11. Februar 2020, 18:39 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Was stark geschminkte Gesichter mit unserer Wahrnehmung machen, ist Thema einer aktuellen Studie aus Belgien. Das Ergebnis fällt besonders für all jene unschön aus, die gern tief in den Schminktopf greifen, ein dunkler Lidstrich könne sogar „entmenschlichen“, heißt es da – und zwar für alle Betrachter, ganz gleich welchen Geschlechts oder welcher sexuellen Orientierung. Was es mit diesem Forschungsergebnis auf sich hat?
Starkes Make-up soll uns weniger menschlich wirken lassen? Laut einer psychologischen Studie der Freien Universität Brüssel ist dem tatsächlich so. Zu diesem Ergebnis kamen die Forschenden, indem sie 1000 Studienteilnehmer, die vorrangig in den USA oder Großbritannien leben, jeweils zehn Sekunden auf unterschiedliche Frauenfotos blicken ließen. Einige der Abgelichteten waren gänzlich ungeschminkt, einige hatten nur Lippenstift und etwas Rouge aufgelegt, andere wiederum trugen sehr starkes Augen-Make-up bzw. Eyeliner. Dabei sollten die Betrachter den Frauen impulsiv Attribute wie „warmherzig“, „kompetent“, „erfahren“ oder „moralisch“ zuschreiben.
Dunkles Augen-Make-up lässt Frauen kaltherzig und distanziert wirken
Die Aussagen waren eindeutig: Je extremer die Frauen auf den Fotos um die Augen herum geschminkt waren, desto weniger wurden sie von den Studienteilnehmern mit positiven Zuschreibungen bedacht. Frauen, die besonders dick Kajal aufgetragen hatten, wurde vor allem Einfühlungsvermögen und menschliche Wärme abgesprochen. Je natürlicher das weibliche Gesicht war, desto menschlicher wurde auch dessen Persönlichkeit eingeschätzt. Bewertet wurden die Fotos nicht nur von heterosexuellen Männer, sondern auch von Frauen, homosexuellen und bisexuellen Menschen. Ganz gleich, welcher sexuellen Präferenz die oder der Teilnehmende angehörte – die Bewertungen fielen einhellig aus. Übrigens: Wenig Rouge oder Lippenstift wurden als eher positiv bewertet, ausschlaggebend für das Attribut der „Entmenschlichung“ war vor allem dunkles, extremes Augen-Make-up.
Der eigentliche Hintergrund der Studie
Worum es den Forschenden im Kern ging: In der westlichen Psychologie besagt die sogenannte „Objektivierungstheorie“, dass eine starke Sexualisierung erhebliche entmenschlichende Konsequenzen auf die Wahrnehmung von Frauen hat. Bisher konzentrierte man sich darauf, zu erforschen, wie sexualisierte Körper in den Massenmedien objektiviert und damit entmenschlicht werden. Mit der aktuellen Untersuchung sollte der Frage nachgegangen werden, was die „Sexualisierung des Gesichts“ mit unserer Wahrnehmung von Menschlichkeit macht. So erklärte der Studienautor Philippe Bernard von der Freien Universität Brüssel gegenüber dem Magazin „Insider“, dass die aktuellen Ergebnisse darauf hindeuten, „dass starkes Make-up eine subtile Form der Entmenschlichung hervorruft, unabhängig von der sexuellen Ausrichtung der Teilnehmer“.
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Wer entmenschlicht hier eigentlich wen?
Tatsächlich lässt die Studie aber mehr Fragen offen als sie beantwortet. Zum einen wurden ausschließlich Menschen befragt, die dem angelsächsischen – also dem westlichen – Kulturkreis angehören und dadurch vorgeprägt sind, die gewonnenen Erkenntnisse haben demnach keine Universalgültigkeit. Daneben bleibt die Frage: Ist es wirklich das starke Augen-Make-up, das „entmenschlichend“ wirkt, oder ist es vielleicht viel mehr so, dass Frauen, die sich gerne stark schminken, von den Massenmedien als „entmenschlicht“ dargestellt werden, sodass wir nur „gelernt“ haben, sie auch so zu sehen? In unserer Kultur wird viel über Bilder kommuniziert, sie sprechen eine starke Sprache. Wäre dem nicht so, würde sich auch niemand für Instagram interessieren. Und wir wissen nur zu gut, welche Schönheitsideale dort momentan vorherrschen – sehr viel, teils maskenhaftes Make-up und diverseste Weichzeichner-Filter.
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Die Objektivierung und Sexualisierung von Frauen, von der hier die Rede ist, findet also ganz offensichtlich bereits woanders statt, nicht erst in der Bewertung von Schmink-Bildern, welche vor allem der Ausdruck einer ziemlich verworrenen Medien- und Bilder-Kultur zu sein scheint. Wie sich diese wiederum auf die Wahrnehmung und die Bewertung anderer auswirkt – dahingehend scheint tatsächlich noch jede Menge Forschungsbedarf zu bestehen.