 Prozent Aufwand 80 Prozent der anstehenden Aufgaben erledigt. Für die restlichen 20 Prozent würden dann 80 Prozent der Energie benötigt. Im Arbeitsalltag ist es meist nicht möglich, 100 Prozent zu geben, außer in ganz wenigen, wirklich wichtigen Situationen, wie einem Pitch oder einem sehr wichtigen Projekt. Ansonsten reichen die 80 Prozent. Gerade Menschen mit sehr gewissenhaften Zügen kann dieses Prinzip helfen, mit ihrem Perfektionismus umzugehen. Denn mit den 80 Prozent leisten sie immer noch mehr im Vergleich zur Normalbevölkerung.“
Stattdessen bleiben 20 Prozent Energie übrig, die wir in die schönen Dinge des Lebens investieren können. In Dinge und Momente, die uns glücklich machen. Und wen stört es da noch, wenn das Handout mit einer statt zwei Klammern zusammengeheftet wurde oder das Instagram-Foto nicht den perfekten Winkel eingefangen hat?