12. Januar 2023, 6:41 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Je angespannter die wirtschaftliche Lage, desto mehr Lippenstifte werden verkauft. Was zunächst nach einer irrsinnigen These klingt, nennt sich „Lippenstift-Effekt“ und wird schon seit über 20 Jahren in Krisenzeiten beobachtet. Lässt sich anhand von Lippenstift-Absatz wirklich beurteilen, wie es um die Wirtschaft steht? Wir schauten genau nach.
Während Branchen vereinzelt um ihr Überleben kämpfen, bleibt die Beautybranche – mal wieder – ungerührt. Das liegt unter anderem am Lippenstift-Effekt: So nennt sich die Theorie, die besagt, dass Verbraucher in einer Wirtschaftskrise eher bereit sind, weniger kostspielige Luxusgüter zu kaufen – und so vermehrt auf Lippenstifte zurückgreifen. Ein Phänomen, das schon seit mehreren Jahren beobachtet wird.
Übersicht
- Shoppingverhalten in finanziell schwierigen Situationen
- Phänomen mit beeindruckender Aussagekraft: der Lippenstift-Effekt
- Kleiner Luxus in schweren Zeiten
- Woher kommt der Lippenstift-Effekt?
- Belohnung in Krisenzeiten
- Auch der Minirock-Index sagt etwas über die wirtschaftliche Lage aus
- Weitere Studien zum Lippenstift-Effekt
Shoppingverhalten in finanziell schwierigen Situationen
Täglich springen uns massive Preissteigerungen entgegen – beim täglichen Einkauf im Supermarkt oder beim Tierarztbesuch. Die daraus resultierende Frustration kann das Verlangen nach einer Belohnung – beispielsweise in Form von Shopping – hervorrufen. Ein Teufelskreis, der allerdings den natürlichen Instinkt nach Belohnung und Anerkennung beschreibt. Zwar besteht auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten der Antrieb zum Einkaufen, jedoch unterscheiden sich die Produkte, die gekauft werden.
Phänomen mit beeindruckender Aussagekraft: der Lippenstift-Effekt
Denn geht es den Menschen in Deutschland finanziell gut, kaufen sie vermehrt Luxusprodukte, wie Schmuck, Autos, Uhren oder Schuhe. Ist die wirtschaftliche Lage allerdings angespannt, werden überwiegend „kleinere“ Artikel gekauft – wie beispielsweise Lippenstifte. Diese sind aktuell Verkaufsschlager, denn sie ermöglichen einen kleinen Hauch von Luxus, ohne das Budget zu sprengen. Der sogenannte Lippenstift-Effekt ist allerdings kein neues Phänomen. Doch wie aussagekräftig und weitreichend dieser Index wirklich ist, wird erst durch aktuelle Studien ersichtlich.
Kleiner Luxus in schweren Zeiten
Auch wenn traditionelle Wirtschaftsbereiche dem Lippenstift-Effekt nur geringere Beachtung schenken, unterstreichen Daten des deutschen Marktforschungsinstituts „Growth for Knowledge“ (GfK) dessen erhebliche Aussagekraft. Während die Konjunktur in Deutschland 2021 und 2022 nachließ, kauften laut GfK im Jahr 2022 acht Millionen Konsumenten mindestens einen Lippenstift. 2021 waren es gerade einmal sechs Millionen Menschen. Seither steigt der Verkauf von Lippenstiften stetig. Diese beachtliche Differenz ist vermutlich auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen: Zum einen auf den besagten Lippenstift-Effekt, zum anderen darauf, dass während der Pandemie – durch die Kontaktbeschränkungen – weniger dekorative Kosmetik gekauft wurde.
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Woher kommt der Lippenstift-Effekt?
Den Lippenstift-Effekt hat Leonard Lauder vom Kosmetikkonzern Estée Lauder erfunden. Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 beobachtete Lauder, dass der Lippenstift-Absatz des Konzerns ordentlich nach oben stieg. Diesen Anstieg ließ er einzig auf die Krise zurückführen, was sich in der Zukunft bewahrheiten sollte. Auch während der Finanzkrise 2008 und 2009 trat dieser Effekt auf. Im Januar 2009 – zum Höhepunkt der Rezession – gehörten Kosmetika nach Angaben des Statistischen Bundesamtes zu den meistverkauften Produkten im Einzelhandel.
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Belohnung in Krisenzeiten
Allerdings bezieht sich der Lippenstift-Effekt – trotz seines Namens – nicht einzig auf Lippenstifte, sondern steht sinnbildlich für kleinere Belohnungen in schwierigen Zeiten. Da die Flucht in den erholsamen Urlaub in dieser Zeit wegfällt, steht eher ein kurzer Shoppingbummel oder ein Kinoabend mit Freunden auf dem Budgetplan und ermöglicht den kurzen und schönen Ausweg aus dem Alltag.
Auch der Minirock-Index sagt etwas über die wirtschaftliche Lage aus
Ein weiteres Indiz zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage ist der Rocksaum. Der Rocksaum-Index verbindet kurze Kleider mit einer Hochkonjunktur. Was zunächst abstrakt klingt, geht auf eine Beobachtung des Ökonomen George W. Taylor zurück, der in den 1920er Jahren den Zusammenhang zwischen Rocklänge und dem New Yorker Aktienindex durchschauen wollte. Seinen Beobachtungen nach, rutschte der Saum höher, sobald sich die Wirtschaft nach oben entwickelte. Während einer Rezession wurden seiner Beobachtung nach hingegen eher lange Röcke gekauft. Somit war ein kurzer Rock zu dieser Zeit mit Wohlstand gleichzusetzen. Seither war der Saum des Rockes für Ökonomen ein wichtiger und verlässlicher Indikator für die wirtschaftliche Verfassung.
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Weitere Studien zum Lippenstift-Effekt
Die Texas Christian University führte eine weitere Studie zum Lippenstift-Effekt durch, jedoch mit einem anderen Fokus und ebenfalls interessanten Ergebnissen: Laut den Forschern kaufen Frauen in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten dekorative Kosmetika, um ihre Attraktivität für Männer zu steigern. Der Gedanke dahinter: Einen Partner finden, der in solch schwierigen Zeiten eine starke Schulter und verlässliche Absicherung bietet. Teurere Marken wurden gegenüber No-Name-Produkten bevorzugt. Die befragten Frauen versprachen sich hiervon eine wirksame Steigerung ihrer Attraktivität.
Quellen
- Do Economic Downturns Make Us Buy More Makeup?, TCU College of Science & Engineering
- Die Lippen dürfen wieder rot leuchten, Frankfurter Allgemeine