27. Mai 2024, 17:46 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Wenn man auf Instagram und TikTok einmal zu oft swiped, landet man plötzlich auf fragwürdigen Videos. Videos, in denen Männer anderen Männern die Frauenwelt „erklären“. Ganz neu dabei: Sigma-Males. Die „Community“ ist nicht nur unangenehm, sondern auch hochproblematisch und gefährlich.
Dass ein Internet-Trend derzeit Frauen die Information entlockt, dass sie lieber allein mit einem Bären in einem Wald stecken würden, als mit einem Mann, hat seine Gründe. Einer dieser Gründe könnten die Männerbilder sein, die derzeit auf TikTok und Instagram umherirren. Selbst ernannte „Coaches“, „Alpha-Male-Experts“ oder jetzt auch „Sigma-Males“, setzen sich vor die Kamera. Weichgezeichneter Hintergrund, scharfes Bild, laute Meinung: „Frauen müssen langsam zu ihren alten Werten zurückfinden“, ist nur eine der Aussagen, die in diesen Videos getroffen werden. Und die ist im Vergleich zu all dem, was dort noch gesagt wird, ziemlich harmlos. Über Frauen wird hergezogen, es wird empfohlen, psychische oder physische Gewalt einzusetzen, über Feministinnen wird sich laut beschwert. Ohnehin scheint in diesem problematischen Kosmos der Grundsatz zu lauten: Frauen muss man sagen, wo es lang geht, sie unterdrücken, am besten nicht ernst nehmen. Frauen sind zweitklassig. Diese „Alphas“ stehen immer über ihnen.
Andrew Tate trat in gefährliche Vorleistung
Anführer dieser gefährlichen Bewegung eines Männerbildes ist wohl Andrew Tate. Aktuell nur passiv, denn er befindet sich derzeit mal wieder in Untersuchungshaft – aufgrund von Menschenhandel und Vergewaltigung. Dennoch loben ihn junge Männer im Netz, sehen ihn als Vorbild, schneiden Videos von ihm zusammen, feiern ihn nach wie vor wie einen König. Sie feiern den Mann, der appellierte, Frauen mit „Gewalt wieder hörig zu machen“ und der seine Follower immer wieder dazu ermutigte, sich über die Frau zu stellen – auch körperlich. Aber es sollte nicht bei Tate allein bleiben. Seither versammeln sich immer wieder neue toxische Männer-Gruppierungen im Netz. Aktuell: die Sigma-Males.
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Sigma Males versprechen sich mit Gewalt und Gleichgültigkeit mehr Erfolg bei Frauen (die ihnen ja eigentlich so egal sind)
Sigma Males, oder anders: Junge Männer mit einer besorgniserregenden Obsession mit Patrick Bateman – dem Hauptcharakter aus „American Psycho“. Unter dem Begriff „Sigma-Males“ versammelt sich eine männliche Internet-Community und fokussiert sich einzig auf die innere Stärke und Autonomie. Dabei spielt in erster Linie durchgehend der eigene Erfolg eine tragende Rolle im Leben. Frauen, so kommuniziert es die Community, sind dabei nichts wert, eher untergeordnet. Die frauenfeindliche Community paniert sich selbst ständig in Lob, behauptet, zu gut, zu intelligent für den Rest der Welt zu sein. In dieser „Bubble“ erschließen sie toxische Werte mit einem Fokus auf streng veraltete Männlichkeitsbilder. Sie selbst nennen es „das Streben nach Perfektion, Macht und Überlegenheit“. Das beziehen sie nicht nur auf die Optik, sondern auch auf Job und Finanzen. Sie agieren introvertiert, um möglichst unabhängig zu erscheinen.
