17. Juli 2023, 13:34 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Die Socken liegen schon wieder neben dem Wäschekorb anstatt darin und Ihr Partner hat die Spülmaschine zwar ausgeschaltet, aber nicht ausgeräumt? Manchmal können wir darüber nur schmunzeln – so schwer kann das schließlich nicht sein, oder doch? Was uns an den Fähigkeiten unseres Partners zweifeln lässt, lässt sich mit einem Verhaltensmuster erklären, namens „strategische Inkompetenz“.
Während Sie sich vermehrt um die Hausarbeit kümmern, eignet sich ihr Partner womöglich einen ganz anderen Skill an: strategische Inkompetenz. STYLEBOOK hat mit dem Beziehungspsychologen Wieland Stolzenburg über das Phänomen gesprochen.
Übersicht
Das steckt hinter strategischer Inkompetenz
Hinter strategischer Inkompetenz verbirgt sich ein Phänomen, welches häufig in Partnerschaften zu finden ist. Laut Beziehungspsychologe Wieland Stolzenburg bedeutet das, „dass sich einer der beiden Partner mit Absicht dumm stellt, um sich damit vor einer unangenehmen Aufgabe zu drücken und sie auf den anderen abzuladen.“ Es handelt sich also um ein Verhaltensmuster, bei dem ein Partner vorgibt, Dinge weniger gut zu können, um sich aus gemeinsamen Verantwortungen herauszuwinden.
Über den Weg läuft uns diese vorgetäuschte Unfähigkeit, Aufgaben zu erledigen, in vielen alltäglichen Situationen, vor allem aber im Haushalt. Dabei geht es zum Beispiel darum, wer das Abendessen zubereitet, sich um die Wäsche kümmert oder den Einkauf erledigt – es kann schließlich schwierig sein, im Supermarkt die richtigen Regale zu finden. Begleitet wird das ganze von einem vermeintlich lieb gemeinten „Du kannst das viel besser als ich“. Das Ergebnis? Bevor es zu Frust darüber kommt, dass statt Lauch schon wieder Sellerie im Kühlschrank liegt, erledigen Sie den Einkauf beim nächsten Mal lieber selbst. Ihr Mann sucht währenddessen freundlicherweise schon einmal den Netflix-Film raus. So erfolgreich ist wirklich noch niemand gescheitert!
Sind Frauen wirklich besser im Haushalt?
Nun könnte man(n) argumentieren, dass Frauen nun mal tatsächlich besser im Haushalt seien. Dieser Irrglaube stammt noch aus einer Zeit, in der der Mann den ganzen Tag zur Arbeit ging, während die Frau sich zu Hause um Kinder, Hausarbeit und Abendessen kümmerte. Heutzutage sieht das anders aus. Dennoch bleibt der Haushalt oftmals bei den Frauen hängen. Während nahezu gleich viele Frauen wie Männer erwerbstätig sind, wenden Frauen im Durchschnitt pro Tag etwa 52 Prozent mehr Zeit für Kindererziehung und Hausarbeit auf. Dass Frauen besser im Haushalt sind, ist also lediglich ein Mythos. Der entstehende Gender Care Gap kann derweil zu Frust führen und wird durch strategische Inkompetenz natürlich nicht gerade entschärft. Ein Entgegenkommen bei der Hausarbeit ist deshalb für das harmonische Zusammenleben essenziell.
Auch interessant: Das steckt hinter dem „Wendy-Syndrom“
Stellt sich Ihr Partner absichtlich dumm?
Selbstverständlich gibt es in jeder Partnerschaft auch tatsächlich Dinge, die der eine besser beherrscht, als der andere. Vielleicht haben Sie mit Ihrem Partner sogar Aufgabengebiete aufgeteilt. Ab und zu erschöpft oder schlichtweg zu faul sein, ist natürlich dennoch normal und in Ordnung. „Strategische Inkompetenz bedeutet jedoch, dass eine Person nicht einmal den Versuch unternimmt, etwas zu lernen, was sie bisher nicht kann oder weiß“, so Stolzenburg. Laut dem Experten sind sich diese Personen oftmals darüber bewusst, dass der Partner die unschönen Aufgaben daraufhin lieber selbst erledigt, als Zeit in Erklärungen zu stecken. Gerade beim Haushalt geht es schließlich nicht um Aufgaben, für die bestimmte physische Voraussetzungen nötig sind. Einzelne Hausarbeiten lassen sich leicht erlernen und machen das Argument „Ich bin da aber schlecht drin“ nichtig.
