28. August 2024, 16:11 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Welche Fehler beim Schminken machen wir am häufigsten? Wie viel verdient man als Make-up-Artist? Und welche Beauty-Produkte sind eigentlich gänzlich überflüssig? Im Gespräch mit STYLEBOOK erzählt Profi Jennifer Galle über ihren Werdegang, ihren Arbeitsalltag und gibt nützliche Beauty-Tipps.
Jennifer Galle aus Berlin arbeitet seit über zehn Jahren als Make-up-Artist, schminkte schon Models wie Bar Rafaeli oder GNTM-Gewinnerin Alex Mariah Peter. Im Interview mit STYLEBOOK spricht sie über ihre Branche, die coolsten und stressigsten Jobs und verrät auch gleich noch den ein oder anderen hilfreichen Beauty-Trick.
„Bis man auf eigenen Füßen steht, kann es ganz schön lange dauern“
STYLEBOOK: Wie wird man eigentlich Make-up-Artist?
Jennifer Galle: Ich habe als Friseurin angefangen und dann verschiedene Weiterbildungen zum Make-up-Artist und im Bereich Hairstyling, Airbrush-Make-up und Special Effects gemacht. Dann absolvierte ich viele Praktika und assistierte anderen Make-up-Artists und Hair-Stylisten. Bis man auf eigenen Füßen steht, kann es ganz schön lange dauern, ich habe auch Jahre gebraucht. Aber wenn es wirklich will, klappt das auch. Man muss an sich glauben und am Ball bleiben – und am besten auch in einer Stadt wohnen, wo es Bedarf gibt. Im Dorf schminkt man meist nur Bräute.
Du bist seit mehr als 10 Jahren Make-up-Artist. Welche Make-up-Steps bewirken nach deiner professionellen Erfahrung immer die größten Veränderungen?
Es gibt tatsächlich drei Steps, die in meinen Augen einen riesigen Unterschied machen. Das sind Mascara, Augenbrauen-Styling und das Auftragen von Rouge. Rouge macht vor allem bei Leuten, die einen blassen Hautton haben, einen krassen Unterschied. Denn ihr Teint kann auf Fotos schnell ein wenig trist aussehen, aber mit einem guten Rouge wirkt sofort jeder wacher und frischer.
Auf welches Tool kannst du nicht verzichten?
Ich habe eine supergute, weiche Extensions-Bürste, die ich liebe und mit der ich fast alles mache. Bei Make-up ist es auf jeden Fall ein gutes Augenbrauengel und eine Wimpernzange.
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Welches Beauty-Produkt ist in deinen Augen total überbewertet?
Primer. Auf der Haut ist weniger einfach mehr. Wenn man einen Primer und eine Foundation benutzt, kann das schnell schmierig werden. Wenn du darunter noch eine Creme aufträgst, hast du direkt drei Schichten auf der Haut! Ich habe auch das Gefühl, dass die wenigsten Frauen Primer benötigen. Ich kenne sogar Leute, die davon Pickel bekommen.
Perfekt ausgleichen kann man auch mit Primer nichts. Keiner hat perfekte Haut, niemand sieht in Wirklichkeit aus wie mit Instagram-Filter. Ich halte es für besser, zu einer Unebenheit zu stehen, als akribisch zu versuchen, sie abzudecken. Jeder hat Fältchen und Poren – das ist vollkommen normal, wir vergessen es nur gerne!
Was ist der häufigste Make-up-Fehler, den du im Alltag siehst?
Viele Menschen benutzen entschieden zu viel Produkt. Egal, ob Foundation, Concealer, Bronzer oder Lippenstift. Ich finde, weniger ist mehr. Das Endergebnis ist viel schöner, wenn man Beautyprodukte nur dafür nutzt, seine natürliche Schönheit zu unterstreichen. Ich sehe auch oft, dass Menschen falsche Farben benutzen. Also kalte Töne, obwohl ihnen warme Farben besser stehen würden und andersherum. Gerade was Rouge, Lippen und Lidschatten angeht, ist das ein häufiger Fehler.
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Welche Kunden oder Projekte sind am schwierigsten?