Wodurch zeichnen sich Sigma-Males aus
Sigma-Males zeichnen sich besonders durch emotionale Kälte und Arroganz aus. Ganz bewusst, um sich von dem Rest der Welt abzusondern – und um ihr Umfeld aktiv zu manipulieren. Das Gefährliche: Im Internet vermitteln sie den Eindruck, dass sie aufgrund dieser Verhaltensweisen und Ansichten besonders attraktive Frauen für sich gewinnen können. Männern, die das ebenfalls erreichen möchten, empfehlen sie daher, von oben auf Frauen herabzuschauen, sie immerzu zu belächeln, sie nie ernst zunehmen. Laut Sigma-Males muss man Frauen immer mit einer arroganten Gleichgültigkeit behandeln, „damit sie verrückt nach einem sind“. Dabei, so vermitteln sie es, soll man ihnen auch immer das Gefühl geben, sie gar nicht zu brauchen. Schließlich betiteln sie sich selbst als starke, einsame Wölfe. Und ja, es wird noch verrückter!
Fiktiver Serienkiller als Vorbild
Als größten Vorbild sehen Sigma-Males den fiktiven, narzisstischen Charakter Patrick Bateman aus „American Psycho“. Leider sehen sie nicht den Schauspieler dahinter, Christian Bale, als Vorbild, sondern Patrick Bateman, den erfolgreichen Investmentbanker an der Wall Street, der seinen Fokus auf sein eigenes Wohlbefinden legt: Sport, Ernährung, Wellness. Ganz nebenbei ermordet er in dem Film Frauen – auf brutale und psychopathische Art und Weise. Der fiktive Charakter zeichnet sind dadurch aus, dass er sein Umfeld mit seinem perfekten Investmentbänker-Leben täuscht, während er grausame Gewaltfantasien an Frauen auslebt. Damit brüsten sich Sigma-Males.
Dass das ohnehin hochgefährliche Männerbilder sind, die durch diese Communitys vermitteln werden, spricht aufgrund der hochgeladenen Videos und Einblicke schon für sich. Die meisten können es aus Zuschauersicht gut einordnen. Aber: Diese Accounts haben auch „Fans“ und Anhänger. Zwar überwiegend männlich, aber es gibt auch Frauen, die sich an die Seite dieser Communitys stellen, sie verteidigen. Außerdem ist erschreckend, wie viele junge Männer sich von diesen Communitys abgeholt fühlen.
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Sigma-Males, Incels, Alpha-Mans: Problematisch und gefährlich
„Mit 12-Schritten endlich ein Alpha-Mann werden“, schreibt ein selbst ernannter Männlichkeits-Coach in Comic Sans auf sein Titelbild bei TikTok. Die Inhalte basieren auf Hirngespinsten, meint man, wenn man diese Videos anschaut: Männer sollen immer den Ton angeben, ihren Frauen nicht erlauben, sich mit Minikleid in ein Restaurant zu begeben, nicht dulden, wenn sie nichts im Haushalt macht. Alpha-Males ordnen Frauen bewusst und gern unter sich ein. Prahlen mit dem Vorhaben, Frauen immer und zu jeder Zeit zu unterdrücken. Manche Seiten versprechen anderen Männern durch diese Verhaltensweisen besseren Sex und mehr Erfolg im Job. „Männer sind dominante Wesen, sie müssen andere unterdrücken“, sagt einer von ihnen, mit irrem Blick in die Kamera gerichtet. Ein ungeheurer Mix aus Hass und Verachtung Frauen gegenüber.
Männergruppierungen – mit problematischen Werten – gibt es nicht erst seit den Alphas oder den Sigma-Males. Auch „Incels“ (involuntary celibate men) gehören dazu. Sie bezeichnen sich selbst als „unfreiwillig im Zölibat Lebende“. Sie haben also keinen Sex, obwohl sie glauben, sie hätten ein Anrecht auf Frauen, einfach, weil sie Männer sind. Die wiederum denken, dass der Feminismus das Weltende bedeutet. Sie teilen absurde, brutale Gewaltfantasien über Frauen im Netz. Kurz und schmerzvoll gesagt: Sie hassen ihr Leben, nur eines hassen sie noch mehr: Frauen.
Natürlich sind „Incels“ gefährlicher und viel bedrohlicher als aufgesetzte Alpha-Männer, die versuchen, ihren nicht vorhandenen Selbstwert zu kompensieren. Aber hier geht es nicht ums Aufwiegen oder darum, Elend mit Elend zu vergleichen. Sondern vielmehr darum, davor zu warnen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was das Internet neben all der tollen Seiten auch versteckt.