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„Denk einfach positiv“

Toxische Positivität – wenn erzwungener Optimismus auch schaden kann 

Wann wird aus gesundem Optimismus eigentlich toxische Positivität?
Wann wird aus gesundem Optimismus eigentlich toxische Positivität? Foto: Getty Images
Desireé Oostland
freie Autorin bei STYLEBOOK

27. April 2023, 6:08 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten

Mit einer gesunden Portion Optimismus lebt es sich einfach schöner. Allerdings kann auch die Positivität schnell kippen, nämlich dann, wenn sie toxisch wird. Wann das der Fall ist und was ein Experte dazu sagt, lesen Sie hier auf STYLEBOOK.

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Wer kennt sie nicht: die gut gemeinten, meist jedoch ungefragten, Ratschläge. Ganz oben auf der Beliebtheitsliste: „Denk einfach positiv, dann wird das schon wieder“. Und ja, eine positive, gesunde Einstellung ist unerlässlich. Wir wollen alle lebensfroh sein. Wir ziehen an, was wir ausstrahlen. Trotzdem hat es einen Grund, dass wir Zugang zu unterschiedlichen Emotionen haben, die nicht einfach unterdrückt werden dürfen – jedenfalls nicht um jeden Preis. Nicht jedes Problem kann mit einem positiven Denkansatz überwunden werden. Manchmal bedarf es mehr: eine ordentliche Woche voller Tränen, eine starke (nicht bewertende) Schulter oder, wenn es um psychische Erkrankungen geht, eine Therapie. Wir haben mit Therapeut Eric Hegmann über toxische Positivität gesprochen und aufgeschlüsselt, wo die Gefahren lauern könnten.

Ratschläge, die wir früher schon (nicht) geliebt haben

Das zwanghafte Auferlegen der positiven Stimmung um jeden Preis erinnert stark an die Teenie-Jahre, in denen Verwandte, vorwiegend die Eltern, einen knallharten Satz in das angeschwollene Gesicht zuriefen, wie: „Andere Mütter haben auch hübsche Söhne“. In dem Moment fühlt es sich aber an, als würde das Herz in tausend Stücke zerbrechen. Es fühlt sich an, wie die schlimmste Trennung (oder das, was man mit 14 als schlimm empfindet) und da möchte man doch einfach traurig sein.

Aber das ist nur ein kleines (eher witziges) Beispiel, denn es kann auch wirklich gefährlich sein, anderen Positivität aufzuzwingen, wenn diese Menschen gerade nicht in der Lage sind, diese auf- oder anzunehmen.

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Auch negative Emotionen verdienen einen Platz

Good vibes only? Bitte nicht. Es ist nicht möglich – und auch nicht gesund. Wir dürfen auch traurig sein, auch mal grübeln. Natürlich sollten wir im besten Fall von Grund auf positiv eingestellt sein, dem Leben positiv gegenübertreten, uns auf jeden Tag freuen und das Beste aus unserem Leben machen. Keine Frage! Das heißt aber nicht, dass wir in den schlimmsten Situationen uns selbst etwas vormachen und uns zur positiven Haltung zwingen müssen.

Auch unsere negativen Emotionen haben das Recht auf Freiheit. Daher sollte der Anspruch sein, von Grund auf positiv zu handeln und zu denken, aber nicht immer und zur jeder Lebenslage Zufriedenheit und Glück zu erzwingen. Immer wieder zu hören, dass negative Emotionen keinen Platz haben oder „einfach weggesteckt werden“ sollen, holt noch weitere Zweifel an die Oberfläche.

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Betroffene können durch solche Aussagen nur weiteren inneren Konflikten ausgesetzt sein: „Das wird selbstsichere Menschen eher wenig belasten, aber Personen, die vielleicht gerade schmerzhafte Verletzungen erlebt haben in Beziehungen, geraten dadurch in ein Ungleichgewicht, weil sie sich mit anderen vergleichen und abwerten“, so Eric Hegmann. Sie könnten denken, dass etwas mit ihnen nicht stimmt, weil sie gerade nicht positiv sein können. Rückschläge, Überforderungen, Schicksalsschläge: All das sind Umstände, die erzwungene Glückseligkeit nicht erlauben. „Ein gefühlter Druck oder Zwang zur Positivität führt zu Stress und entsprechend zu Stressreaktionen. Betroffene können den Eindruck haben, sie müssten sich Zuneigung und Liebe durch ein entsprechendes Verhalten verdienen“, erklärt Eric Hegmann.

Wenn die toxische Positivität zwanghaft wird

Heißt das nun, dass wir uns in Selbstmitleid baden und bewusst jeder negativen Emotion aussetzen müssen? Ganz und gar nicht. Hier spielt, wie so oft, die Menge und die Balance eine wichtige Rolle. Es gibt nämlich deutliche Unterschiede.

Einerseits gibt es die Hardcore-Pessimisten. Das sind diejenigen, die wir an der Supermarktkasse treffen und die gerne jeden wissen lassen, wie schlecht es ihnen geht. Dabei geht es nicht um gravierende Umstände, wie Armut, Krankheit oder Herzschmerz. Sondern beschämenderweise um Banalitäten wie das Wetter, der volle Supermarkt oder der verschimmelte Apfel im Obstkorb. Zwar bringt es auch hier nichts, die geballte Positivität entgegenzuwerfen, allerdings darf man solchen Menschen auch gerne zaghaft auf ihren unnötigen Alltags-Nörgelei aufmerksam machen: „Ach, ist doch gar nicht so übel heute“.

