
8. April 2025, 17:08 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Ein 24-jähriger Medizinstudent wird der Vergewaltigung schuldig gesprochen – und erhält dennoch keine Strafe. Kein Gefängnis, keine Bewährungsauflagen, nicht einmal ein Eintrag ins Strafregister. Die Begründung des belgischen Richters: Der junge Mann sei „begabt“, „engagiert“ und seine berufliche Zukunft solle nicht gefährdet werden. Es handele sich um einen einmaligen Ausrutscher, zudem habe er die Tat zugegeben. STYLEBOOK fasst das Geschehene zusammen.
Für das Opfer bedeutet dieses Urteil jedoch kein Ende des Leids. Die junge Frau war laut Gerichtsentscheidung nicht einwilligungsfähig – sie konnte sich kaum auf den Beinen halten, als der Täter sie nach einer Studentenparty mit nach Hause nahm. Was folgte, erkannte das Gericht als Vergewaltigung an. Und doch bleibt der Täter nahezu ungeschoren. Wie lässt sich das rechtfertigen?
Übersicht
Ein fatales Signal an Opfer und Täter
Dieses Urteil ist mehr als ein Einzelfall – es ist ein Symbol für ein Justizsystem, das Täter schützt und Betroffene im Stich lässt. Es vermittelt: Wenn Sie jung und talentiert genug sind, dürfen Sie eine Frau vergewaltigen – und mit einem Tadel davonkommen. Für viele Frauen ist das ein Schlag ins Gesicht, ein weiteres Beispiel dafür, dass ihre Erfahrungen nicht ernst genommen werden.
Die häufig bemühte Floskel „Er hat sein Leben noch vor sich“ stellt das Leben des Täters über das der Betroffenen – und ignoriert, dass sie mit den psychischen und physischen Folgen der Tat, zu der er sich entschieden hat, womöglich ein Leben lang kämpfen muss.
Wenn Karriere mehr zählt als Konsens
Besonders brisant: Der verurteilte Mann befand sich zum Zeitpunkt des Urteils in der Facharztausbildung zum Gynäkologen. Ausgerechnet in einem medizinischen Bereich, der Intimität und Vertrauen voraussetzt, soll ein verurteilter Vergewaltiger zukünftig an Frauen praktizieren dürfen? Die Universität hat ihn inzwischen „vorsorglich vom Unterricht“ ausgeschlossen, dennoch bleibt das Vertrauen vieler erschüttert.
Eine Petition fordert nun den dauerhaften Ausschluss aus dem Medizinstudium – tausende Menschen haben bereits unterschrieben. Auch auf den Straßen von Leuven protestieren Studierende gegen das Urteil und fordern klare Konsequenzen. Gemeinsam mit der Katholischen Universität Löwen, an der der Täter studiert, werde man das Urteil prüfen und weitere Schritte überlegen.
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Vergewaltigung ist kein Kavaliersdelikt
Der Fall Ruben V. ist kein juristischer Ausrutscher, sondern Ausdruck eines strukturellen Problems. Studien belegen seit Jahren: Sexualisierte Gewalt wird selten angezeigt – und wenn doch, folgen auf eine Anzeige oft keine oder nur milde Strafen. Zu häufig wird die Verantwortung verschoben, die Taten relativiert oder das Verhalten der Betroffenen infrage gestellt.
Dass der Richter in diesem Fall explizit das Talent und die Zukunftsperspektiven des Täters in den Vordergrund stellt, zeigt deutlich, woran es mangelt: an einem Bewusstsein dafür, dass Vergewaltigung ein schwerwiegendes Verbrechen ist – unabhängig davon, ob der Täter eine glänzende Karriere vor sich hat oder nicht.

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Ein System, das Täter schont – und Opfer verletzt

Ein Umdenken ist längst überfällig
Genau solche Urteile senden ein fatales Signal. Sie schrecken Betroffene ab, sexualisierte Gewalt überhaupt zur Anzeige zu bringen – aus Angst vor Abwertung, Zweifel und Gleichgültigkeit. Sie erschüttern das Vertrauen in den Rechtsstaat – sie stärken nicht die Schwächeren, sondern die Täter. Die Botschaft dahinter ist perfide: Talent und gesellschaftliches Ansehen zählen mehr als Wahrheit und Gerechtigkeit. Aka nicht dein Verhalten schützt dich – sondern dein Renommee.
Dabei braucht es genau das Gegenteil: eine Justiz, die Rückgrat zeigt. Die sich traut, die Würde und Sicherheit von Frauen über das öffentliche Image eines Einzelnen zu stellen. Denn wer einen Täter schont, der verletzt nicht nur Recht und Gerechtigkeit – er lässt das Opfer ein zweites Mal im Stich. Vergewaltigung ist kein bedauerlicher Ausrutscher. Kein verzeihlicher Fehltritt. Es ist ein Verbrechen – mit zerstörerischen Folgen. Frauen haben ein Recht auf Schutz, auf Gehör und auf Gerechtigkeit. Und die Gesellschaft hat die Verantwortung verdammt noch mal nicht wegzuschauen.