Zwischen Emanzipation und Manipulation
Gleichberechtigung ist ein Thema, für das wir uns gut und gerne einsetzen und das in jeglichen Lebensbereichen – oder nicht? Auch wenn sich Männer im Haushalt oft etwas dümmer machen, als sie sind, müssen wir zugeben, dass auch wir manchmal gerne die „Ich kann das nicht so gut“-Karte ziehen. Das Ikea-Regal baut sich schließlich nicht von alleine auf und an die Glühbirne, die gewechselt werden muss, kommt der Partner natürlich viel besser ran! Wir schlagen also einen Spagat zwischen „Selbst ist die Frau“ und dem Bedürfnis, einfach den großen, starken Mann um Hilfe zu bitten. Strategische Inkompetenz ist also keine reine Männerkrankheit, sondern vielmehr das Ergebnis davon, wie wir aufgewachsen sind.
Studienergebnisse, die belegen, dass Männer häufiger strategische Inkompetenz anwenden als Frauen, gibt es nämlich nicht. Jedoch bestätigt Wieland Stolzenburg, dass Männer in der Praxis häufiger dessen bezichtigt werden. Den Grund dahinter vermutet er in den Rollenbildern, mit denen wir aufgewachsen sind. Diese Prägung in der Kindheit kann demnach dazu führen, „dass Männer tatsächlich glauben, dass sie etwas nicht gut können – obwohl es sich häufig mit ein wenig Einsatz erlernen ließ.“
Strategische Inkompetenz oder erlerntes Verhaltensmuster?
Wichtig zu wissen ist außerdem, dass es sich bei strategischer Inkompetenz oftmals nicht um eine böse Absicht handelt. Richtiger wäre vielleicht der Begriff „erlernte Inkompetenz“. Menschen, die es gewohnt sind, dass ihnen bei jeglicher Kleinigkeit geholfen wird, prägen sich unterbewusst ein, dass ihre vermeintliche Unfähigkeit zu Annehmlichkeiten im Leben führt. Diesen speziellen Skill setzen sie deshalb vielleicht nicht gewollt, jedoch sehr gekonnt ein. Tatsächlich kann diese Art der Inkompetenz in einem wahren Teufelskreis enden. Aufgaben erfolgreich zu erledigen, stärkt bekanntlich das Selbstbewusstsein. Gibt man seine Verantwortungen jedoch ständig an den Partner ab, traut man sich an manche Alltagsprobleme gar nicht erst heran. Auch Stolzenburg erkennt in dieser Dynamik eine erlernte Inkompetenz: „Etwas Erlerntes zu ändern, braucht Bewusstsein, Geduld und Übung. Meist gelingen diese Dinge nicht mit einer einmaligen Entscheidung, sondern brauchen Zeit und gegenseitige Wertschätzung beim Veränderungsprozess.“
Studie zu „Mental Load“ Mehrheit der deutschen Frauen sind hauptverantwortlich für Familie
Laut amerikanischer Studie Das sexuelle Verlangen bei Frauen nimmt ab, wenn Mann nicht im Haushalt hilft
Mehr Mutter als Partnerin Das steckt hinter dem Beziehungsphänomen „Wendy-Syndrom“
Das können Sie gegen strategische Inkompetenz tun
Sollten Sie feststellen, dass Ihr Partner nach zwei Jahren in der gemeinsamen Wohnung einfach immer noch nicht weiß, in welcher Schublade die guten Messer liegen, oder wie die Wäsche richtig getrennt wird, wird es Zeit für ein Gespräch. Achten Sie allerdings darauf, dass Ihre Ansprache keiner reinen Schuldzuweisung gleicht.
Stolzenburg betont, dass es sich um einen Veränderungsprozess handelt, an dem beide Partner gleichermaßen arbeiten müssen. Lernen eine Situation auszuhalten sei dabei ein wichtiger Aspekt: „Wenn wir nicht akzeptieren können, dass unser Partner die Dinge anders macht, oder in unseren Augen nicht so gut, wie wir, dann stehen wir selbst einer Lösung im Weg und halten das Konstrukt strategische Inkompetenz aufrecht.“ Er empfiehlt, dass der eine Partner Aufgaben übernimmt, die er bislang vermieden hat, während der andere Partner ihn zunächst einfach machen lässt – auf seine Art und Weise.
Gut ist es, außerdem, Aufgaben und Verantwortungen klar aufzuteilen – und zwar entsprechend der zeitlichen Kapazitäten der jeweiligen Partner. Offene Kommunikation ist hier, wie so oft, der Schlüssel zum Erfolg. Eventuell stellen Sie sogar fest, dass Sie manchmal genauso strategisch inkompetent sind wie Ihr Partner und können zusammen darüber lachen. Tatsächliches Unwissen oder Unsicherheiten bei einzelnen Aufgaben lassen sich nämlich zum Glück schnell und einfach aus dem Weg räumen. Vielleicht nehmen Sie sich auch bewusst einen Tag der Woche Zeit, an denen Sie lästige Hausarbeiten einfach gemeinsam erledigen – geteiltes Leid ist schließlich halbes Leid.
Quellen
- mit fachlicher Beratung von Wieland Stolzenburg, Beziehungspsychologe aus München
- Gender Care Gap, Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend
- Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben, Statistisches Bundesamt