6. Januar 2025, 16:25 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Schlafende Babys, Kleinkinder, die in Pfützen springen oder mit Haustieren kuscheln und vieles mehr können wir zuhauf auf den Social-Media-Plattformen sehen. Dazu teilen „Momfluencer“ oft auch den Ort, an dem sie sich mit ihren Kindern befinden – für jeden nachvollziehbar. Dass das gefährlich sein kann, versteht sich eigentlich von selbst. Dennoch sind Kinder auf Social Media ein lukratives Geschäftsmodell. Doch wenn es nach Sara Flieder geht, nicht mehr lang. Im Interview mit Carmen Dörfler erklärt die Aktivistin, was sie geplant hat und warum ihr das Thema am Herzen liegt.
Gehen Sie gedanklich mal die Accounts durch, denen Sie auf Social Media folgen. Sind darunter auch sogenannte Mommy-Accounts, die ihr Familienleben beinahe als Liveticker zeigen? Und wie gern sehen Sie fremden Kindern dabei zu, wie sie das Leben entdecken – mit allen Höhen und Tiefen? Ein komisches Gefühl, oder? Genau dagegen möchte Sara Flieder vorgehen. Nicht gegen das komische Gefühl, sondern gegen Kinder, die bei Social Media ins Rampenlicht gezerrt werden – oft bevor sie sich dazu überhaupt äußern können.
Übersicht
Ein Schlüsselerlebnis mit weitreichenden Folgen
Sara Flieder, Aktivistin für Kinderrechte, spricht mit Leidenschaft über das Thema, das viele von uns täglich betrifft, das aber leider selten hinterfragt wird: die Darstellung von Kindern auf Social Media. Die 36-Jährige arbeitete zuvor bei einem Kinderhilfswerk als Social-Media-Referentin und hatte dort erstmals intensiven Kontakt mit dem Thema Kinderrechte.
„Ich habe bemerkt, dass die meisten Influencer nicht mit den Kinderrechten vereinbar sind. Dann wurde ich selbst Mutter und war schockiert, was ich über fremde Kinder auf Social Media erfahre“, sagt sie. Während sie von Freunden oft nur wenig über deren Kinder weiß, wird in sozialen Netzwerken alles geteilt: „Kinder, die krank sind, mitten in schwierigen Phasen stecken oder einschlafen – alles in Echtzeit.“ Dieses Unbehagen führte dazu, dass Flieder eine Petition startete, um auf die Missstände aufmerksam zu machen. Was sie nicht ahnte: Ihre Petition geht viral und bekommt innerhalb weniger Wochen über 50.000 Unterschriften.
Was passiert mit den Bildern unserer Kinder?
Kein Wunder, denn Flieder wartet mit schrecklichen Fakten auf, was Kinder auf Social Media betrifft. So stamme ein Drittel der Bilder, die auf pädophilen Plattformen kursieren, laut Flieder von Social Media. Das schockierende dabei: „Es sind oft keine explizit anstößigen Bilder, sondern ganz normale Familienfotos.“ Solche Inhalte werden aus dem Kontext gerissen und missbraucht.
Besonders brisant ist ein Fall, den sie schildert: „Eine Firma wollte Kinder in Regenkleidung für eine Kampagne zeigen. Später stellte sich heraus, dass deren Social-Media-Account fast ausschließlich von Männern mit einem Latexfetisch verfolgt wurde.“
Die Risiken gehen jedoch über solche extremen Beispiele hinaus. „Die Privatsphäre von Kindern wird für Reichweite geopfert“, erklärt Flieder. Viele Influencer würden ihre Kinder in den Mittelpunkt ihrer Inhalte stellen, um ihre eigene Popularität zu steigern.
Gutachten soll für Schutz der Kinderrechte auf Social Media sorgen
Dagegen möchte Flieder vorgehen. Zusammen mit Organisationen wie Campact und dem Deutschen Kinderhilfswerk hat die Aktivistin ein juristisches Gutachten aufgesetzt. Dieses Gutachten beleuchtet die rechtlichen und ethischen Probleme, die durch die Darstellung von Kindern auf Social Media entstehen, und bietet konkrete Lösungsansätze.
Sara Flieder erklärt dazu: „Das Gutachten zeigt deutlich, dass die aktuelle Praxis vieler Influencer nicht nur moralisch fragwürdig, sondern auch juristisch problematisch ist. Es verstößt in vielen Fällen gegen die UN-Kinderrechtskonvention, insbesondere gegen das Recht auf Privatsphäre. Unser Ziel ist es, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die Kinder unter sieben Jahren vollständig davor schützt, auf Social Media gezeigt zu werden. Für ältere Kinder fordern wir ein abgestuftes Schutzkonzept, das ihre Zustimmung und Mitbestimmung sicherstellt.“
Ein weiteres Ziel des Gutachtens ist es, aufzuzeigen, wie finanzielle Anreize Eltern dazu bringen, die Privatsphäre ihrer Kinder zu opfern. Es thematisiert außerdem, dass viele Bilder von Social Media auf Plattformen mit problematischem oder sogar illegalem Inhalt landen.
Abschließend enthält das Gutachten konkrete Forderungen, wie etwa:
- Keine Social-Media-Darstellung von Kindern unter sieben Jahren.
- Abgestufter Schutz für ältere Kinder, die über ihre Darstellung selbst entscheiden können.
- Schärfere Regulierungen für Werbung mit Kindern, um finanzielle Anreize für die Ausbeutung von Kinderbildern zu reduzieren.
Das Gutachten hat bereits viel Aufmerksamkeit erregt und wurde von verschiedenen Medien und Unterstützern aufgegriffen. Es dient als Grundlage für politische Gespräche und soll langfristig Gesetzesänderungen anstoßen.
„Wir hoffen, dass dieses Gutachten den Anstoß für einen gesellschaftlichen und rechtlichen Wandel gibt. Es ist höchste Zeit, dass Kinderrechte auch im digitalen Raum konsequent geschützt werden“, fasst Flieder zusammen.
Warum schauen wir uns überhaupt Kinder auf Social Media an?
Sara Flieder sieht in der Popularität von Familieninhalten eine Mischung aus Voyeurismus und Identifikation. „Viele Menschen fühlen sich angezogen, weil sie sich mit den Situationen identifizieren können. Gleichzeitig ist es wie eine Reality-Show: Man fühlt sich, als wäre man direkt dabei.“
Doch für die betroffenen Kinder hat das schwerwiegende Folgen. „Sie haben keine Wahl und werden für den finanziellen Erfolg ihrer Eltern benutzt“, kritisiert Flieder.
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Ein Appell an die Verantwortung der Eltern
„Kinder können sich nicht selbst schützen – das ist die Verantwortung der Erwachsenen“, sagt Sara Flieder. Sie betont, dass es möglich ist, nützliche Inhalte zu teilen, ohne die Privatsphäre von Kindern zu verletzen. „Es gibt so viele Wege, wertvolle Tipps und Erfahrungen zu teilen, ohne dabei Kinder zu zeigen.“
Mit prominenten Unterstützern wie Unternehmerin und Internetpersönlichkeit Toyah Diebel und Organisationen wie dem Deutschen Kinderhilfswerk hat sie bereits wichtige Schritte unternommen, um einen gesellschaftlichen Wandel anzustoßen. Das große Ziel: „Es ist höchste Zeit, dass Kinderrechte auch im digitalen Raum konsequent geschützt werden.“