Am schwierigsten sind Jobs, bei denen man vorher kaum Informationen bekommt, was für einen Look man schminken soll und welche Models dabei sein werden. So etwas passiert häufiger, als man denkt. Ich war schon in der Situation, dass ich etwas umsetzen musste, was ich vorher noch nie gemacht habe. Man muss es dann einfach vor Ort hinbekommen, ohne Übung oder Vorbereitung. Das sind Jobs, bei denen man an seine Grenzen kommt, aber meistens wächst man da auch über sich hinaus.
Auch Filmdrehs, bei denen man viel draußen ist, finde ich schwierig. Bei Regen, Wind und Minusgraden den ganzen Tag draußen arbeiten, das mache ich selbst nicht gerne. Respekt an alle, die ganze Filmdrehs monatelang im Winter begleiten! Celebrities können auch schwierig sein, weil man mit viel Druck im Nacken arbeitet. Man hat meist wenig Zeit und den Perfektionsdrang, alles richtig machen zu wollen.
Und welche Jobs sind dir die liebsten?
Das sind Jobs, bei denen ich tolle Menschen kennenlerne und tolle Orte sehe. Coole Locations, an die man sonst nicht kommen würde. Ich habe beispielsweise mal in Cannes bei den Filmfestspielen gearbeitet, da habe ich in einem großen Haus gewohnt, konnte auf eine der Filmpartys mit und habe Models und Schauspielerinnen geschminkt. Und bei der Netflix-Produktion „Orange Is The New Black“ war ich bei einer Staffel bei den Deutschlandpremieren dabei und bin mit dem Cast herumgereist.
Hast du schon mal jemanden abgelehnt zu schminken?
Ich habe schon Jobs abgelehnt, aber noch nie Personen selbst.
Verdient man gut als Visagistin?
Das ist natürlich immer Ansichtssache, aber ich kann mich nicht beschweren. Ich bin sehr dankbar, dass ich so viel verdienen kann. Wenn man die richtigen Kontakte hat, kann man davon auf jeden Fall sehr, sehr gut leben. Eine direkte Zahl möchte ich aber lieber nicht nennen.
Wen würdest du gerne mal schminken?
Früher hatte ich eine Liste mit Leuten, die ich schminken wollte, aber über die Jahre wird man da entspannter. Eigentlich wollte ich immer mal Angela Merkel schminken, um zu sehen, wie sie in Wirklichkeit ist. Jetzt hat sie ja leider nicht mehr so viele öffentliche Auftritte, aktuell wäre es deshalb eher Jennifer Lopez. Ich würde auch gerne mal Kim Kardashian schminken, aber auch nur, weil ich gerne wissen möchte, wie sie ungeschminkt aussieht!
Ist dir schon mal etwas richtig schiefgegangen?
Ziemlich am Anfang meiner Karriere habe ich einem Model mal die Augenbrauen für ein Fotoshoot gebleached. Ich hatte ihr versprochen, die Brauen am Ende wieder zurück zu färben, aber das hat dann einfach nicht funktioniert! Das war extrem unangenehm. Zum Glück konnte das Model sich die Augenbrauen dann bei einem Friseur zurückfärben lassen.
Wie stehst du zu TikTok-Beauty-Hacks?
Ich bin manchmal geschockt, wie viele Schichten Make-up Menschen auftragen! Das sieht dann vielleicht im richtigen Licht in der Handkamera gut aus, aber im Alltag wirkt das nur maskenhaft und unnatürlich.
Was war dein absoluter Liebling-Look bisher?
Das war ein Look, den ich im Rahmen einer Masterclass mit bunten Pigmenten geschminkt habe, die Farben waren superknallig. Und einmal habe ich bei einer Fashion Show assistiert, bei der wir Langhaar-Perücken so präpariert haben, dass die gesamten Haare nach oben standen, das war supercool.
Was würdest du Berufseinsteigern und Berufseinsteigerinnen mit auf den Weg geben?
Konkurriert nicht mit anderen Make-up-Artists, sondern versucht, euch mit anderen anzufreunden und ein Netzwerk aufzubauen. Oft werden Jobs untereinander abgegeben, weil man ja zeitlich nur begrenzte Kapazitäten hat. Deswegen ist es wichtig, vernetzt zu sein. Ich würde auch jedem empfehlen, am Anfang möglichst vielen Leuten zu assistieren. So bekommt man nicht nur viel Erfahrung, sondern knüpft auch Kontakte.