Anders ist es bei Menschen, die wirkliche Probleme haben und vor großen innerlichen oder äußerlichen Herausforderungen stehen. Da nicht jeder Mensch gleich belastbar ist, kann eine für uns scheinbare Kleinigkeit für andere die größte Herausforderung des Lebens bedeuten. Besonders diejenigen, die uns besonders nahe stehen, möchten zu dieser Zeit keine toxischen positiven Wandsprüche von uns hören. Sie verdienen einfühlsame Zuhörer.

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Ebenso schädlich ist es, wenn depressiven Menschen pietätlos zugerufen wird: „Denk einfach positiv, das wird schon wieder!“. Das ist absolut unangebracht. Zum einen steht es niemanden, außer dem behandelnden Arzt, zu, einem depressiven Menschen einen Ratschlag zu geben. Zum anderen ist eine psychische Erkrankung, wie beispielsweise Depression oder Angstzustände, nicht einfach mit einem positiven Satz erledigt. „Solche Sprüche können schaden, obwohl sie vielleicht gut gemeint waren“, findet Eric Hegmann. „Gerade Menschen in einer depressiven Episode können oft schwer Grenzen ziehen gegenüber anderen. Dies zu üben, erfordert häufig die Unterstützung von TherapeutInnen. Es gibt nicht den einen Rat, der hier eine schnelle Lösung verspricht, das wäre falsch zu viel Positivität einzufordern. Vielmehr geht es um einen Entwicklungsprozess, der gewiss auch Geduld und Zeit benötigt“, ergänzt er.

Meist fällt es den Betroffenen schwer, überhaupt etwas Positives zu empfinden. Aber das verstehen oft nur diejenigen, die es bereits erlebt haben. Selbst dann gibt es Unterschiede, die wir nicht bewerten dürfen. Hier ist definitiv kein Platz für toxische Positivität.

Die eigene toxische Positivität

Was für unsere Reaktion auf unsere Mitmenschen gilt, gilt auch für die eigene, innere Stimme. Auch wir können diese toxische Positivität bei uns selbst anwenden und uns damit Schaden zufügen. Denn auch man selbst kann in diese Falle der zwanghaften Zuversicht tappen und sich in jeder noch so schlimmen Lage keine Emotionen wie Trauer, Wut oder Neid zugestehen. Was wir unterdrücken, begrüßt uns an anderer Stelle aber mit voller Kraft. Um das zu verhindern, müssen wir einen gesunden Umgang damit finden. „Positivität ist zunächst eine wichtige Ressource, die den Antrieb, den Blick auf sich und die Welt und die Zukunft unterstützt“, erklärt Eric Hegmann. „Da sich unser Gehirn Gefahren besser merkt als positive Erfahrungen, ist es notwendig, bewusst gegenzusteuern, um nicht irgendwann nur noch das Negative zu sehen“, fährt er fort.

Auch interessant: Zwischen Self Love und Egoismus – wann geht Selbstliebe zu weit?

Toxische Positivität: Wie wäre es, wenn wir Ratschläge einfach für uns behalten?

Wenn man andere auf ihre ungebetene Meinung aufmerksam macht, heißt es oft: „Ja, ich bin doch nur ehrlich!“. Eine wichtige Portion Empathie darf aber bei aller Ehrlichkeit niemals verloren gehen. So ist es beispielsweise oft so, dass Menschen gerne ungefragt ihre Ratschläge verteilen. Das bedeutet, jemand anderes möchte gerne auf ein offenes Ohr, ohne Verurteilung, ohne Besserwisserei und ohne jegliche Rückmeldung stoßen und bekommt stattdessen eine Packung Ratschläge serviert. Das liegt sicherlich auch an unserem Kommunikationsproblem, welches wir uns durch unsere geringe Aufmerksamkeitsspanne (Grüße gehen raus an Instagram & Co.) angeeignet haben.

Oftmals warten wir nur darauf, dass unser Gegenüber zu Ende gesprochen hat, damit wir bloß schleunigst mit unserer eigenen Geschichte oder unserer Meinung fortfahren können. Jedes Mal, wenn wir uns so verhalten, verpassen wir wichtige Botschaften unseres Gegenübers. Wir können nicht zwischen den Zeilen lesen und uns nicht in die Lage hineinversetzen. Dabei sollten wir die Kraft, die wir mit Sprüchen wie: „Ach sei doch nicht so negativ“ aufbringen, lieber für ein offenes, aufmerksames Ohr aufbringen.

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Manchen Menschen helfen Worst-Case-Szenarien

Wenn jemand vor einer Prüfung steht, oder einer anderen Herausforderung, dann malt man sich gerne den schlimmstmöglichen Szenarien aus. Und oftmals heißt es dann: „Ja, wenn du nur an daran denkst, dann passiert das auch!“ Und es stimmt: wenn wir ein negatives Szenario in unserem Kopf erleben, dann erleben wir es gleich zweimal: Einmal, wenn wir daran denken, was vielleicht passieren könnte und einmal, wenn wir es dann wirklich erleben.

Doch tatsächlich gibt es Menschen, denen diese Denkweise hilft und als absoluter Anreiz dient. Es hilft ihnen, sich vorzustellen, was das Schlimmste wäre, was ihnen passieren könnte und sich jede Möglichkeit im Kopf auszumalen, als eine Art Antrieb und Push.
Daher: Positivität ist wunderbar, wir sollten sie aber nicht als Allheilmittel für jedes Problem nutzen und uns somit vor anderen Emotionen schützen. Stattdessen sollten wir einen gesunden Umgang erlernen: Weg von toxischer Positivität, hin zu gesundem Optimismus.

Quelle

  • mit fachlicher Beratung von Eric Hegmann, Paartherapeut, Single-Coach und Autor
Themen Mental Health
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